ACID IST FERTIG. Alexander Fromm

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Название ACID IST FERTIG
Автор произведения Alexander Fromm
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783864082153



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zu erhalten.

      Auch Künstler und Intellektuelle versuchten sich an dem Phantasticum, um durch den Perspektivenwechsel neue Einblicke in die Realität zu erhaschen. Schriftsteller wie Ernst Jünger und Aldous Huxley nahmen Meskalin, lange bevor sie LSD probierten.

      Ende der 1950er trat eine weitere Substanz hinzu, die ebenso wie LSD aus einem Pilz gewonnen wurde. Eine Zeitungsnotiz machte 1956 Albert Hofmann auf einen Pilz aufmerksam, der von den Indianern Mexikos im Rahmen ritueller Zeremonien verspeist wurde und im Anschluss Visionen und Halluzinationen erzeugte. Ebenso wie Peyotl ist der Teonanacatl genannte Pilz den Indios heilig. 1957 gelang Hofmann in Basel die Identifikation und Isolation der wirksamen Bestandteile Psilocybin und Psilocin. Die Substanzen gehören wie LSD zu den Indolverbindungen und ähneln dem körpereigenen Botenstoff Serotonin.

      Sechs Jahre nach der Entdeckung der psychischen Effekte brachte der Sandoz-Konzern LSD-25 unter dem Markennamen Delysid in den Handel. Delysid gelangte nicht in den freien Verkauf, konnte aber als Versuchspräparat von Forschungsinstituten und Ärzten bei Sandoz beantragt und kostenlos bezogen werden. Damit begannen die Versuche am Menschen im globalen Maßstab. Die Vorgehensweise mag heutzutage befremdlich wirken, aber angesichts parallel durchgeführter Insulinschocktherapie, hochdosierter Elektroschocks, Deprivation und Lobotomie, für deren Erfindung António Egas Moniz sogar den Medizinnobelpreis erhielt, kann diese Experimentierfreudigkeit durchaus nicht als ungewöhnlich angesehen werden.

      Delysid gab es in fester Form als Dragée à 25 Mikrogramm oder als Flüssigkeit in der Ampulle à 100 Mikrogramm. Dragées haben den Vorteil der eindeutigen Dosierbarkeit, während Tropfen gut in anderen Flüssigkeiten verdünnt werden können. Delysid warb mit folgenden Eigenschaften: Es erzeuge „vorübergehende Affektstörungen, Halluzinationen und Depersonalisationserscheinungen“, was zu einer Lockerung oder gar Aufhebung der Ich-Du-Schranke führen kann. Das sollte vor allem den Patienten helfen Kontakt zu ihrem Therapeuten aufzubauen, die in einem ich-bezogenen Problempanzer eingesperrt lebten. Außerdem führte Delysid zum „Bewusstwerden verdrängter Erlebnisse“ und erleichterte die anschließende Integration des Erlebten.

      Laut Beipackzettel war Delysid explizit für zwei Personengruppen gedacht. Einmal für die Patienten, „zur seelischen Auflockerung bei analytischer Psychotherapie, besonders bei Angst- und Zwangsneurosen.“ Zum anderen für Ärzte und Therapeuten, um an sich selbst „experimentelle Untersuchungen über das Wesen der Psychosen“ durchzuführen und „Einblicke in die Ideenwelt des Geisteskranken“ zu gewinnen. Da die Betroffenen sich auf LSD in einer psychischen Ausnahmesituation befinden, folgte unten fett gedruckt der Hinweis, solange das Medikament wirke, sei eine fachärztliche Überwachung vonnöten. Kein Zweifel, der Geist war aus der Flasche.

      Die Fünfziger.

      Das neue Phantastikum machte in Psychiatriekreisen schnell die Runde, denn sowohl die Wirkung als auch die Anwendungsgebiete schienen fantastisch. Man testete Delysid zum Verständnis von Geisteskrankheiten, als Express-Seelenöffner in der Psychotherapie sowie zur Behandlung von Alkoholismus und Heroinsucht. Hinzu kamen weitere unverhoffte Anwendungsgebiete, denn manche verwendeten das LSD bereits zur Selbsterforschung, als Kreativtrigger oder als mystisches Abendmahl. Da die Wahrnehmung ähnlich verrückt erschien wie nach der Einnahme von Meskalin, konnte das LSD an den schon vorhandenen Meskalin-Diskurs andocken, diesen überlagern und verdrängen.

      Der Autor Ernst Jünger hatte bereits Erfahrungen mit Meskalin gemacht, als er 1951 das neue Produkt aus dem Haus Sandoz probierte. Auch der britisch-amerikanische Schriftsteller Aldous Huxley war Meskalin-erfahren, bevor er sich an Lysergid heranwagte. Huxleys drogenphilosophisches Essay „Die Pforten der Wahrnehmung“, das er im Anschluss an seinen Erstversuch mit Meskalin im Frühjahr 1953 schrieb, wurde zu einem Schlüsseltext der psychedelischen Bewegung und durfte in keiner Wohngemeinschaft der sechziger und siebziger Jahre fehlen. Die darin formulierte Filter-Hypothese besagt, dass das Alltagsbewusstsein nur einen geringen Teil von dem enthält, was über die Sinnesorgane hinein- und über das Gedächtnis zurückflutet. Laut Huxley „verfügt potentiell jeder von uns über das größtmögliche Bewusstsein“, aber um als biologisches Wesen in jedem Augenblick überlebensfähig zu sein, reduzierten Gehirn und Nervensystem diesen Bewusstseinsstrom auf ein elementar wichtiges und überschaubares Rinnsal.6 Gewisse Drogen würden diesen Reduktionsfilter allerdings ausschalten und größere Bereiche des größtmöglichen Bewusstseins zugänglich machen. Seinem Aufsatz hat Huxley ein Zitat des englischen Mystikers William Blake vorangestellt: „Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, erschiene den Menschen alles, wie es ist: unendlich.“ Innerhalb seines Essays verwendet Huxley die Pforten-Metapher im doppelten Sinne: für die Sinnesorgane und für Rauschdrogen. Einerseits sind es die Rauschmittel, die die Pforten der Wahrnehmung, sprich: die Sinne, durchlässiger machen; andererseits sind es die Drogen selbst, die als „Türen“ zu Lehrräumen für die „nonverbale Ausbildung“ oder für „chemische Ferien“ dienen. Jim Morrison fand durch die Lektüre dieses Textes den programmatischen Namen seiner Band: The Doors. Auch die Existenz des Wortes „psychedelisch“ geht auf Aldous Huxley zurück. Im Briefwechsel mit dem britischen Psychiater Humphrey Osmond korrigierte er dessen Vorschlag „psychodelisch“, womit das Vermögen von Meskalin und LSD gemeint war, die Seele zu offenbaren. Abgeleitet ist der Begriff von den griechischen Worten „Psyche“ (Seele) und „delos“ (offenbar, deutlich, klar, einleuchtend).

      Humphrey Osmond, Sidney Cohen, Carlheinz Leuner und Oscar Janiger gehörten zu den Ärzten, die ernsthaft mit LSD experimentierten, Daten erhoben und veröffentlichten. Dr. Janiger hatte 1954 eine LSD-Erfahrung gemacht und infolgedessen in Los Angeles eine Privatklinik eröffnet, in der er unter anderem Stars wie Jack Nicholson, James Coburn und Anaïs Nin mit LSD behandelte. Janiger untersuchte, inwieweit LSD das persönliche Wachstum verbessern sowie die Kreativität steigern konnte. Nebenher erfand er das „Microdosing“, denn er behandelte depressive Patienten, indem er ihnen über einen längeren Zeitraum eine allmorgendliche Minimaldosis verabreichte, die zwar das Wohlbefinden verbesserte, aber keinerlei Halluzinationen bewirkte.7

      Weitere mögliche Einsatzgebiete ersann der US-amerikanische Auslandsgeheimdienst. Ab den fünfziger Jahren entwickelte sich zwischen den USA und der Sowjetunion ein Kalter Krieg. Da man in Regierungskreisen der USA annahm, dass die Sowjetunion an neuartigen Waffen arbeite, setzte die CIA ein spezielles Programm auf und startete eigene Versuche. Das Ziel war es, Bomben zu entwickeln, die nicht töteten, sondern den Feind stattdessen desorientierten, geistig verwirrten und somit kampfunfähig machen sollten. Zu den Stoffen, die zu diesem Zwecke getestet wurden, sich jedoch nicht bewährten, gehörte auch L.S.D. Im Sommer 1953 startete die CIA mit der Operation MK-ULTRA ein Programm zur Bewusstseinskontrolle mittels Drogen.8 Zum einen suchte die CIA nach Substanzen, die als Wahrheitsserum eingesetzt werden konnten, zum anderen erforschte man Methoden, mit denen ein Kriegsgefangener oder feindlicher Agent durch Gehirnwäsche „umgedreht“ werden konnte. Dazu hatte die CIA schon mit Meskalin, Alkohol, hochkonzentriertem Cannabisextrakt und Barbituraten experimentiert.

      Das Konzept der Wahrheitsdroge, die einen Menschen dazu bringt, seine innersten Gedanken und wahren Gefühle zu äußern, war bereits ein Thema vorangegangener Jahrzehnte gewesen. Die schwedische Autorin Karin Boye hatte 1940 den Zukunftsroman „Kallocain“ veröffentlicht, in dem der Forscher Leo Kall die nach ihm benannte Wahrheitsdroge in den Dienst eines absoluten Staates stellt.

      MK-ULTRA war die Idee des späteren CIA-Chefs Richard Helms. Im Namen der nationalen Sicherheit brach man gleich mehrere Gesetze. Um Erfahrungen im Umgang mit LSD zu gewinnen, nahmen anfänglich die involvierten Geheimdienstmitarbeiter und freiwillige Soldaten die Droge. Als der Überraschungseffekt an Ahnungslosen erforscht werden sollte, tröpfelten sich die Geheimdienstleute untereinander die geschmacklose Substanz in die Getränke. Diese Art der Menschenversuche wurde rasch ausgeweitet und verließ unter der wissenschaftlichen Leitung des angesehenen Psychiaters Dr. Ewen Cameron das Regierungsgelände. Ohne vorherige Absprache behandelte Cameron in seiner Klinik einzelne Zivilisten mit einer selbstkreierten Form von Gehirnwäsche – mit dem Einverständnis der CIA. Durch Gaben von hohen Dosen LSD, monatelanger Schlaftherapie, starken Elektroschocks und endlos von Tonband abgespielten Botschaften sollten die Versuchskaninchen „umprogrammiert“