Название | Das offene Versteck |
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Автор произведения | Robert de Taube |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862872299 |
(© Sammlung Hinrichs, Friedeburg)
II. Robert de Taube und das Horster Grashaus
Robert de Taube besuchte bis 1906 die jüdische Volksschule in Neustadtgödens, die zu diesem Zeitpunkt knapp 20 Schüler aufwies. Wie er selbst erzählte, schwänzte er, bis die Sache schließlich aufflog, mit Unterstützung eines Knechts des Vaters häufig den Unterricht in der Volkschule, um lieber den Vormittag auf den Weiden zu verbringen. Anschließend trat er in die Sexta des Wilhelmshavener Kaiser-Wilhelms-Gymnasiums ein. Dort machte ihm der Lateinunterricht aber so große Schwierigkeiten, dass ihn der Vater auf die Oberrealschule schickte. Nach einem Konflikt mit einem Lehrer musste er 1912 diese Schule verlassen und machte seinen Abschluss 1914 auf der Oberrealschule in Oldenburg, wo er im Haus des Landesrabbiners David Mannheimer Kost und Logis hatte. Durch ständige Mithilfe und Beobachtung lernte er auch in den Jahren danach von der Pike auf alle Facetten des Berufs des Landwirts kennen und besuchte zusätzlich die Berufsschule in Wilhelmshaven. Seine Militärzeit während des Ersten Weltkriegs absolvierte er von Herbst 1916 bis Ende 1918, unter anderem bei einem Garderegiment in Berlin.
Anfang der 1920er Jahre verpachtete Samuel de Taube das Horster Grashaus an Robert und dessen sieben Jahre älteren Bruder Ernst, der ebenfalls eine Ausbildung zum Landwirt durchlaufen hatte. Ernst hielt sich meist in Wilhelmshaven auf, regelte im Wesentlichen die geschäftlichen Abläufe und führte zusammen mit dem Bruder Kurt, einem Kaufmann, ein gemeinsames Kontor mit einer Sekretärin im Souterrain der Adalbertstraße 34. Kurt besaß direkt daneben, in der angrenzenden Viktoriastraße 10, ein Haus, in dem er auch wohnte. Als Hauptlandwirt zog Robert zusammen mit seinem Vater nach Horsten, während die Mutter wegen des höheren Wohnkomforts das Wilhelmshavener Haus dem rustikalen Gutshaus vorzog. Dieses besaß nämlich nur eine stinkende Außentoilette neben der Scheune, ein zweisitziges Plumpsklo mit beweglichem Kindersitz. Das Frischwasser musste mit der Handpumpe gefördert werden.4
Bereits 1923 erhielten die „Gebr. de Taube“ bei der „Friesenwoche Leer“ ein Diplom „für hervorragende Leistungen“ verliehen. Es folgten Zertifikate der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (1927) sowie eine ganze Reihe von Auszeichnungen durch das Ostfriesische Stutbuch e.V. Norden für die Zucht des ostfriesischen Warmblutpferdes. Das Horster Grashaus galt selbst in der NS-Zeit noch als Musterbetrieb und wurde bei der landwirtschaftlichen Ausbildung vorgeführt. Samuel de Taube kaufte um das Jahr 1930 herum außerdem das Gut Cospa von 120 Hektar bei Eilenburg in Sachsen und ließ es ebenfalls unter Mithilfe seiner Söhne bewirtschaften. Im Juli 1932 brannte durch plötzliche Selbstentzündung der Heumassen die Scheune des Grashauses völlig ab, einige Kälber kamen um. Das Wohnhaus konnte durch Einsatz der Feuerwehren gerettet werden.5 Umgehend erfolgte der Neuaufbau.
Ein Grund für den großen Erfolg des Grashauses war neben dem agronomischen Wissen, dem Gespür für die Bedürfnisse der Märkte und der soliden betriebswirtschaftlichen Führung sicherlich auch, dass die de Taubes es vermochten, besonders qualifizierte Mitarbeiter an sich zu binden, die häufig Jahrzehnte lang bei ihnen arbeiteten. Sie schreckten auch selbst vor keiner körperlich harten Arbeit zurück, schnackten meistens Plattdeutsch und blieben trotz des Wohlstands volkstümlich in Auftreten und Kleidung. Am frühen Morgen nahmen alle, also auch Samuel und Robert de Taube, in der „Stube“ des Gutshauses ein kräftiges Frühstück ein, bei dem auch das jeweils folgende Tagewerk besprochen wurde. In den Vorkriegsjahren arbeiteten auf dem Grashaus neben den beiden Wirtschafterinnen drei Mägde, die für das zweimal täglich anfallende Melken und die allgemeine Sauberkeit zuständig waren, sowie fünf Knechte beziehungsweise Landarbeiter. Vorabeiter war Harm Eilers, der insgesamt über 50 Jahre im Dienste der de Taubes stand. Mägde und Landarbeiter wohnten teilweise in Verschlägen in der Scheune.
Die Scheune des Horster Grashauses mit dem Pferdestall im Mai 1971
(© Sammlung Pohl, Lexington, Kentucky)
III. Die Nationalsozialisten bekommen die Macht
Die politischen Veränderungen im direkten geografischen Umfeld konnten den de Taubes nicht verborgen bleiben. Bei den Reichstagswahlen vom Mai 1924 erzielte der „Völkisch-Sozialer Block“ (VSB), ein aggressiv antisemitisches Bündnis der sich formierenden Nationalsozialisten mit den Deutschvölkischen zur Zeit der Festungshaft Hitlers, im Kreis Wittmund den republikweiten Spitzenwert von 46,4 Prozent der Stimmen. Die ebenfalls antisemitische DNVP kam auf 14,6 Prozent. In Horsten, zu dem das Horster Grashaus gehörte, stimmten 75, im angrenzenden Gödens 80,2 und in Friedeburg sogar 94,5 Prozent für den VSB.
Die Antisemiten fassten in Neustadtgödens, an das das Grashaus sozial stärker angebunden war als an Horsten, nicht so früh und breit Fuß wie in den westlichen Nachbardörfern, in denen das Landvolk dominierte. In Neustadtgödens lebten noch Reste des angestammten Kleinbürgertums, aber auch viele nach Wilhelmshaven orientierte Arbeiter; „nur“ 38 Prozent stimmten 1924 für den VSB. In diesem Jahr trat in Neustadtgödens der spätere „NSDAP-Reichsredner“ Johann „Jann“ Blankemeyer (1898 – 1982) aus Hude auf. Auf Plattdeutsch erreichte er die Zuhörer mit seinen antisemitischen Tiraden.6 Der „Anzeiger für Harlingerland“ des Verlegers Enno Mettcker, der im Landkreis Wittmund eine Art Pressemonopol besaß, unterstützte redaktionell die extreme Rechte seit dem Anfang der Weimarer Republik. Die Zeitung verfolgte hier dieselbe publizistische Tendenz wie das ebenfalls Mettcker gehörende „Jeversche Wochenblatt“, das das Amt Jever agitierte. Die politische Situation in Neustadtgödens kann bis zum Beginn der Wirtschaftskrise 1929 dennoch als demokratisch bezeichnet werden. Bei der Landtagswahl von Mai 1928 bekamen die Parteien dieses Spektrums eine deutliche Mehrheit, aber in Horsten, wenige Kilometer weiter, lag 1928 die NSDAP bereits bei 56,2 Prozent.
Bei den Reichstagswahlen von März 1933 erzielte die NSDAP im Kreis Wittmund mit 71,0 Prozent (Reichsdurchschnitt 43,9 Prozent) eines ihrer Spitzenergebnisse. In Neustadtgödens kam die NSDAP auf 59,8 Prozent (162 von den insgesamt 271 abgegeben Stimmen), in Gödens auf 75,5 Prozent (336 von 445), in Horsten auf 82,6 Prozent (405 von 490) und in Friedeburg auf 85,3 Prozent (370 von 438).
Für die landständige Bevölkerung war von besonderer Bedeutung, dass der größte Grundbesitzer der Gegend, Haro Burchard Graf von Wedel (1891 – 1966) auf Schloss Gödens, bereits am 10. Februar 1932 in die NSDAP eintrat und als sozial stärkste Person am Ort bis 1937 die Ortsgruppe der NSDAP Gödens-Neustadtgödens leitete. Von ihm waren weite Kreise als Pächter landwirtschaftlicher Grundstücke oder als Landarbeiter mehr oder minder abhängig. Ein anderer Teil der arbeitenden Bevölkerung war auf der Kriegsmarinewerft in Wilhelmshaven beschäftigt. Bei diesem reichseigenen Rüstungsbetrieb wurde größter Wert darauf gelegt, nur solche Arbeitskräfte zu haben, die sich positiv zum Nationalsozialismus stellten. Diese Umstände erklären vielleicht, dass nach 1933 fast die gesamte männliche Bevölkerung des Landstrichs, darunter selbst Männer im vorgerückten Alter, der SA beitrat.7
Dem seit Beginn der 1920er Jahre ansteigenden gesellschaftlichen Druck auf die Juden folgten nach der Machtübertragung an die NSDAP 1933 sofort antisemitische Maßnahmen der Partei, der SA und des Staatsapparats. Robert de Taube erwähnt für die Anfänge der NS-Zeit in seinen Erinnerungen den Boykott vom 1. April 1933, das Umstürzen von Milchkannen an der Straße von Horsten nach Blauhand, Schwierigkeiten beim An- und Verkauf von Weidevieh und bei der Aufnahme von Pferden in das Ostfriesische Stutbuch. Am Eingang zu der zum Grashaus führenden Allee brachte die SA das Plakat „Juden unerwünscht!“ an. In Neustadtgödens und Horsten hing die SA das antisemitische Hetzblatt Der Stürmer in sogenannten Stürmer-Kästen aus. Bei den Kundgebungen und Umzügen der NS-Verbände wurden die üblichen „Kampflieder“ und Parolen gebrüllt. Schleichend schränkten die Behörden den Radius der jüdischen Viehhändler durch Maßnahmen wie Entzug des Führerscheins oder Nichtverlängerung der Wandergewerbeerlaubnis ein, bis sie 1938 das generelle Berufsverbot aussprachen. Nichtjüdische Bauern, die ihre alten Geschäftsbeziehungen aufrecht erhielten, wurden als „Judenknechte“ denunziert und bedroht. Solche Verfolgungen strangulierten