Beim Zwiebeln des Häuters. Gerhard Henschel

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Название Beim Zwiebeln des Häuters
Автор произведения Gerhard Henschel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862870462



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      Gerhard Henschel

      Beim Zwiebeln des Häuters

      Glossen und Verrisse

      1992–2012

      FUEGO

      Über dieses Buch

      Henschels bleibende Texte über Margot Käßmann, Wolfgang Huber, Günter Grass, Slavoj Žižek, L. Ron Hubbard, Herta Müller, Hans Küng und viele andere Figuren des öffentlichen Lebens, die unsere Welt in den vergangenen zwanzig Jahren bereichert und verschandelt haben.

      »Unter den Großschriftstellern mittleren Alters ist Gerhard Henschel der unterschätzteste.«

      Robin Detje

      »Sein ganzes noch junges Leben lang hat mein Freund Gerhard Henschel nichts anderes so innig und nachhaltig und aufopferungsvoll und durchaus nicht karrierefördernd getan wie das Aufdecken von Schleim und Schleimfiguren.«

      Eckhard Henscheid

      Schicksal!

      Es gibt im Menschenleben Augenblicke, wo man Dir näher ist als sonst und eine Frage an Dich frei hat: Wieso hast Du nichts dagegen unternommen, dass sich in der Berliner Körtestraße ein Wäschegeschäft mit dem Namen »Chic Saal« etabliert hat? Anders ausgedrückt: Gilt Nemesis bei den Erinnyen heutzutage als Orchideenfach?

      Wissbegierig:

      Titanic

      Titanic 9/1992

      Ulrich Horstmanns Eis-Vergnügen

      Der in Münster lebende Philosoph Ulrich Horstmann variiert seit 1983, als er die »Konturen einer Philosophie der Menschenflucht« zeichnete, immer wieder einen einzigen Gedanken, welcher besagt, dass der Mensch von Übel sei und alles umsonst. In Talkshows ist Horstmann Heilsbringern wie Rudolf Bahro damit gelegentlich geschickt in die Parade gefahren. 1988 hat er den Kleist-Preis erhalten, und inzwischen ist er zum Quoten-Misanthropen des gehobenen Feuilletons avanciert und nervt. Bei seiner Essaysammlung »Ansichten vom Großen Umsonst«, der ganz besondere Brillanz und polemische Schärfe nachgerühmt werden, handelt es sich leider bloß noch um Weltuntergangsprosa für höhere Töchter: »Das Klima in unserem Inneren steuert jedenfalls nicht auf ein globales Temperaturhoch zu ... immer unterkühltere Innenwelten ... Unsere Seelenlandschaft liegt unter Eis, im Raureif und Permafrost ... Vieles wurde mit starren Fingern geschrieben, aber dafür womöglich ohne Starrsinn ... Und das Inlandeis des Großen Umsonst trägt, was immer sich akklimatisieren kann ...«

      Sire, geben Sie rodelfrei!

      tip 10/1992

      Matthias Horx erklärt die Welt

      Da er sonst nichts gelernt zu haben scheint, betreibt der Journalist Matthias Horx in Hamburg ein »Trendbüro«, das dazu dient, viel Wind zu machen und Kauderwelsch zu verbreiten: »Trendbüro ist eine Agentur für Consulting, Monitoring und Recherche«, schreibt Horx in seinem ersten »Trendbuch«; aber was ist Monitoring? »Monitoring ist ein Scanning-Prozess«, heißt es dazu dunkel brausend. Sein »Scanning der kulturellen Oberflächen« mag Horx eventuell die schnelle Mark bringen, und die sei ihm auch gegönnt – aber ist es nicht sonderbar, mit welchen Tätigkeiten sich in der postmodernen Welt der Schornstein zum Rauchen bringen lässt?

      – Guten Tag, ich bin Bäcker, und was machen Sie?

      – Ich scanne kulturelle Oberflächen.

      – Mit oder ohne Monitoring?

      Um uns in die Geheimnisse der Trendforschung einzuführen, arbeitet Horx mit ruchlosen Wortschöpfungen wie dem »Immermehrismus«, der »Transparent-Welle«, der »Singleisierung«, dem »Ökolozismus« und der »Multiperspektivik«. Für den intellektuellen Zugriff auf die Welt sind solche Löweneckerchenbegriffe ebenso hilfreich wie der Loriotsche Familienbenutzer bei der Haushaltsführung. Rasendes Blabla suggeriert analytische Tiefenschärfe: »Mit diesen vier Parametern – virtuoser Ironie, Hang zu Zynismus, Rückkehr in die Langsamkeit, melancholischer Distanz – lässt sich ein erstes, grobes Grundraster der Jugendmentalität der Mittneunziger zeichnen.«

      Was nicht gar. Langsam, lustig, zynisch und melancholisch, das soll unsere Jugend sein?

      – Guten Tag! Ich erforsche Jugendtrends. Wie fühlen Sie sich?

       – Ich bin virtuos ironisch und melancholisch distanziert, neige zu Zynismus und kehre in die Langsamkeit zurück.

       – Ach?

      Das Layout des Buches ist so quirlig, dass man Kopfweh davon bekommt. Der Trend zum Aspirin wird ungebrochen bleiben; das ist meine eigene kleine Laienprognose.

      Freitag, 12.11.1993

      Verkettung des Sichbetrillerns

      Eine Kamera dringt in die intimste Abgeschiedenheit eines Menschen ein und zeigt uns den Rezensenten. Er sitzt in einem halbrunden, armlosen Ledersessel und beugt sich über das neue Buch von Botho Strauß: »Wohnen Dämmern Lügen«. Es folgt die sehr nahe Aufnahme der Miene des Rezensenten. Grimasse der Skepsis, Randanstrich, einsetzende Verdüsterung.

      Weshalb hat er sich das angetan? Es war doch abzusehen, dass es auch in diesem Buch um nichts Geringeres gehen werde als um »Epochenbruch und Ärasturz«, die Strauß auf die »Tagesordnung des Ewigen« gesetzt hat, ohne uns die »Schlinge des Erbarmens« zu gewähren, so dass die störende »Verkettung des Sichtbetrillerns« kein Ende nimmt.

      Der Rezensent seufzt. Liest weiter. Wir sehen sein »zusammengestürztes Gesicht, Zwetschge der Untröstlichkeit« (Strauß). »Das Gesicht grau wie gestorbene Baumrinde« (Strauß). »Er liest zusehends zaghafter, liest kleinlaut, verschmälert und krümmt sich zwischen Hals und Knie« (Strauß). Wird ihm übel? Kommt es zu einer »Urflutszene«? Mitsamt Epochenbruch und Ärasturz?

      Da, »ach« (Strauß), sinkt der Rezensent in den Sessel zurück, von ganzem Wesen Urteil und Strafe hinnehmend« (Strauß), und es steht eine schwerwiegende Frage im Raum: »Welchen Hof, welchen Beiklang, welche Urweise, welch verschollenen Ruf streift das Wort?« Möglicherweise streift es auch nur die Grenze zum Nonsens, wenn Strauß sein Sehertum und die Kosmologie zur Einheit zwingt: »Aus Myriaden von Galaxien sieht uns ein Kinderkopf mit weltenleeren Augen an.« Kuckuck!

      So kommen die Sätze auf Stelzen daher (»Der Himmel war schwarz wie der edelste Rappe«). Der Rezensent aber bricht die Lektüre ab und überlässt die Zwetschge der Untröstlichkeit getrost der Verkettung des Sichbetrillerns.

      taz, 20.8.1994

      Ernst Jünger am Apparillo

      Am 29. März 1995, Ernst Jüngers Hundertstem, schaltete die Titanic-Redaktion in den Tageszeitungen taz, junge Welt und Die Welt folgende Anzeige:

      Kaum zu glauben, aber wahr: Unser

      Ernst Jünger

      wird heut’ 100 Jahr’!

      Haben Sie Fragen an das Geburtstagskind?

      Ernst Jünger antwortet. Live.

      Persönlich. Nur heute von 11 bis 14 Uhr.

      069/280049. Rufen Sie jetzt an!

      Hier einige Ergebnisse.

      Hallo?

      Ja, hallo, hier Jünger, wer da?

      Herr Jünger! Mein Name ist Bier, Ernst Bier.

      Ja, guten Tag.

      Was ich Sie als mein großes Vorbild und als meinen Mentor schon immer mal fragen wollte: Wie viele Leute haben Sie im Ersten Weltkrieg getötet?

      Och, gar keinen, das ist ja alles nur so Wind, Presse – hallo? Hallo?

      (Aufgelegt.)

      Hallo? Jünger?

      Ja, schönen guten Tag, Herr Jünger, damit hab ich jetzt aber gar nicht gerechnet ...

      Ich aber. Wer spricht da bitte?

      Ich, äh, äh, bin wohnhaft in Berlin. Detlef Lutz.

      Guten Tag, Herr Lutz.

      Ja,