Alternativlos?. Helmut Fischer

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Название Alternativlos?
Автор произведения Helmut Fischer
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783290172084



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an der |12| Kultpraxis im Festkalender der Stadt praktiziert und zwar bei öffentlichen Gebeten und bei rituellen Handlungen. Die römischen Bürger lernten ihre Religion nicht über religiöse Belehrung und Inhalte kennen, sondern indem sie bereits als Kinder an kultischen Handlungen teilnahmen.

      Die griechische Kultur kannte keinen Begriff, der dem lateinischen religio entsprach. Auch im slawischen und germanischen Wortschatz finden wir nichts dergleichen. Die europäischen und außereuropäischen Sprachen haben erst in der Neuzeit religio als Sammelbegriff für einen Phänomenbereich übernommen, den sie inhaltlich unterschiedlich füllten. »Nur nachklassische westliche Sprachen besitzen überhaupt ein besonderes Wort für ›Religion‹ und trennen anders als andere Zivilisationen ›religiöse‹ von anderen kulturellen Manifestationen.« (Elsas in: HWbPh 8,711) »Religion« ist bis heute ein offener Sammelbegriff, der aus der jeweiligen Perspektive der Betrachter definiert wird.

      1.1.2 Die Integration in das Christentum

      Laktanz, christlicher Rhetor und Prinzenerzieher am Hof Konstantins in Trier, griff in seinen »Göttlichen Institutionen« (307–301) den religio-Begriff auf, leitete ihn aber inhaltlich, anders als Cicero, von religare (zurückbinden, anbinden, befestigen) ab. Das entsprach offenbar besser seinem Verständnis von der festen Verbundenheit mit dem einen Gott und seiner Schöpfung. Augustinus (354–430) hat diese Sinngebung übernommen. Auch er bezog religio im altrömischen Sinn in erster Linie auf den Kult, der dem einen Gott und Schöpfer gebührt. Aber sein religio-Verständnis öffnete sich auch für die Erkenntnis dieses einen Gottes und für die ethische Lebensführung, die sich für die Gläubigen daraus ergibt.

      Im Mittelalter bezeichnete religio weiterhin die Tugend der Gottesverehrung, konnte aber bereits als Sammelbegriff für die unterschiedlichen Arten der Gottesverehrung bei anderen Völkern verwendet werden. Mit religio blieb der Blick auf das |13| Hauptkennzeichen einer Kultur gerichtet, und das sah man in der Art und Weise ihrer kultischen Gottesverehrung.

      In der Zeit der Renaissance und Reformation weitete sich der religio-Begriff. Er umfasste als eine Art Oberbegriff jetzt auch die Erkenntnis und die Lebensgestaltung, die aus dem christlichen Gottesverständnis hervorging. Noch aber blieb religio im Wesentlichen auf die Ausdrucksformen des Christentums bezogen. Erst mit der Aufklärung änderte sich der religio-Begriff grundlegend. Dieser Wandel ergab sich aus dem Gedanken, dass die Wahrheit nicht in einer überkommenen Glaubensform enthalten sei, sondern in der Ratio des Menschen liege und auch darin gründe. Das bedeutete, dass geoffenbarte Inhalte durch die menschliche Vernunft auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüft und, falls nötig, auch auf das Einsehbare beschränkt werden mussten. Der menschliche Geist war damit aufgefordert, die Erscheinungsformen von Religion auf den Prüfstand der Vernunft zu stellen, was auch immer unter Vernunft verstanden wurde. Das kennzeichnet den Schritt aus der bisher unbefragt geltenden Innenperspektive in die Betrachtung religiöser Erscheinungen aus externen Perspektiven. Man begann, nach dem Wesen der Religion zu fragen, dem Gemeinsamen in den einzelnen Religionen. Die Diskussion über das Verhältnis natürlicher und offenbarter Religion kam in Gang. Von nun an wurde unterschieden zwischen einer inneren wahren Religion als Liebe zu Gott, zum Nächsten und zur Wahrheit und einer Religion, in der es nur darum ging, formelle Vorschriften zu beachten.

      1.1.3 Religion wird Forschungsgegenstand

      Bis zur Aufklärung war das Verständnis von Religion in der westlichen Welt weithin normativ an der eigenen christlichen Religion orientiert. Jetzt wurde die Vernunft mit ihren vielen möglichen Aspekten zum Maßstab der Betrachtung, aber die Religionsdefinition der abendländisch christlichen Kultur blieb weiterhin als Leitgedanke für die Auswahl jener Elemente prägend, |14| auf die hin seit dem 19. Jahrhundert auch außereuropäische Kulturen bzw. Religionen untersucht wurden.

      Die einzelnen Ablösungsschritte der Religionswissenschaften von der Theologie müssen hier ebenso wenig nachgezeichnet werden wie deren Entstehung und die Entdeckung und der Ausbau der Religionsgeschichte. Die Abkoppelung der entstehenden Wissenschaftszweige vom religiösen Weltbild befreite zwar zu vielseitigen Perspektiven auf Religion, barg aber zugleich die Gefahr in sich, dass die einzelnen Perspektiven sich absolut setzten und sich zu absolutistischen Ideologien verselbständigten.

      Wo sich aufklärerische Impulse mit Ideologie verbündeten, konnte emanzipierte Wissenschaft als Gegenaufklärung funktionalisiert werden. In seiner Studie »Religion nach der Aufklärung« stellt der Philosoph Hermann Lübbe fest: »Im Verhältnis zur Religion lässt sich die Geschichte der wissenschaftlichen Aufklärung in der Tat als eine Erfolgsgeschichte schreiben. Als Kontrollinstanz, die über die Zuverlässigkeit kognitiver Inhalte wissenschaftlicher Weltbilder wachte, ist Religion bei uns schlechterdings nicht mehr wirksam. Statt dessen ist es die Wissenschaft selbst, in deren Namen die totalitären Hochideologien über die Integrität der von ihnen kulturell und politisch privilegierten Weltbilder wachen … Selber Wissenschaft zu sein und auf Ergebnissen moderner Wissenschaften zu beruhen – das ist der Anspruch der großen Ideologien.« (Lübbe 1986, 54) So sehr die wissenschaftliche Erforschung der Religion aus vielen Perspektiven zu begrüßen ist, so genau wird darauf zu achten sein, dass das Phänomen Religion nicht auf die jeweils eine Perspektive der Betrachter reduziert und von daher als das Ganze verstanden und bewertet wird. Da dieser Reduktionismus bis heute aktuell ist und auch für unsere Frage nach der Zukunft der Religion das Gespräch verwirrt, soll an Beispielen darauf eingegangen werden. |15|

      1.2.1 Die Philosophie löst sich von der Theologie

      Bemühen und Ziel der mittelalterlichen Denker war es, die klassische Philosophie mit der kirchlichen Theologie zu versöhnen. Dabei fungierte die Philosophie im gesamten abendländischen Mittelalter als »Magd der Theologie«. Der französische Mathematiker René Descartes (1596–1650) befreite die Philosophie aus dieser Rolle und machte sie zur eigenständigen Disziplin. Er sah die Aufgabe der Philosophie darin, sich von allen Vorurteilen zu befreien und alles zu bezweifeln, was sich bezweifeln lässt. So unternahm er den Versuch, ohne Rückgriff auf die traditionell vorgegebenen Gedanken über Gott, Kosmos und Welt und ohne höhere Offenbarungen für alles Wissen ein sicheres Fundament zu gewinnen.

      Sein methodischer Zweifel führte ihn zu der Erkenntnis, dass die evidente und nicht mehr bezweifelbare Basis das Selbstbewusstsein des Menschen ist, denn selbst im letzten Zweifel muss das zweifelnde Ich vorausgesetzt werden. Descartes kennzeichnet es als die »denkende Substanz« (res cogitans) und unterscheidet davon alles Dingliche als »ausgedehnte Substanz« (res extensa), weil diese äußeren Dinge durch Ausdehnung, Bewegung, Gestalt, Größe, Anzahl, Ort und Zeit bestimmt und mathematisch erfasst werden können. Descartes stößt damit eine Denkweise an, die unter dem späteren Stichwort »Aufklärung« die folgenden Jahrhunderte in allen kulturellen Bereichen geprägt hat.

      Immanuel Kant hat Aufklärung 1784 so definiert: »Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen … Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.« (Kant 1784, 53) Darin ist die Aufforderung enthalten, über Religion nicht mehr in deren immanenter Logik nachzudenken, sondern sie aus |16| externer Sicht innerhalb der Kategorien der autonomen Vernunft zu betrachten. Das ist dann auch auf vielfältige Weise geschehen, in hervorragender Weise durch Kant selbst.

      Die aus der Vernunftperspektive hervorgegangenen Betrachtungsweisen von Religion unterschieden sich lange Zeit in der Tendenz, sie entweder zu kritisieren oder als notwendig zu begründen. Die religionskritischen Äußerungen überwogen und deren Gedanken sind bis heute in popularisierter Form lebendig.

      1.2.2 Die philosophische Reduktion auf Moral (Immanuel Kant)

      Kant setzte sich in seinen Kritiken der Vernunft auch indirekt mit der Religion auseinander. Nach seinem Verständnis gründet unsere Erkenntnis in nur drei Elementen, nämlich in unseren Sinnen, die uns eine Anschauung der Natur vermitteln, unserem Verstand, der die Begriffe zu den Erfahrungswerten