Название | Ein letzter Gruß |
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Автор произведения | Reiner Sörries |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783766642868 |
Frauen wiederum lassen sich zudem von der Sorge leiten, ihr Grab könnte dereinst ungepflegt sein und nicht ihren Vorstellungen einer Gedenkkultur entsprechen, wobei zusätzlich eine denkbare Verwahrlosung der Grabstätte die Angst vor den Blicken der anderen schürt: „… jeder guckt, diese Woche war die gar nicht aufm Friedhof und hat geharkt oder es wurden noch keine neuen Blumen gepflanzt und das Gesteck, na das ist bestimmt von Aldi oder so. Also da wird so richtig drüber hergezogen, und das ist was, was mir total gegen den Strich geht.“ Damit kann die anonyme Bestattung für Frauen eine Möglichkeit darstellen, sich den Konsequenzen der sozialen Normen und Konventionen in Bezug auf die Grabpflege zu entziehen.
„Die Interviewpartnerinnen messen dem Aspekt der Grabpflege bei der Bestattungsentscheidung eine zentrale Rolle bei. Zum einen sollen die Angehörigen mit einer anonymen und damit pflegefreien Bestattung entlastet werden. Zum anderen wollen sie mit dieser Entscheidung einem verwahrlosten Grab vorbeugen, das – beziehungsweise die Vorstellung davon – sie sich selbst nicht zumuten möchten. Durch die Bestattungswahl realisieren sie eine autonome Fortexistenz nach dem Tod, die sie, beziehungsweise ihre Grabstätte, unabhängig von Pflege durch Angehörige macht.“30 Dass für Frauen der Aspekt der Grabpflege eine zentrale Rolle spielt, korrespondiert mit einem traditionellen Rollenverständnis von Frauen, die eben für die Grabpflege zuständig sind. Männer ficht das weniger an, und sie beharren auf ihrer Rolle, das Heft des Handelns nicht aus der Hand zu geben.
Noch stecken die Forschungen zu den geschlechtsspezifischen Aspekten der Bestattungs- und Grabwahl in den Kinderschuhen, sie können aber jetzt schon zeigen, dass man nur durch ihre Berücksichtigung den Wandel der Trauerkultur besser verstehen kann.
Friedwald und Gender
Jene Frauen, die begonnen haben, das männliche Geschäft der Bestattung wieder zu feminisieren, haben u. a. auf eine besondere weibliche Kompetenz verwiesen, die aus ihrer biologischen Fähigkeit resultiert, Leben zu schenken. Weil sie etwas vom Lebensanfang wissen, ist ihnen auch das Lebensende vertrauter. Auch die Genderforschung betont das zyklische Verständnis der Frau, das den Tod als einen immer wiederkehrenden Prozess im ewigen Kreislauf von Zeugen, Gebären und Sterben begreift, weshalb das Sterben zu einem kreativen Prozess wird. Das Denken und Fühlen in Zyklen sei der Frau bereits biologisch (Sex) durch den sich wiederholenden Monatszyklus zu eigen.
Die Eröffnung des ersten deutschen Friedwaldes 2001 bei Kassel musste diesem weiblichen Verständnis sehr entgegenkommen, denn die Naturbestattung entlastete die Frau nicht nur von der männlich verordneten Grabpflege, wie dies bereits bei der anonymen Bestattung der Fall war, sondern kam auch ihrem zyklischen Todesverständnis sehr entgegen.31 So betonen die Verfechter der Naturbestattung den symbolischen oder sogar realen Zusammenhang der Bestattung mit dem der Natur immanenten Zusammenhang von Werden und Vergehen. Das mag eine geniale Vermarktungsstrategie sein, aber tatsächlich findet sie in den Frauen ihre primäre Zielgruppe.
Lange bevor der erste Friedwald eröffnet wurde, hielt 1995 die Pastorin Sabine Ahrens eine bemerkenswerte Predigt, in der sich das weibliche Verständnis von Sterben und Tod spiegelt, wobei nicht nur der Waldboden eine symbolhafte Bedeutung gewinnt, sondern die ganzheitliche, mit allen Sinnen erlebte Bedeutung von Natur formuliert wurde: „Dann bin ich eines Morgens aufgewacht, und es lag ein anderer Geruch in der Luft: Auf einmal roch es nach Herbst. Ich begann, die verblühten Blumen zu bemerken. Und auf einem Spaziergang durch den Wald hat sie mich erwischt. Die Traurigkeit! Der weiche Waldboden, ein dicker, brauner Teppich aus vermodertem Laub. Ein intensiver Geruch nach Erde. Plötzlich stand es mir ganz greifbar vor den Augen: ,da musst du eines Tages auch hin! In diese Erde‘… dieser Waldboden strahlte auch etwas Warmes und Fruchtbares aus. Eigentlich habe ich es noch nie so mit der Mutter Erde gehabt, aber auf einmal bekam diese Erde für mich etwas Mütterliches. Mutterboden! Ein Ort, wo ich mich hinlegen kann, wo ich alles Schwere ablegen kann. Erde, zu der ich zurückkehren kann und die mich aufnehmen wird. Wo mein Sterben eingebettet sein wird in die Fruchtbarkeit und neues Wachstum. Und ich werde ein Teil davon sein – und bin es schon jetzt. Es war ganz merkwürdig für mich, dass diese Geborgenheit, die ich sonst Gott nenne, dass sich die auf einmal mit der Erde verband.“32
Als diese Predigt im November 1995 in der Dortmunder St. Petri-Kirche gehalten wurde, gab es weder Friedwald noch Ruheforst, auch keinen Seelhain, aber man kann an diesen Worten ablesen, dass für diese Formen der Naturbestattung der Boden im weiblichen Bewusstsein längst vorbereitet war. Noch fehlen empirische Untersuchungen, die eine Bevorzugung der Naturbestattung bei der weiblichen Klientel statistisch untermauern können, aber ein feministischer Blickwinkel auf Sterben und Tod legt diese Annahme nahe.
Geschlechtersensibler Umgang mit Pflegebedürftigen und Sterbenden
Die von England ausgehende und seit Mitte der 1980er-Jahre auch in Deutschland aufkommende Hospizbewegung hatte es zwar anfangs nicht leicht, denn man argwöhnte, die stationären Hospize seien so etwas wie Sterbekliniken, doch sie hat sich durchgesetzt und gilt heute als eine der bedeutendsten Errungenschaften moderner Lebens- und Sterbeweise. Man hatte organisatorisch und medizinisch einen Weg gefunden, der Menschen in der letzten Lebensphase ein Leben in Würde und Selbstbestimmung ermöglichen soll. Zwar ist das Angebot von Hospizen noch nicht in der wünschenswerten Weise flächendeckend gewährleistet, doch als notwendiger Standard anerkannt.
Ist die Hospizbewegung inzwischen den Kinderschuhen entwachsen, so stellen sich ihr neue Fragen. Gestellt wurden sie im Juni 2009 auf der Tagung „Gender in der Betreuung und Pflege alter Frauen und Männer“, die vom Institut für Palliative Care und OrganisationsEthik der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt in Wien organisiert wurde. Erstmals traten in diesem Umfang die differenzierten Bedürfnisse von zu Pflegenden und Sterbenden in Bezug auf Geschlecht, Alter und sexueller Orientierung in den Mittelpunkt. Beschrieben wurde das Tagungsthema mit folgenden Worten: „Die Betreuung und Pflege alter Menschen mit Unterstützungsbedarf bis an ihr Lebensende gewinnt als gesellschaftliche Herausforderung an Bedeutung. Gleichzeitig kann beobachtet werden, dass diese Herausforderung in unterschiedlichen Rollen – bezogen auf Geschlechterverhältnisse – bearbeitet und gelebt werden. Im Rahmen der Tagung Gender-Care gehen wir daher folgenden Fragen nach: Was bedeutet Gender für die Bedürfnislagen von alten Frauen und Männern mit Unterstützungsbedarf?“ Die Beiträge der Tagung wurden anschließend von Elisabeth Reitinger, einer der Organisatorinnen, und Sigrid Beyer publiziert, und der 2010 erschienene Tagungsband kann inzwischen als Standardwerk dieser Fragestellungen gelten.33
Eigentlich bleibt nur das Erstaunen darüber, dass nicht früher erkannt wurde, dass Frauen und Männer, junge und alte Menschen, Hetero- und Homosexuelle unterschiedliche Beziehungen zu ihrem Körper und zu ihrer Seele, zu ihren Gefühlen entwickeln bzw. mit ihrer Biografie und Sozialisation entwickelt haben. Aber das gehört eben zur Moderne, dass die Zuweisung bestimmter Geschlechterrollen nicht mehr frag- und klaglos hingenommen wird, sondern einer Erkenntnis von der Verschiedenheit der Menschen weicht. Dann werden Fragen relevant, wer z. B. in welchem Zustand von wem berührt werden will und unter welchen Voraussetzungen. Der eigene Körper wird von Männern und Frauen unterschiedlich erlebt, Gleiches gilt für eine durch die sexuelle Orientierung geprägte Wahrnehmung des Körpers. Und man kann das fortsetzen, indem man nach der mentalen Einstellung fragt, die durch Religion und Weltanschauung geprägt sein kann. Ein gesprochenes Gebet kann für den einen eine Entlastung sein, für die andere eine Zumutung. Unterschiedliche Krankheitsbilder bis hin zu Depression und Demenz spielen ebenfalls eine gewichtige Rolle.
Bezieht man solche Kategorien in die Pflege alter, multimorbider und sterbender Menschen ein, so stellt dies an die Pflegekräfte erhöhte Anforderungen hinsichtlich Wissen, Ausbildung und Einfühlungsvermögen. Bemerkenswert an der genannten Tagung war, dass sie die geschlechterbedingte Rollenfrage auf die Pflegenden, die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte und Angehörigen ausdehnte. So sei das Rollenverständnis der Frau zu hinterfragen, wonach sie schon aufgrund ihres Frauseins prädestiniert