Gaias Vermächtnis. Hans-Rudolf Zulliger

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Название Gaias Vermächtnis
Автор произведения Hans-Rudolf Zulliger
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783906304472



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erfrischt und zufrieden. Dabei dachte ich: Es gibt keine wirksamere Methode, die zunehmende Klimaerwärmung zu vermitteln, als diese am eigenen Leibe zu spüren.

       Ölkrise 1973/74

      Meine Erinnerungen an Umweltsünden gehen in meine frühe Kindheit zurück, mein Vater warnte mich vor giftigen Autoabgasen. Kurz nach seiner Lektion spazierten wir Hand in Hand an einer Autokolonne vorbei. Ich fragte ihn: »Weshalb dürfen die Autos das giftige Abgas in die Luft lassen?« Er antwortete etwas ausweichend, dass sich das Gift in der Luft verteilen würde und somit unschädlich sei. Diese Antwort hat mich schon dazumal nicht befriedigt. Den Beweis, dass meine Zweifel berechtigt waren, habe ich viele Jahre später in Kalifornien am eigenen Leib erlebt.

      1974 wohnten wir in Portola Valley, Kalifornien, etwa 50 km südlich von San Francisco. Für meine tägliche Autofahrt zu unserer kleinen Hightech-Firma Nuclear Semiconductor, Inc. in Mountain View, benötigte ich, je nach Verkehr, etwa 25 Minuten. Die Erinnerung an die Warnung meines Vaters vor giftigen Autoabgasen war mir immer noch präsent. Mein häufig irritierter Hals und das andauernde Hüsteln im Sommer klärte sich erst bei einem Arztbesuch auf, der meine Beschwerden mit der verpesteten Luft in Verbindung brachte. Von der erhöhten Lage unseres Wohnorts war es unübersehbar, dass die gelbbraune Smogwolke über der San Francisco Bay die Ursache dieser unangenehmen Beeinträchtigung war. Zusammen mit meinem Geschäftspartner, der im gleichen Dorf wie wir wohnte, hatten wir schon lange eine Fahrgemeinschaft gegründet, in der wir abwechslungsweise den anderen zur Arbeit mitnahmen. Meine Frau und ich besaßen einen VW-Käfer, den ich mit einem Katalysator aufgerüstet hatte, mein Kollege fuhr einen Porsche. Dieses Arrangement schien zu dieser Zeit die beste Lösung für unseren täglichen Transport zu sein.

      Im Herbst 1973 brach jedoch eine Erdölkrise aus. Libyen verstaatlichte Erdölfirmen, die OPEC erhöhte den Basispreis von Erdöl um 70% und drosselte die Fördermenge um 5%. Kurz darauf beschlossen Abu Dhabi und andere Erdöllieferanten einen Boykott gegen die USA. Benzin wurde in ganz Amerika knapp, lange Schlangen bildeten sich vor den Tankstellen. Zwischen den Wartenden brachen regelrechte Schlachten aus. Es wurde allen klar: Benzin war die Lebensader des Landes. Die Regierung beschloss eine Rationierung: Die Besitzer der Autonummern mit geraden Zahlen konnten an den geraden Monatstagen tanken und diejenigen mit ungeraden Nummern an den ungeraden Tagen. Mein Fahrpartner und ich hatten Glück, denn meine Autonummer endete auf einer geraden Zahl und seine auf einer ungeraden. Überall entstanden »Car Pools«, und wir fanden in der Nachbarschaft noch einen dritten Mitfahrer, der einen kleinen Fiat als gemeinsames Fahrzeug mitlieferte. Wir »kauften« uns als Mitbesitzer dieses Autos ein und teilten alle Kosten solidarisch. Durch diese Aktion hatten wir den Benzinverbrauch und damit die Luftbelastung nochmals reduziert. Wenn viele andere unserem Beispiel gefolgt wären, hätte sich die Krise wesentlich schneller gelegt.

      Unterwegs zur Arbeit diskutierten wir weitere Maßnahmen, um die Energiekrise zu entschärfen. Zufälligerweise entwickelte ein Bekannter im gleichen Gebäude unseres Arbeitsortes Sonnenkollektoren für Schwimmbäder, was uns auf die Idee brachte, das Brauchwasser und die Häuser im Winter mit Sonnenenergie zu erwärmen. Weitere Kollegen stießen dazu, und am 12. Juni 1975 gründeten wir eine der ersten Sonnenenergiefirmen, Alten Associates Inc., in Mountain View. Für die erste Installation stellte uns ein mutiger Freund sein Haus zur Verfügung. In seinem Garten vergruben wir einen 4000 Liter fassenden isolierten Wassertank, schraubten unsere neu entwickelten Kollektoren auf sein Flachdach und dichteten die Schraubenlöcher fachmännisch mit flüssigem Teer ab. Am nächsten Morgen schlug die Frau des Besitzers Alarm: Sie hatte alle 60 cm schwarzen Teer auf ihrem weißen langhaarigen Teppich gefunden! Doch unser Freund, der bei der NASA arbeitete, beruhigte alle und brachte einen Sack voll Trockeneis, das er sorgfältig auf die Teerstellen streute. Nach kurzer Zeit zerschlug er den hart gefrorenen Teer mit einem Hammer und bürstete die kleinen Bruchstücke weg. Die schnelle Reaktion meines Freundes imponierte mir, denn sie zeigte auf, dass Innovation immer auch an die Bereitschaft und an die Fähigkeit geknüpft ist, Fehler im Entwicklungsprozess korrigieren zu können.

      Die Ölkrise ging vorbei, doch der Smog blieb, und trotz einer neuen sechsspurigen Autobahn, der Interstate 280, kämpften wir uns bald wieder durch Staus. Seit Langem wurde behauptet, dass es in der San Francisco Bay Area, im Gegensatz zum berüchtigten Los Angeles, keinen Smog geben werde, doch eine stetig wachsende Smogwolke bedeckt in den Sommermonaten die San Francisco Bay bis weit in den Süden. Inzwischen ist sie 100 km lang, und in der Region sind leider alle Frucht- und Gemüseplantagen verschwunden. Schöne Ortsnamen wie Valley of Heart’s Delight (Santa Clara Valley) und Sunnyvale sind nur noch Erinnerungen an riesige Plantagen mit Blenheim-Aprikosen, Bing-Kirschen, Burbank-Zwetschgen und anderen mehr. Stattdessen sind Zehntausende von Firmen und Millionen von Häusern und Apartments entstanden, das heutige Silicon Valley. Parallel dazu entwickelte sich in der Region ein stetig wachsendes Engagement, den Planeten vor seiner Zerstörung zu bewahren. Zu jener Zeit war der Begriff »Nachhaltigkeit« noch nicht verbreitet, doch hatten sich schon viele Organisationen, wie der Sierra Club, Friends of the Earth und unsere Gruppe Creative Initiative Foundation mit Umweltschutz befasst.

       Ein Begriff und viele Definitionen

      Das Wort Nachhaltigkeit besagt, dass etwas dauerhaft erhalten bleibt, sich erneuert oder entwickelt. Der Begriff an sich hat eigentlich nichts mit Ökologie zu tun, obwohl er ursprünglich in der Forstwirtschaft und in der Landwirtschaft häufig verwendet wurde. Nachhaltigkeit wurde von den Umweltschützern adoptiert und mit sozialen Anliegen ergänzt. Es ist kein geschützter Begriff und darf deshalb auch für andere Zwecke verwendet werden, was die Vielfalt der Interpretationen erklärt.

      Dr. Alfred Strigl, Gründer und Präsident der Firma Plenum in Wien, erhielt 2014 von unserer Stiftung Unterstützung für seinen neuen Lehrgang »Pioniers of Change«, um junge Leute bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit anzuleiten. 2016 hielt er anlässlich des Symposiums unserer Stiftung ein Referat zum Thema »Nachhaltige Transformation – wie tiefe Nachhaltigkeit in die Welt kommt«. Bei dieser Gelegenheit erzählte er mir, dass er über eine längere Zeitspanne 140 verschiedene Definitionen von Nachhaltigkeit gesammelt hatte, die er mit Studenten in seinen Kursen diskutiert. Unter »Nachhaltigkeit als Kulturbegriff« hat er eine interessante Zusammenstellung vorgelegt, auf die ich im Folgenden eingehen möchte [→ Abb. 1].

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      Die am meisten verbreitete Definition findet sich im Bericht, den die UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung in Auftrag gegeben hat. Dieser Bericht entstand unter der Führung von Gro Harlem Brundtland, der ehemaligen Premierministerin von Norwegen, und wurde 1987 veröffentlicht. Inzwischen ist er unter dem Namen »Brundtland-Bericht« bekannt. Der Kurztext, auf den sich die Kommission einigen konnte, lautet: »Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs (WCED 1987:43). – Nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse von heute erfüllt, ohne die Fähigkeit zu verlieren, dass zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen können.«

      Um den Begriff Nachhaltigkeit beispielsweise im Umweltschutz zu verwenden, wäre es notwendig, von ökologischer Nachhaltigkeit zu sprechen. Genau das versuchten die Teilnehmer der Klimakonferenz in Rio de Janeiro von 1992 mit der sogenannten »Rio-Formel« zu erreichen. Darin wurden drei Themenbereiche hervorgehoben: Ökologie, soziale Gerechtigkeit und Ökonomie. Alle drei Punkte sollten gleichzeitig und untrennbar miteinander verknüpft angewandt werden.

       Bewahrung der Umwelt

       Herstellung der sozialen Gerechtigkeit

       Faire Einkommens- und Vermögensverteilung

      Im Bericht von Rio wurden diese Begriffe mit vielen detaillierten Beispielen untermauert. Allerdings gefällt mir der Begriff »nachhaltige Entwicklung« nicht, denn er ist zu eng und zu vage gefasst. Mit »Entwicklung« werden in der Regel physische Konstrukte impliziert, wie die Entwicklung von neueren und sparsameren Waschmaschinen, Häusern und Autos, die weniger Energie verbrauchen, Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne und Holz oder neue Methoden der Trinkwasserversorgung.