Passkontrolle!. Thomas Claes

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Название Passkontrolle!
Автор произведения Thomas Claes
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783940621573



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kann, dass alle Bürgerinnen und Bürger ein Land verlassen, sich niederlassen, wo sie wollen. Staatliche Identitätszuweisungen machen Kriminalität und jedes abweichende Verhalten fassbar. Jede und jeder erhält einen Namen und eine Nummer, die Anonymität des Individuums in der Gesellschaft wird weitgehend unmöglich gemacht. Identifizierungsdokumente waren folglich schon immer Mittel der Kontrolle. Diese Funktion zeigt auch die „dunkle Seite“ dieser Dokumente: Flüchtlingselend, illegale Einwanderung, die Verhinderung von Flucht in ein rettendes Land, Ausschließung und Diskriminierung von Menschen ohne oder mit den falschen Papieren.

      Gerade die Zunahme der Überwachungsund Kontrollmöglichkeiten durch den Einsatz von Computertechnik wurden und werden in Deutschland wie auch weltweit diskutiert. Die umfangreichen Möglichkeiten dieser Technik stellen frühere Katalogisierungs- und Überwachungsmethoden in den Schatten. Die Bewältigung und Sicherung der digitalen Datenmassen ist für staatliche wie private Stellen eine zunehmende Herausforderung. Gleichzeitig wächst in großen Teilen der Bevölkerung das Bewusstsein für Datenschutz und damit auch die Angst vor Datenmissbrauch.

      Wie viel Überwachung ist also wirklich nötig? Zuviel Überwachung verliert ihren Sinn und wendet sich gegen die Menschen. Ein Übermaß staatlicher Kontrolle beschädigt den Handel und behindert die freien Reisen der Menschen. Zudem ist Reisefreiheit ein Menschenrecht. Artikel 13 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“5 vom 10 Dezember 1948 ist eindeutig: 1. Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen. 2. Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.

      Wenn im Folgenden vielfach vom (Reise-)pass als Kontrollinstrument des Staates auch im Inland die Rede ist, so nicht ohne Grund. Im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts war der Pass auch ein Mittel der „inneren Sicherheit“. Heute ist er zwar hauptsächlich für die Kontrolle des internationalen Verkehrs bestimmt. Doch an die Stelle der Inlandspässe traten in Deutschland die Personalausweise, bzw. ihre historischen Vorläufer. Da es sich auch bei dem Personalausweis um ein Identifizierungsdokument und innerhalb der Europäischen Union sogar um ein Reisedokument handelt, soll im Folgenden auch immer wieder die parallele Entwicklung der Personalausweise behandelt werden.

      Frühe Formen der Pässe und Praktiken der Identifikation

      Das Mittelalter und die Frühe Neuzeit

      Im Mittelalter waren Reisen meist beschwerlich, dauerten lange und bargen zahlreiche Gefahren für den Reisenden. Auch waren die Straßen teilweise in schlechtem Zustand. Etwa seit dem 9. Jahrhundert wurden die ehemals römischen Straßen nicht mehr unter staatlicher Aufsicht gepflegt, nur gelegentlich wurden sie ausgebessert oder neue angelegt. Erst ab dem 12. Jahrhundert begannen die Fürsten und Könige wieder verstärkt mit dem Unterhalt der Straßen. Dennoch reisten viele Menschen im Mittelalter: Könige durchquerten ihr Reich, Kaufleute und Boten reisten zwischen den Städten, Handwerker und Künstler zogen auf der Suche nach Arbeit durch die Lande. Auch Pilger, Bettler und Räuber bevölkerten die mittelalterlichen Straßen. Mit zunehmender Zahl der Reisenden entstanden Gasthäuser und Hospitäler, zunächst an besonders verkehrsreichen Pässen und Flussübergängen. Neue Brücken und Fähren ergänzten ab dem 12. Jahrhundert zunehmend die Straßen und erleichterten das Reisen in Mitteleuropa.6

      Die erste Verordnung zur Reisekontrolle im mittelalterlichen Europa war der Befehl des langobardischen Königs Ratchis von 746, der es jedem Reisenden verbot, das Königreich ohne die schriftliche Genehmigung des Königs zu verlassen. Inwieweit diese Verordnung praktisch umgesetzt werden konnte, ist jedoch fraglich, wenn überhaupt fanden entsprechende Kontrollen wahrscheinlich nur entlang wichtiger Straßen statt.

      Eine besondere Reiseerleichterung für königliche Boten stellten ab dem 9. Jahrhundert die sogenannten „tractoria“ dar. Diese Dokumente verpflichteten alle Amtsleute des fränkischen Reiches, dem Boten eine Unterkunft zu stellen und ihm eine sichere Passage zu ermöglichen.

      Als weiteren Schutz für die Reisenden entstand im Hochmittelalter das Geleit. Das Geleit war ein spezieller Rechtsfriede, der seinen Inhaber unter den Schutz eines Territorialfürsten stellte. Das Geleit konnte schriftlich (durch einen mitzuführenden Geleitbrief) oder lebendig (durch einen einzelnen Geleitknecht oder ganze Geleitmannschaften) wahrgenommen werden. Manche Reisende, wie Fürsten, aber auch Gesandte und Pilger hatten ein Recht auf freies Geleit. Kaufleute mussten jedoch für ihr Geleit bezahlen und waren zudem meist gezwungen, im Rahmen des Geleits die Zollstellen der Fürsten zu passieren.7

      Im Zusammenhang mit der Geschichte der Pässe und Ausweise ist der Geleitbrief von besonderem Interesse. Denn der Geleitbrief war bereits eine Bescheinigung über die Person und enthielt den Verweis auf eine zwar abwesende, jedoch in Text und Siegel präsente Autorität, die den Träger des Dokuments mit besonderem Schutz ausgestattet hatte. Wie heutige Ausweise hatte der Geleitbrief auch eine beschränkte Gültigkeit. Diese konnte von mehreren Tagen bis zu einigen Jahren reichen. Die Gebühren für den Geleitbrief waren entweder bei der Ausstellung oder aber jährlich zu entrichten. Ein wichtiger Unterschied zu späteren Identifizierungsdokumenten ist jedoch festzustellen: Der Geleitbrief wurde durch die aufgeprägten Siegel und Zeichen echt und damit wirksam. Diese waren weitaus wichtiger als der Text des Dokuments, seine Träger wurden meist nicht einmal mit Namen genannt.

      Manche Reisende trugen auch königliche Empfehlungsschreiben, welche ihnen freie Passage und den Schutz vor den Kontrollen der Grenzwachen gewährleisten sollten. Die Träger solcher wertvollen Dokumente waren meist adelige Reisende, die als Gesandte oder Spione (oder häufig auch beides gleichzeitig) im Auftrag ihres Herrschers durch Europa reisten. Boten und Pilger waren meist durch ihre Kleidung oder spezielle Abzeichen als solche zu identifizieren. Soldaten waren hingegen meist in geschlossen Gruppen unterwegs. Reiste ein Soldat alleine, etwa wenn er nach Kriegsende entlassen worden war, so war es nötig, ihn zu identifizieren, um ihn von Deserteuren zu unterscheiden. Daher hatte der französische König Ludwig XI 1462 alle entlassenen Soldaten verpflichtet, einen von ihren Offizieren ausgestellten Ausweis mitzuführen. Diese Entwicklung stellt einen grundlegenden Wandel dar: Waren zuvor Empfehlungsschreiben und Geleitbriefe teure Privilegien gewesen, so wurde nun erstmals ein Ausweis für eine ganze Gruppe von Menschen zur Pflicht. Diese Entwicklung setzte sich weiter fort, so dass bis Anfang des 16. Jahrhunderts immer weitere Gruppen verpflichtet waren, Dokumente zu ihrer Identifizierung zu tragen. So wurde von Kaufleuten und privaten Reisenden verlangt, ein Dokument ihrer Stadt mitzuführen, das ihren Namen nannte und dem Reisenden Rechtschaffenheit attestierte. Auch Pilger waren oft verpflichtet, einen Ausweis mitzuführen. Dieser wurden ihnen von ihrem lokalen Pfarrer oder Bischof ausgestellt.8

      Welche Ausmaße dies annehmen konnte, zeigt beispielsweise der Bericht des Reisenden Anselme Adorno aus dem Jahr 1470, der drei separate Geleitbriefe benötigte, nur um von Köln nach Aachen zu reisen.9

      Trotz des solcherart bereits aufgeblähten Ausweiswesens kann von einer vollständigen Erfassung aller Personen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit keine Rede sein. Denn die vormodernen Ausweise bescheinigten dem Träger stets, eine berechtigte Ausnahme zu sein. Diese Dokumente legitimierten, so Valentin Groebner, das „Nicht-am-Platz-sein“ einer Person. Eine permanente Zugehörigkeit schrieben sie jedoch, anders als moderne Ausweisdokumente, nicht fest.

      Eine besonders intensive Form der Reisekontrolle entstand nach der Entdeckung Amerikas. Bereits 1503 verbot der spanische König die Ausreise von Juden, Konvertiten und Häretikern sowie deren Nachkommen in die Neue Welt. Unter Philipp II. von Spanien wurden diese Maßnahmen nochmals verschärft. Nun musste jeder, der nach Amerika auswandern wollte, einer eigens geschaffenen Behörde umfassende Nachweise über seine Herkunft und seinen Lebenswandel vorlegen. Diese Verwaltung produzierte allerdings solche Papierberge, dass sie nur noch sehr eingeschränkt funktionierte und häufig auf Fälschungen hereinfiel. Philipp II. wurde aufgrund seiner vielen bürokratischen Verordnungen auch „Papierkönig“ genannt.10

      Besonders in Zeiten der Pest erlebte ein weiteres Dokument einen großen Aufschwung: der Gesundheitspass. Diese Form des Passes kam zunächst in Norditalien auf. Er bescheinigte seinem Träger, frei von Pestverdacht oder anderen ansteckenden Krankheiten zu