Название | On the Road |
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Автор произведения | Hans-Christian Kirsch |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870592 |
Die erstaunliche Toleranz gegenüber Wahnsinn und Abweichungen von der Norm, die Allen Ginsberg zeit seines Lebens an den Tag legen wird - hier dürfte sie ihre Wurzeln haben.
Im Herbst 1939: Die Deutschen fallen in Polen ein. Naomi ist über drei Jahre in Greystone interniert gewesen. Noch einmal holt Louis sie heim. Sie ist desorientiert, verkriecht sich ins Schlafzimmer. Allen geht zu ihr. Ein Augenblick, der die ganze Misere verrät: ›Sie ging ins Schlafzimmer, um sich aufs Bett zu legen, zu grübeln, zu schlafen, sich zu verstecken - Ich leg mich zu ihr, um sie nicht allein zu lassen - leg mich auf das Bett neben sie - die Jalousien sind heruntergelassen, dämmrig, später Nachmittag - Louis im Vorderzimmer am Schreibtisch, wartet - vielleicht drauf, dass das Hühnchen zum Abendessen kocht.
»Hab keine Angst vor mir, weil ich aus der Irrenanstalt zurückkomme - ich bin deine Mutter -«
Arme Liebe, verloren - eine Furcht - ich liege da. Hab gesagt: »Ich lieb dich, Naomi« - steif, neben ihrem Arm. Ich hätte weinen können.‹5
Die politischen Streitigkeiten zwischen den Eltern leben wieder auf.
Naomi verteidigt den Überfall der Sowjetunion auf Finnland. Louis kann auch nicht immer den Mund halten.
Allen geht inzwischen auf die High-School, bekommt gute Noten in Englisch, arbeitet an der Schülerzeitung mit. Er debattiert über Hitler, denkt auf dem Heimweg von einer Theatervorstellung, von den merkwürdigen Mustern der Hecken und geheimnisvollen Schatten befremdet, über die Ausdehnung des Universums nach... vielleicht, dass das Ende Mauern aus Gummi sind. Aber wie kann das das Ende sein? Jenseits der Gummiwand ist doch wohl auch noch etwas?
Sich selbst sieht er so: ›Starke Brille und ein dünnes Gesicht mit vorstehenden Zähnen, geht zum Zahnarzt, um sie richten zu lassen. Eine Art mentaler Ghoul, völlig losgelöst vom Kontakt mit der Wirklichkeit, existierte er in einer Welt der Zeitungen und der Ästhetik: Beethoven, Leadbelly, Ma Rainey und Bessie Smith.‹6 Er schreibt Gedichte, getraut sich sogar, sie in der Klasse vorzulesen. Seine Englischlehrerin macht ihn mit der Lyrik Walt Whitmans bekannt. Der langschwingende Rhythmus in den Zeilen dieser Verse, die Aufforderung zum Ungehorsam, die Rebellion gegen von den Mächtigen geforderte Anpassung, die hymnische Begeisterung über die Magie der Wirklichkeit rühren ihn an. So denkt, so atmet auch er. Whitman definiert seine politischen Ideale.
Im Winter 1941 wird Naomis Zustand wieder bedenklich. Gibt es Suppe zu den Mahlzeiten, behauptet sie, ihre Schwiegermutter habe Gift hineingeschüttet. Es überkommen sie rätselhafte Anfälle, ein Versagen verschiedenster Körperfunktionen... Bilder, die sich Allen unvergesslich einprägen.
›Eines Nachts, plötzlicher Anfall - ihre Geräusche im Badezimmer - wie ein Krächzen ihrer Seele - Auswurf und rote Kotze kommt ihr aus dem Mund - wässriger Durchfall explodiert aus ihrem Hintern - auf allen vieren vor der Toilette - Urin läuft zwischen ihren Beinen davon...‹7
Wenn Allen von der Schule wegbleibt, um bei ihr zu wachen, erzählt sie ihm ihre Angstphantasien: Allein Buba, der Schwiegermutter, ist es zuzuschreiben, dass man ihr in Greystone vierzig Elektroschocks verabreicht hat.
In der Zimmerdecke sind Drähte eingebaut. Jedes Wort, das sie ausspricht, wird von Präsident Roosevelt persönlich abgehört. Allen holt einen Besenstiel und klopft damit die Zimmerdecke ab, um seiner Mutter zu beweisen, dass da nichts ist. Doch, beharrte sie. Sie hört sie doch reden. Sie geben ihr Namen, heißen sie eine Hure, befehlen dem Agenten, sie zu töten.
Dann springt sie auf und rennt zum Fenster. Die Stimmen haben ihr gesagt, dass der Agent unten auf der Straße steht.
Allen tritt hinter ihr ans Fenster. Es ist ihr zuzutrauen, dass sie sich hinabstürzt.. An einer Bushaltestelle warten ein paar Leute. Der eine Mann sieht aus wie ein Bankangestellter, er trägt einen eleganten Hut. Das ist er, ruft Naomi. Sie öffnet das Fenster, schreit: Fort mit dir, du Mistkerl.
Dann plötzlich erklärt sie, sie sei so müde, brauche Ruhe, müsse sich erholen.
Allen muss den Hausarzt anrufen, den sie anfleht, sie in eine Klinik in Lakewood einzuliefem. Erstaunlicherweise stimmt der Arzt ihrem Ansinnen zu.
Naomi packt einen Koffer, weigert sich, den Lift zu benutzen, weil sie fürchtet, der Fahrstuhlführer könne ihr Weggehen den Spitzeln melden.
Auf der Straße hält sie sich den hochgestellten Kragen ihres Mantels vor den Mund, um sich so gegen die von ihrer Schwiegermutter ausgestreuten Bazillen zu schützen.
Naomi und der fünfzehnjährige Allen sprechen in mehreren Sanatorien vor. Sie werden aber überall abgewiesen.
Endlich gelingt es Allen, die Aufnahme der Mutter durchzusetzen. Man führt sie in ein Zimmer unter dem Dach. Allen raunt der Mutter zu, sie solle sich still verhalten. Hier sei sie in Sicherheit. Er werde jetzt heimfahren, um Louis zu verständigen.
Nein, ruft sie, Louis dürfe nichts erfahren. Er werde sonst sofort Spione ausschicken, um sie überwachen zu lassen. Er werde sie vergiften. Der einzige Grund, warum er sie überhaupt am Leben gelassen habe, sei der, dass er sie früher geliebt habe. Ginge es nach seiner Mutter, sei sie schon längst tot.
Als Allen sie einigermaßen beruhigt hat, tritt er die lange Rückfahrt nach Paterson an.
Daheim wartete der Vater schon verängstigt. Um zwei Uhr nachts kommt ein Telefonanruf. Naomi ist barfuß hinunter in die Empfangshalle gekommen, hat an Türen geklopft und alte Frauen in ihren Zimmern erschreckt. Dann hat sie sich verbarrikadiert. Sie hat Mussolini, Hitler und ihre Schwiegermutter verwünscht.
Die bestürzten Pfleger verlangen von Louis, dass er seine Frau sofort abholen kommt.
Um halb sieben Uhr morgens macht er sich von Paterson mit dem Bus über Newark auf den Weg.
Auf dem Weg von der Anstalt zur Busstation hat er alle Mühe, ihrer Herr zu werden. Sie stürzt in eine Apotheke und verlangt dort eine Bluttransfusion. Louis kann sie endlich beruhigen und zur Bushaltestelle führen. Aber als der Bus ankommt, weigert sich der Fahrer, die offensichtlich gemeingefährliche Frau einsteigen zu lassen. Louis telefoniert mit Greystone und setzt durch, dass man seine Frau dort aufnimmt. In der Staatlichen Nervenheilanstalt bleibt sie während der nächsten zwei Jahre.
Allen wird sechzehn. Er beobachtet Sterne. Er polemisiert gegen die Anhänger der Isolationspolitik. Er hört Musik: Gershwin und Aaron Copland. Sein Bruder Eugene, der von der Lehrerausbildung zum Jurastudium gewechselt hat, wird zur Armee einberufen. Allen betätigt sich bei der Zivilverteidigung. Er arbeitet als Laufbursche in der Öffentlichen Bibliothek und verdient dreizehn Cent in der Stunde. Einmal schleicht er sich heimlich in das Büro der Bibliothekarin, entnimmt aus dem Giftschrank den Krafft-Ebing und schlägt darin das Stichwort ›Homosexualität‹ nach.
Er will herausfinden, ob er schwul ist. Wenn er sich verliebt, sind es immer Jungen. Einer, für den er besonders schwärmt, heißt Paul Roth. Er ist ein halbes Jahr älter als Allen und geht mit einem Stipendium an die Columbia University in New York.
Allen will seinem Idol dorthin folgen und bewirbt sich ebenfalls an dieser Universität. Er bekommt ein Stipendium.
An dem Tag, an dem er mit der Fähre von Hoboken nach Manhattan übersetzt, legt er vor sich selbst den Schwur ab, sein Leben dem Dienst an der Arbeiterklasse zu widmen.
Er besteht die Aufnahmeprüfung. Aber dem Jungen, in den er verliebt ist, begegnet er an der Universität selten. Er hört Jura. Er ist entschlossen, Anwalt für Arbeitsrecht zu werden.
In Columbia sind die Kriegsmarinekadetten eingezogen. Die zivilen Studenten hat man ausgelagert.
Allen wird in einem großen Apartmenthaus des Union-Theological-Seminars, einen halben Block vom Campus entfernt, untergebracht.
Einige