Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten. Hans Zippert

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Название Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten
Автор произведения Hans Zippert
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862870141



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Ich nahm extra eine Arbeit in einer weit entfernten Stadt an, damit der Käfer Auslauf hatte, und besuchte Ausstellungen in fremden Bundesländern.

      Dann lernte ich eine Frau kennen, die einen weißen Kadett Kombi fuhr. Wir beschlossen, fortan alles zu teilen, verkauften unsere Wagen und bestellten einen blauen Golf, den wir direkt am Werk in Wolfsburg in Empfang nahmen. Kurz darauf wurde sie schwanger. Falls es da einen Zusammenhang gibt, weiß ich nicht, ob es dabei am wichtigsten ist, dass der Wagen eine blaue Farbe hat, dass man ihn sich direkt in Wolfsburg abholt oder dass man vorher einen Kadett Kombi gehabt haben muss. Heutzutage kauft man sich nach Entwicklung des ersten Ultraschallbildes sofort einen sieben- bis zwölfsitzigen Kleinbus und klebt ein Schild »Ungeborenes Baby an Bord« hintendrauf, aber damals, 1987, fuhren wir Golf. Es kam dann noch ein Kind und auch das passte in den Golf, und auf den Golf passten noch vier Fahrräder. Es war ein zuverlässiges, unauffälliges Auto, aber es hatte mich in der Gewalt. Ich konnte nicht mehr entscheiden, wann ich wohin fahren wollte. Es musste ständig etwas damit geholt oder geliefert werden. Windeln, Keuchhustenmedizin, Nasentropfen, Kind von der Krabbelstube, Kind zum Waldorfkindergarten, zur Waldorfschule, zum Flötenunterricht, zum Gitarrenunterricht, zum Chor, zum Taek-Won-Do, zum Bahnhof, zur Oma, Kindergeburtstagsgäste nach Hause, Möbelbausätze vom Möbelmarkt und wieder zurück zur Reklamation, Mineralwasserkästen und Biomöhren. Wenn ich mich an den Golf erinnere, sehe ich nur, wie ich irgendetwas in seine gierige Heckklappe stopfe oder wieder herauszerre. Eines Tages ließ sich die Fahrertür nicht mehr von innen öffnen. Der Wagen wollte mich nicht weglassen, ich sollte in ihm übernachten, bis er mich zur nächsten Lieferadresse transportieren konnte. Ich wartete das Ende des Jahrtausends ab und kaufte dann ein geckogrünes Auto aus französischer Herstellung. Inzwischen macht es keinen guten Eindruck mehr, ich habe sogar das Gefühl, der Wagen mag mich nicht, jedenfalls treibt er sich, so oft es geht, in irgendwelchen Reparaturwerkstätten herum. Mein Sohn hat letztes Jahr auf seiner ersten Fahrt als Führerscheinbesitzer die Beifahrertür eingedrückt, und auch sonst ist der Wagen reichlich heruntergekommen. Man kann das Fenster der Beifahrertür nicht mehr runterlassen. Wenn man jemand nach dem Weg fragen will, muss man aussteigen, und das macht auf viele einen bedrohlichen Eindruck.

      Vor kurzem erzählte mir ein Freund, dass man beim Anblick mancher Autos sagt, hier habe jemand seinen Penis vor der Tür geparkt. Ich weiß nicht, ob diese Feststellung pauschal für jedes Auto gilt, aber es ist durchaus möglich, dass die Nachbarn von dem verbeulten Zustand des Wagens Rückschlüsse auf mein Geschlechtsorgan ziehen, die natürlich jeder Grundlage entbehren. Trotzdem ist ein verbeulter Wagen, rein sexuell betrachtet, immer noch besser als ein tiefergelegter mit abgesägtem Auspuff oder mit Hängerkupplung.

      Nach über dreißig Jahren Erfahrung als Fahrerlaubnis- und Wagenbesitzer komme ich langsam zu der Erkenntnis, dass man einem Auto nur sehr selten seinen Willen aufzwingen kann. Jedenfalls mir gelingt das nicht. Mir fehlt wohl die Fähigkeit zur Autosuggestion. Und wenn man selber am Steuer sitzt, kann man dem Wagen außerdem nicht beim Fahren zuschauen. Das ist ein entscheidender Nachteil. Vielleicht kaufe ich mir als nächstes wieder einen Triebwagen. Oder ein Auto, das sich von außen mit den Fingern dirigieren lässt. Ich kann jetzt auch viel tiefer brummen und beim Schalten würde ich besonders eindrucksvoll aufheulen.

      Auf dem Friedhof

      Nach langer Zeit mal wieder die Abkürzung über den Friedhof genommen und dabei etwas Merkwürdiges entdeckt. Überall auf dem Gelände stehen Gestelle, an denen ca. siebzig Gießkannen hängen, und jede Gießkanne ist mit einem eigenen Schloss gesichert. Was steckt hinter diesem Sicherheitswahn? Als ich das meinem Schwiegervater erzählte, sagte er den rätselhaften Satz: »Kein Wunder, es wird nirgendwo soviel geklaut wie auf dem Friedhof.« Ich habe lange darüber nachgedacht und kann mir das nur so erklären: Nachts kommen die Toten aus ihren Gräbern und holen sich die Gießkannen. Deshalb werden die alle angekettet. Wenn das so ist, dann werde ich in meinem Testament verfügen, dass ich mit mindestens einer Gießkanne bestattet werden möchte. Besser gleich mit drei. Gießkannen scheint man ja da unten am nötigsten zu brauchen. Gehörte wahrscheinlich auch zur Standardgrabbeigabe der ägyptischen Pharaonen. Dabei heißt es immer, man könne sowieso nichts mitnehmen und das letzte Hemd habe keine Taschen. Wäre aber besser, wenn es welche hätte, um eine Gießkanne mit in die Grube zu nehmen. Ich kann mir nur nicht vorstellen, was man im Grab damit macht, wässert man die Radieschen, die man von unten betrachtet?

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      Ich nehme eher an, es ist eine Vorbereitung auf das Jüngste Gericht. Das kündigt sich ja durch Trompeten an. Die Trompeten rufen zum Jüngsten Gericht, und die Toten üben schon mal auf Gießkannen, die verrotten nicht so schnell wie echte Trompeten. Das wird ein beeindruckendes Schauspiel, wenn das Ende der Welt dereinst bevorsteht und die Toten aus den Gräbern kommen, um auf grünen, blauen und gelben Plastikgießkannen zum Jüngsten Gericht zu blasen. Das klingt auch viel apokalyptischer als wenn sie Trompete spielen würden. Es kann aber wahrscheinlich erst zur Apokalypse geblasen werden, wenn die Toten eine bestimmte Anzahl von Gießkannen unter die Erde gebracht haben.

      Und deshalb ist es wichtig, dass wir die Gießkannen auf dem Friedhof gut anketten.

      Nachtrag: Die ganze Angelegenheit gestaltet sich übrigens noch viel komplizierter, wenn nicht grauenvoller. Als ich den Friedhof ein weiteres Mal inspizieren wollte, war er geschlossen und am Tor hing eine Mitteilung der Friedhofsverwaltung: »Leider werden immer wieder Gießkannen und andere Gegenstände hinter den Grabmalen gelagert, obwohl zu diesem Zweck Gießkannenständer an den Zapfstellen bereit stehen. Bedauerlicherweise kommt es deswegen zu teilweise schweren Verletzungen unserer Friedhofsmitarbeiter…«

      Schlimm! Die Toten legen die Gießkannen also mit Absicht hinter die Grabmale, in der Hoffnung, dass Friedhofsmitarbeiter dadurch zu Tode kommen und das apokalyptische Blasorchester verstärken.

      Moa

      Schon seit meiner Kindheit fasziniert mich der Moa, ein riesiger, flugunfähiger Vogel, der auf Neuseeland lebte. Ich begeistere mich aber nicht grundsätzlich für ausgestorbene Riesentiere. Das Riesenfaultier interessiert mich zum Beispiel überhaupt nicht, denn in unserem Haushalt lebte fast zwanzig Jahre ein Exemplar, dass sich als mein Sohn ausgab. Mit Riesenfaultieren bin ich durch. Mit Moas verhält sich das schon anders. Sie wurden bis zu 3,50 Meter groß und verteidigten sich durch kraftvolle Fußtritte. Wissenschaftler der University of Adelaide fanden jetzt zweifelsfrei heraus, dass Moas überwiegend braunes Gefieder hatten, um sich zu tarnen. Das war vielleicht keine so gute Idee. Wenn sich so ein riesiger Moa hinter einem braunen Busch versteckte, dann war vor allem der Busch gut getarnt. Die Moas waren schlechte Tarner, denn sie sind ausgestorben, Büsche gibt es dagegen immer noch auf Neuseeland. Die Maoris haben die Moas ausgerottet. Maoris sind keineswegs Anhänger der Lehren von Mao tse Tung, obwohl es nicht ausgeschlossen ist, dass es maoistische Maoris gibt. Ein Erfolg versprechender neuseeländischer Romantitel wäre also »Marodierende maoistische Maoris auf Moajagd«

      Selbstanzeige

      Ich muss zugeben, dass mir der ständige Ankauf von CDs mit Steuersünderdaten durch die Bundesregierung immer einen Schock versetzt. Grundsätzlich befriedigt das Vorgehen meinen Gerechtigkeitssinn, denn ich persönlich habe überhaupt keine Möglichkeit, Geld an der Steuer vorbei in die Schweiz zu schaffen. Einfach mangels Geld oder weil mein Steuerberater nicht kreativ genug denkt. Trotzdem ist es so, dass auch ich das deutsche Finanzamt und damit eigentlich das deutsche Volk betrogen habe. Das lastet mir auf der Seele und deshalb will ich es hier in aller Öffentlichkeit beichten: Ich heiße Hans und bin ein Steuersünder. Es passierte im Jahr 2008. Ein Händler machte mir ein tolles Angebot. So billig bekäme ich das nie mehr und ich sei doch Journalist und könne alles absetzen. Ich bin solchen Argumenten oft sehr hilflos ausgeliefert und kaufte also die Ware. Ich ließ mir eine Quittung geben und setzte den Betrag von €2,50 in der Steuererklärung unter »Fachbücher« ab, obwohl das gar nicht stimmte. Ich wollte die Bücher eigentlich nur lesen. Es handelte sich um »Goldene Beine« von Gerd Müller und »Versuch einer Naturgeschichte des Hamsters« von Friedrich Gabriel Sulzer. Gerd Müllers Buch wurde mit freundlicher Unterstützung der Mars Schokoladen GmbH geschrieben und glänzt durch fantastische Kapitelüberschriften wie »Müller und Shaw« oder »Die Vorteile des Branco Zebec«. Noch großartiger ist