Название | Den Feigen tritt jeder Lump! |
---|---|
Автор произведения | Frank Winter |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783946938514 |
»Was soll das bedeuten?«, fragte Mittermaier, auf den Fersen wippend.
»Geht das so weiter«, sagte Hecker, »werden wir zukünftig bei jeder Abstimmung einen Antrag auf Absetzung der Regierungskommissare stellen.«
Lorenz Brentano erklärte, dass er ihn unterstützen werde.
Mittermaier fiel fast hin. »Man muss sich wohl verhört haben! Niemand setzt hier einen Regierungskommissar ab!«
Nachdem die Saaldiener das Publikum ins Freie geführt hatten, setzte er das Protokoll fort und stellte den Inhalt der Thronrede zur Diskussion.
»Sehr gerne«, meldete Hecker sich zu Wort. »Nach den gesalbten Worten fragt man sich, wer im großartigen Großherzogtum überhaupt arbeitet.«
»Bitteschön?«
»Es ist immer nur um wohlhabende Klassen gegangen. Dass diese aber nichts bewirken, weiß jedermann.«
»Um Gottes willen! Kein Frevel!«
»Ehrenpflicht der Abgeordneten ist es, die Unbemittelten besonders herauszuheben und nicht ihrer nur mit langen Sätzen zu gedenken, besonders in Zeiten der Not. Im vergangenen Hungerwinter gab es rührende Beispiele. Eine Familie, deren ganze Habe aus zwei Loth Kaffee und einem Stück Brot bestand, ließ die Hälfte davon einer noch ärmeren Tagelöhnerfamilie zukommen. Das ist mehr wert, als wenn Rothschild eine Million schenkt. Solche Akte gehörten mit goldenen Worten in einer solchen Adresse erwähnt. Besonders, da es die Armen betrifft, die nur zu oft von den Besitzenden verachtet werden.«
Geheimrat Nebenius gab zu bedenken, dass Thronreden nicht alles beinhalten können.
Staatsminister von Dusch erläuterte, dass man verschiedene Abstufungen von wohlhabenden Klassen benannt habe, und wer einem Bedürftigen spende, sei doch verhältnismäßig wohlhabender als dieser.
»Wenn ein Bettler einem anderen Bettler etwas gibt, kann man nicht sagen, jener ist wohlhabend! Unser Mittelstand verschwindet! Der Staat muss freie Genossenschaften gründen und die Arbeiter am Gewinn beteiligen. Das ist aber nur in einer freien Gesellschaft, ohne Polizeiaufsicht, mit Freiheit der Presse, möglich. Unser Regent muss geben, was die Zeit gebietet. Wir Abgeordneten wären unwürdig, wenn wir nicht einmal einen Wunsch an die Krone brächten. Mit offenem Vertrauen muss man vor den Fürsten treten und ihm sagen, du gibst, was du kannst, und du kannst es geben. Als die ersten Schriftsteller gegen das Feudalwesen auftraten, hielt man sie für töricht und aberwitzig. Weil man nicht dachte, dass ein freies Bürgertum entsteht, das geringschätzig auf die geharnischten Ritter herabsieht! Würde heutzutage ein Ritter auftreten mit seinem Schild, man würde ihn auslachen. Das Parlament muss für die Souveränität seines Landes kämpfen!«
Er stürmte in den angrenzenden Garten, hinter ihm Itzstein. Nur Fickler blieb noch einen Moment sitzen und trank Schnaps, was Mittermaier nicht sehen wollte. Er hätte den Lümmel rügen müssen. Doch pochte sein armes Herz bereits zu stark. Aufreizend langsam schraubte der Konstanzer den Deckel auf das Fläschchen und begab sich ebenfalls ins Freie, wo Itzstein versuchte, Hecker zu besänftigen: »Es war nur eine Sitzung. Weitere folgen.«
»Mit mehr Gerede und noch größerem Unsinn! Die neue Kandidatur wird nichts bewirken!«
»Geduld, immer Geduld. Wir sollten nicht all die erkämpften Rechte in Baden vergessen: fortschrittlichste Verfassung im deutschen Bund, liberale parlamentarische Kultur und viele Reformerfolge der zweiten Kammer. Insgesamt ein mühsamer, aber guter Weg.«
»Wir werden ihn schwer zu Ende gehen können!«, widersprach Hecker.
»Aber weshalb denn nicht?«
»Im kriechenden Tempo dauert es noch hundert Jahre bis zur Demokratie!«
»Schwätzer von Gottes Gnaden residieren da drinnen«, sagte Fickler. »Ohne drastische Taten kein Erfolg!«
»Was soll das bedeuten?«, fragte Itzstein.
Hecker legte ihm den Arm auf die Schulter. »Die glorreiche Verfassung führte man bereits vor dreißig Jahren ein! Es mag Kollegen wie Nebenius inbrünstige Freude bereiten, sich auf ihren Lorbeeren auszustrecken, doch liberale Abgeordnete müssen voranschreiten.«
»Eben«, sagte Fickler, »ausgemistet wird der Augiasstall!«
Hinter einem Baum notierte Abgeordneter Karl Mathy die umstürzlerischen Worte. Als die Stephanskirche zum Vier-Uhr-Gebet läutete, nickte er und schlenderte davon.
Frankfurt am Main, März 1848
Seit der Französischen Revolution wurde überall nach Friedrich Hecker verlangt. Reden, Zusammenkünfte und die zu beantwortenden Briefe hatten seine Maschine überdreht. In Mannheim forderte man Pressefreiheit. Einundfünfzig südwestdeutsche Liberale trafen sich in Heidelberg und in Offenburg kam es zu einer zweiten, noch größeren Versammlung. Itzstein hatte sämtliche Mitglieder der deutschen Ständeversammlungen und weitere fortschrittliche Zeitgenossen zum Vorparlament in Frankfurt am Main eingeladen. Hecker bemühte sich, seinen Kollegen die Bedeutung der Permanenz einzubläuen. »Unsere Versammlung muss beharrlich tagen, bis die Nationalversammlung, das ständige Parlament, zusammentritt. Trennen wir uns, verschwindet die einzige legale Handhabe der Demokraten und die Sache der Freiheit wird um mindestens fünfzig Jahre zurückgeworfen!« Bei der Sitzung beschloss man lediglich die Wahl eines Fünfzigerausschusses, der Wahlen zur Nationalversammlung vorbereiten und überwachen sollte. Hecker erhielt 171 von 516 Stimmen und nahm den 51. Platz ein. Struve war der 62. Frankfurt verließen beide ohne Illusionen.
»Was soll man von einer Versammlung erwarten, die dem royalistischen Heinrich von Gagern hysterisch Beifall klatscht«, fragte Hecker während der Zugfahrt nach Mannheim. Er hatte die Schuhe ausgezogen und die Füße hochgelegt.
Struve atmete schleppend, damit sein Freund die ungeheure Belästigung unterließ, war doch die rauchende Lok widerlich genug!
»Klägliche Idee, dieser Fünfzigerausschuss!«, schimpfte Hecker. »Warum nicht noch ein Hunderterausschuss im Rücken?«
»Mit dem Zwischenruf, der Bundestag sei eine Leiche, hat er Monarchist Gagern enerviert.«
»Ein kleines Wunder, dass Langnase uns nicht wegen Majestätsbeleidigung in den Kerker werfen ließ. So wie er glotzte.«
»Spion, Spion«, sagte Struve unvermittelt.
»Wo denn?«
»Vor dem Abteil. Auf und ab gehend.«
»Na, wenn schon!«
»Vielleicht wäre es nicht unklug, etwas Obst zu verzehren«, meinte er und stierte auf Heckers Strümpfe. »Wegen der Gesundheit.«
»Gustavs berühmte Gedankensprünge! Nur zu, Freund!«
Struve seufzte, fischte zwei Äpfel aus der alten, schwarzen Aktenmappe und schälte sie altväterlich. Seiner Gesundheit zuliebe war er gezwungen gewesen, auf zahlreiche Mahlzeiten zu verzichten. »Alles zu fett und zuckrig in diesem Frankfurt!« Pedantisch reihte er die Schnitze auf dem Taschentuch.
»Gute Frucht?«
»Bitte was?«, brabbelte Struve.
»Nicht so wichtig. Die Versammlung, bestimmt vertritt er einen dezidierten Standpunkt?«
Struve zeigte auf vollen Mund, kaute wie für Publikum zu Ende, bevor er antwortete. »Erst wird großspurig auf Redefreiheit gepocht. Dann kommt Bassermann daher und beschimpft einen rohrspatzmäßig, weil man die Monarchie abschaffen möchte. Wie soll sich alles zum Guten wenden ohne frei gewähltes Parlament und föderative Bundesverfassung?«
»Ding der Unmöglichkeit. Nicht verwunderlich also, dass man uns beide aus dem Ausschuss wählte. Monarchistische Großschwätzer, die es vorziehen, Verfassungsfragen totzupalavern, bleiben lieber unter sich.«
»Zwei Tage für die Katz!«
»Unserem Ziel nicht einen Schritt nähergekommen!«
Hecker,