Beim Zwiebeln des Häuters. Gerhard Henschel

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Название Beim Zwiebeln des Häuters
Автор произведения Gerhard Henschel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862870462



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Roman Herzog wohnt nicht einmal mehr in einem Haus aus Liebe, und seit Weihnachten ist er sogar in den Globalisierungsvorgängen unbehaust. Was sagt er selbst dazu?

      Ich treffe ihn in Bonn am Rhein am zweiten Weihnachtsfeiertag unter der Konrad-Adenauer-Brücke. Der Bundespräsident hat sich mit Wellblechfetzen zugedeckt und besudelt sich beim Lambruscotrinken. »Ich baue uns ein neues Haus aus lauter Liebe auf«, grölt er. Vor Schreck geht ein Schiff unter, und Roman Herzog brüllt: »Versenkt!« Aber da biegt schon die First Lady um die Ecke und schwenkt ein zum Nudelholz gerolltes Stück Pappe. »Du Betrüger!« zetert sie. »Du Mörder!« Und es beginnt eine wüste Verfolgungsjagd.

      Würden Sie diesem Paar eine Wohnung vermieten?

      taz, 28.12.1995

      Würstchen mit Haarteil

      Heinos Lebensbilanz

      Heino, »das kleine Würstchen aus Oberbilk« (Heino über Heino), wurde 1985 von Franz-Josef Strauß auf dessen Geburtstagsfeier herzlich begrüßt. »Das war eine verkehrte Welt: Ein Ministerpräsident Strauß wartet jahrelang darauf, Heino kennenzulernen – verrückt. Aber es hat mir natürlich unendlich gutgetan. Es bewies mir, dass ich irgend etwas richtig gemacht habe.«

      Das stellt Heino in seiner Autobiographie fest. »Und sie lieben mich doch« – der trotzige Titel verweist auf Heinos Imageprobleme. »Es hat mich schon sehr geschmerzt, dass ich von manchen Leuten für eine Symbolfigur der Rechten gehalten wurde.« Das sei er nie gewesen, sondern »ein richtig armes Schwein« und ein »Hans-Dampf in allen Gassen«, aber auch »ein stilles, zurückhaltendes Kind«, »der Junge aus der Backstube«, ein »Schäferhund-Fan« und Träger eines Haarteils, »und mich beruhigt der Gedanke: Ich bin ja nicht der einzige in der Showbranche, der ein Haarteil trägt. Andere haben auch noch ein Gebiss – ich aber habe noch alle meine Zähne.«

      Politisch tendierte Heino (»Im Grunde meines Kinderherzens war ich Kommunist«) mal hierhin (»Als ich später meine Stimme abgeben durfte, habe ich immer SPD gewählt«) und mal dorthin (»Im Grunde tendiere ich zu den Grünen«), doch über alle Widrigkeiten triumphierte die Liebe. Heino (»Ich liebte die Natur, die freie Landschaft«) liebt seine Heimat (»Das ist mein Fleckchen Erde«). Er liebt aber auch Rudi Schurickes »Caprifischer« (»Ich liebte dieses Lied«), Karin (»Karin hatte eine Super-Figur: lange Beine, schmaler Popo, knackiger Busen; ein edles, schmales Gesicht, langer Pferdeschwanz«), Henny (»Wir taten, was alle jungen Menschen am liebsten tun, obwohl es lange noch keine Pille gab«), Lilo (»Ich habe sie ziemlich schnell geküsst. Es schmeckte wie Erdbeeren mit Sahne«) und Hannelore (»Ich liebte Hannelore, basta«). Speziell Hannelores Gastbeitrag verdanken wir auch die endlich Gemeingut gewordene Kenntnis der Geschehnisse in der dritten Hütte: »Und dann hat er mich hinauf in mein Zimmer unterm Dach begleitet. Und da ist es dann passiert. Endlich! Ich will nur dies verraten: Es war so schön wie noch nie im Leben.«

      Zuvor hatte Heino mehrmals überstürzt den Rückzug antreten müssen. Als »die hübsche Henny«, die er geschwängert hatte, mit ihrer Mutter vor seinem Elternhaus erschien, handelte er sofort. »Ich dachte mir: jetzt musst du aber gucken, dass du schnell zur Hintertür rauskommst auf den Hof. Erstmal Land gewinnen. Weg war ich. Erst eine Stunde später kam ich wieder nach Hause.« Einige Jahre später klingelte seine Jugendliebe Karin an der Haustür, mit einem kleinen Mädchen an der Hand. »Da hat es auch bei mir geklingelt. Das war Karin Theilenberg. Und das kleine Mädchen war mir sehr ähnlich, das sah man auf den ersten Blick.« Wieder reagierte Heino antrittsschnell: »Ich bin mit meinem Schwiegervater blitzartig durch den Hinterausgang geflohen. Wir gingen in eine Kneipe und warteten beim Bier ab, dass sich der Qualm verzieht.«

      Dem Bier blieb Heino treuer als den Frauen, die er zu Müttern gemacht hatte. Er hat Udo Lindenberg zugeprostet (»Wir saßen in Udos Garderobe und tranken ein paar Bierchen«), als junger Zeitschriftendrücker schon vormittags zugelangt (»Um zehn Uhr zog ich los als Treppenterrier, um elf Uhr ging ich in die Gastwirtschaft, ein kühles Bierchen trinken«) und die erste Plattenaufnahme zünftig begossen (»Ich ging in die erstbeste Kneipe und zischte ein paar Bierchen«). Gern kehrt Heino heute noch beim Dorfspaziergang ein (»Im Dorf befindet sich das gemütliche Haus Rupperath, wo ich schon mal ein Bierchen trinke«), und wenn er mit Hannelore wandern geht, trinken die beiden auch einmal zur Abwechslung »in einem Wirtshaus ein Bierchen« – ein Hobby, das Heino mit seinem Freund Hans-Dietrich Genscher teilt: »Er kam immer mit ausgebreiteten Armen auf mich zu, und dann tranken wir schon mal ein Bierchen und redeten über meine Lieder. Genscher hat eine große Heino-Sammlung zu Hause.«

      Alles an Heino ist schlicht – seine Musik, sein Geschmack, sein Herzensgrund, sein Fleckchen Erde, seine Autobiographie und sein Geist. »Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich das Meer: soviel Wasser! So blau! Bis zum Himmel!« Schlichtheit der Gedanken und des Gemüts ist das Programm, das Heinos Fans an Heino lieben, der sich ihren Traum vom Glück so schlicht wie möglich erfüllt hat: »Vor dem breiten Panoramafenster meines gemieteten Hauses in Bad Münstereifel-Eicherscheid sitzend schaue ich in ein wunderschönes Eifel-Tal hinein. Der Blick geht über die Kronen der Bäume, folgt dem Flug von Krähen oder Schwalben, hinüber zu den langgestreckten Hügeln. Dich, mein stilles Tal, grüß ich tausendmal ...«

      Einfalt, Bierseligkeit und musikalisches Banausentum sind kein Grund zur Aufregung. Aber dass selbst die Bergvagabunden der sogenannten politischen Klasse darauf abfahren, stimmt bedenklich. Genscher hört Heino, Rudolf Scharping hört Konstantin Wecker, Gregor Gysi hört Barbara Thalheim, aber Bill Clinton hört Johnny Cash. Es führt kein Weg von Bad Münstereifel-Eicherscheid nach Washington.

      konkret 1/1996

      Was Friedrich Schorlemmer so denkt

      »Spiel das Spiel / Sieh das Ziel / Streu die Saat / Steig aufs Rad / Und sag es weiter« – Friedrich Schorlemmer, Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels und auch Dichter, hat in der Goldmann-Taschenbuchreihe »Querdenken!« veröffentlicht, was er denkt. Sein Erfolg gründet in der Begabung, sich mit unanstößigen Ecken und Kanten zu verzieren, wobei die Rede glatt und seifig bleibt. »Wir wachsen durch das Einander-Befragen«, teilt er mit und predigt gegen »das Weghören und Fernlassen, das Wegblenden und Abstumpfen« und für »das Gespräch der Menschen auf den Dörfern ringsherum«. Denn »Einverstanden sein wächst aus einem Sich-hinein-Verstehen«. Die Phrasensoftware dafür bekommt man über eine Kleinanzeige in der Zeitschrift Pfarrer und PC.

      Schorlemmer ist auch einer der Juroren, die regelmäßig das »Unwort des Jahres« auswählen. Dazu ist er berufen. Er hat die »Rückwärtserinnerung« und die »Mutlatte für den einzelnen« in die deutsche Sprache eingeführt, aber auch die »ideologische Angstlügenglocke« und die »Enkelverträglichkeit allen Tuns und Lassens«. Da muss man sich hinein verstehen. Und kaum weiß man, was Schorlemmer denkt, da erfährt man auch schon, was er ist oder vielmehr zufällig erst einmal nicht ist:

      »Zufällig bin ich keine vertriebene bosnische Muslimin, zufällig kein vertriebener Krajinaserbe, zufällig kein niederländischer Blauhelmsoldat.« Schorlemmer ist etwas tiefer (»Ich bin ein Abgrund«), etwas älter (»Ich bin Adam«), etwas sündiger (»Ich bin Kain«) und etwas großspuriger (»Ich bin Abraham«). Und was nicht noch alles: »Ich bin David, Uria, Bathseba, bin Akteur und Opfer tragischer Beziehungskonflikte, zwischen Lust, Liebe und Verbrechen.«

      Eine klingende Schelle, ein tönend Erz.

      Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.2.1996

      Dariusz Michalczewski!

      Jedesmal, wenn Sie einen Boxkampf gewonnen haben, reißen Sie ihren eingedeutschten Rachen bis zum Anschlag auf und lassen alles in die Kameralinse quellen, was Sie zu bieten haben: Zunge, Zähne, Gaumen und Gaumenzäpfchen. Das ganze Gerümpel. Und wir müssen den Anblick ertragen – kaum eine Woche vergeht, in der uns beim Blättern im Zeitschriftenmüll nicht plötzlich Ihr bescheuertes, feuchtes, mit Gebrüll geblecktes, perlweiß-knallrot gefärbtes Schlundbiotop entgegen klafft. Schön ist was anderes.

      Dem Spiegel haben Sie aber nun erzählt, dass Sie »frei und dicke leben« wollten (»dann scheiße ich auf die Quote«), dass Henry Maske im Gegensatz zu Ihnen nur »Mist geboxt« habe und dass Sie stolz auf Ihre Freundschaft mit Heino seien, »der einfach Bock auf mich