Название | Alternativlos? |
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Автор произведения | Helmut Fischer |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783290172084 |
1.2.9 Die neurologische Reduktion auf Hirnprozesse
Da Religion ein Bewusstseinsphänomen ist und jedem Bewusstsein Hirnprozesse zugrunde liegen, sehen sich in neuerer Zeit vor allem die Neurowissenschaftler in das Gespräch über Religion einbezogen. Weil auch hier die Absicht des Forschers und das, was er zum Thema Religion beweisen möchte, für die Anlage des Experiments und für die Argumentation bestimmend sind, sind unterschiedliche Richtungen neurologischer Deutung von Religion zu erwarten.
Jene, die Religion für eine überlebte Erscheinung halten, äußern sich zum Thema nur ausweichend und vage. Der Hirnforscher Wolf Singer, Mitglied der Päpstlichen Akademie der Wissenschaft, ließ sich auf die Frage, wo Religion im neurologischen Denkmodell ihren Platz habe, gerade so viel entlocken: In dem Maße, in dem wir das unmittelbar Erfahrbare aus sich selbst erklären können, »müsse sich Religion auf immer abstraktere, unanschaulichere Territorien zurückziehen« (Singer 92). Oder: »Religion muss sich jenseits der Grenze des Konkreten verorten.« (93) Das heißt, mit zunehmender wissenschaftlicher Erkenntnis verliert Religion ihren Boden.
In den Vereinigten Staaten gingen viele Neurowissenschaftler in ihren Experimenten von der Vorgabe aus, dass sich Religion durch die neuen bildgebenden Verfahren als Realität erweisen |27| lasse. Sie gingen außerdem davon aus, dass das Zentrum der Religion der Gottesglaube sei, (was von der Religionswissenschaft nicht bestätigt werden kann). So wählten sie für ihre Experimente aus den vielen Erscheinungsformen von Religion jenes Phänomen aus, für dessen Erforschung sie das methodische Instrumentarium zu haben glaubten: »das mystische Erlebnis«. Mystische Erlebnisse haben die Gestalt von Visionen, Lichterscheinungen, Auditionen, außerkörperlichen Erfahrungen, oft verbunden mit der Entgrenzung des Ichs und seiner Verschmelzung mit einer höheren Realität des Weltganzen, das als »ozeanisches Gefühl« geschildert wird. Da mystische Erlebnisse bei bestimmten Meditationsformen und bei Epilepsie-Anfällen anzutreffen sind, konzentrierte man sich besonders auf deren Erforschung, zumal die Verbindung zu den epileptischen Ereignissen, die von der Medizin auch bei Paulus, Mohammed, der Jungfrau von Orléans, Theresa von Avila u. a. angenommen werden, die religiöse Dimension zu gewährleisten schien. Mit den Daten des Elektroencephalogramms war festzustellen, dass bei diesen mystischen Erlebnissen das Hirnareal, das für die räumliche Orientierung zuständig ist, unterversorgt war. Der gleiche Mangel an Sauerstoff führt auch bei Höhenkrankheit, bei Ertrinkenden und Verschütteten zu dem Gefühl, in einer raum- und zeitlosen Unendlichkeit aufzugehen oder mit ihr verbunden zu sein.
Andrew Newberg, einer der führenden Neurologen dieser Forschergruppe, ist »der Überzeugung, dass wir den Beweis für einen neurologischen Prozess erbracht hatten, der es uns Menschen ermöglicht, die materielle Existenz zu transzendieren und mit einem tieferen, geistigen Teil von uns selbst in Verbindung zu treten, der als absolute, universelle Realität wahrgenommen wird, die uns mit allem Seienden vereint« (Newberg 19). Diese Forschergruppe hält ihre Ergebnisse für einen neurologischen Gottesbeweis. Sowohl die meditierenden katholischen Nonnen wie die buddhistischen Mönche berichteten von Einheitserlebnissen. |28| Nur, während sich das Ich der Franziskanerinnen mit dem persönlichen Gott des dogmatischen Christentums vereinigte, tauchte dieses personale Element bei den buddhistischen Mönchen gerade nicht auf, denn diese erinnerten sich nur an eine Allverbundenheit. Das Einheits-Erlebnis, das bei allen durch eine reduzierte Aktivität des Orientierungszentrums ausgelöst war, wird inhaltlich offensichtlich durch den religiösen Hintergrund der Meditierenden eingefärbt und gedeutet.
Die Neurologen, die ausgezogen sind, um ein Gottesmodul oder Gottesareal im Gehirn zu finden, wie auch jene Biologen, die ein Gottesgen zu entdecken dachten, haben mit ihren Mühen nicht mehr »bewiesen«, als sie bei ihren Experimenten bereits vorausgesetzt haben. Aus zirkulären Argumentationsgängen ist keine Erkenntnis zu erschließen. Deshalb sagen diese Experimente mit ihrer Reduktion von Religion auf die Erscheinungsform von mystischen Erlebnissen weder etwas über Religion noch etwas über eine religiöse Anlage des Menschen. Das Wort »Neurotheologie«, das für diese Forschungen in Anspruch genommen wird, verdankt sich schlichten Kategoriefehlern und erweist sich als irreführender Etikettenschwindel.
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