Musste Jesus für uns sterben?. Helmut Fischer

Читать онлайн.
Название Musste Jesus für uns sterben?
Автор произведения Helmut Fischer
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783290176822



Скачать книгу

die Stichwörter »Herrschaft«, »Reich« und »König« konnten den Römern leicht als politischer Anspruch und als politisches Umsturzprogramm und damit als ihren Zuständigkeitsbereich vermittelt werden.

      Die römische Justiz handelt

      Im Sinne dieser politischen Anklagen scheint dann auch der Prozess Jesu abgelaufen zu sein, nämlich im Stil einer dringenden römischen Polizeimaßnahme gegen einen gefährlichen |16| Aufrührer. Für einen ordentlichen römischen Strafprozess waren eine schriftliche Vorladung, ein Verteidiger und ein Protokollant erforderlich. Davon hören wir aber nichts. Es war also ein »kurzer Prozess«, wie er für kurzfristig zu klärende Notfälle vorgesehen war. Die Tafel, die über dem Kreuz Jesu angebracht wurde (der Titulus), verkündete das offiziell festgestellte strafwürdige Delikt. Es lautete: »Jesus Nazarenus Rex Judeorum« – »Jesus von Nazaret, König der Juden«. Wer unerlaubterweise den Königstitel führte, beging nach römischem Recht ein Majestätsverbrechen, das mit dem Tode bestraft wurde. Für Rom war dieser ganze Vorgang eine Routinebagatelle, mit der sich der Prokurator eines vermeintlichen politischen Aufrührers entledigte. Für die jüdische Priesterschaft war es nach Lage der Dinge die beste Lösung. Für die Jünger war es eine Katastrophe.

      Hat Jesus seinen Tod erwartet?

      Angesichts der Zwangsläufigkeit, mit der das Wirken Jesu und die Reaktionen der jüdischen Priesteraristokratie sowie der römischen Justiz zu Jesu Tod führten, kann man die Frage stellen, ob Jesus diesen Tod bewusst herbeizwingen wollte. Dafür gibt es aber keinerlei Anhaltspunkte.

      Erwägenswert ist allerdings die Frage, ob Jesus mit seinem Tod rechnen konnte. Die Haltung der Tempelpriesterschaft konnte ihm ja nicht verborgen geblieben sein. Beim letzten Abendmahl sagte er nach dem Wort über Brot und Kelch: »Ich werde von der Frucht des Weinstocks nicht mehr trinken bis zu dem Tag, da ich aufs Neue davon trinken werde im Reich Gottes.« (Mk 14,25) Danach jedenfalls |17| scheint er seine Situation realistisch eingeschätzt zu haben.

      Deutlich ist schließlich, dass er in den Verhören durch den jüdischen Hohen Rat und durch Pilatus offenbar nichts getan hat, um die Anklage, er sei ein politischer Revolutionär, zu entkräften. Als er von Pilatus gefragt wurde: »Bist du der König der Juden?«, d. h. erhebst du den Anspruch, König der Juden zu sein (was Pilatus im politischen Sinne meinte), da sagte er unumwunden »Ja« und verstand das in seinem Sinne der Königsherrschaft Gottes, die er ja stets verkündet hatte. Er äußerte sich auch zu den anderen Anklagen nicht, die gegen ihn vorgebracht wurden. Wir wissen nicht, wie historisch zuverlässig diese Verhörszenen dargestellt sind. Sie entsprechen aber sehr genau der Haltung eines aus dem Geiste Gottes Handelnden, die Paulus mit dem weisheitlichen Satz umschreibt: »Lass dich vom Bösen (in der Gestalt des Verfolgers) nicht besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute.« (Röm 12,21), nämlich mit jenem Geist der Liebe, die auch den Feind einschließt.

      Das Todesurteil sollte unverzüglich vollstreckt werden, und zwar durch Kreuzigung, jene besonders abschreckende und entehrende Todesart, bei der der Todeskampf oft mehrere Tage dauern konnte, bis schließlich Lähmungserscheinungen und Herzversagen der Qual ein Ende bereiteten.

      Geißelung und Verspottung gehörten zum Ritual der Kreuzigung. Der Leichnam blieb am Kreuz hängen. Er war |18| selbst in seiner Qual den Menschen zu Spott und Verachtung und den Vögeln zum Fraß freigegeben.

      Die Hinrichtungsstätte Golgota lag nordwestlich außerhalb der Jerusalemer Stadtmauern auf einer Felskuppe. Jesus wurde hier um die Mittagszeit gekreuzigt. Er verstarb ungewöhnlich rasch bereits nach drei Stunden mit einem lauten Schrei (Mk 15,37). Jünger, die »letzte Worte« hätten hören können, waren nicht anwesend. Einige galiläische Frauen (unter ihnen Maria von Magdala) standen in der Nähe. Nicht mehr zu klären ist, ob die Geschichte, nach der Josef von Arimatäa den Leichnam von Pilatus erwarb und ihn noch am Abend in seinem eigenen neuen Felsengrab bestattete (Mk 15,42–45), einen historischen Kern hat.

      Die Frage nach der Schuld am Tod Jesu, die in der Geschichte zwischen Juden und Christen eine so verhängnisvolle Rolle gespielt hat, lässt sich sinnvoll gar nicht stellen und noch weniger beantworten. Feststellbar ist lediglich, dass Jesu Botschaft und Verhalten beim Volk, bei den jüdischen Religionsführern und bei der römischen Justiz Reaktionen auslösten, die unter den damaligen Gegebenheiten mit einer nachvollziehbaren Handlungslogik aller Beteiligten zu dem bekannten Ende geführt haben. Auf keinen Fall kann und durfte jemals aus den Reaktionen des damaligen jüdischen Rates eine Kollektivschuld des jüdischen Volks am Tod Jesu hergeleitet und als Vorwand für judenfeindliche Aktionen missbraucht werden. Die Frage nach den Schuldanteilen an Jesu Tod hat allerdings bereits die biblischen Texte beschäftigt und geprägt. Erkennbar ist |19| dort eine zunehmende Tendenz, die Verantwortung für den Tod Jesu von der römischen Besatzungsmacht auf den Hohen Rat der Juden zu verlagern.

      Wer die bisherigen Ausführungen mit dem vergleicht, was in den Evangelien über die Vorgänge um Jesu Tod zu lesen ist, der wird sich wundern, wie viel davon noch nicht zur Sprache gekommen ist. Die Rede war bisher nur von dem, was als historisch gesichert oder als wahrscheinlich gelten kann. Die Passionsgeschichten der Evangelien sind keine historischen Protokolle, sondern Christuszeugnisse aus der Sicht der nachösterlichen Gemeinde.

      Die Passionstexte sind wohl die ältesten zusammenhängenden Erzählüberlieferungen der jungen Christenheit. Sie bilden auch den Kernbestand des ältesten Evangeliums, das des Markus, das um 70 entstanden ist, also etwa vierzig Jahre nach Jesu Tod. Der Theologe Martin Kähler hat daher das Markusevangelium als eine »Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung« charakterisiert. Die Passionsgeschichte bezieht sich zwar auf Jesu Weg hin zum Tod, sie hat dennoch keinen zusammenhängenden Erzählfaden, sondern ist aus Einzeltraditionen zusammengesetzt, die von Markus und von den Verfassern der anderen Evangelien bearbeitet und ergänzt worden sind. Dabei ging es nicht um die Ergänzung der spärlichen historischen Fakten, sondern um Deutungen der Geschehnisse, um Einbindung der Passionsereignisse in den Christusglauben, um Bekenntnisse, die sich seit Ostern zu artikulieren beginnen. Diese Bekenntnisse, Deutungen und Predigten können selbst |20| wieder in der Form von Erzählungen gestaltet sein. Das ist für die Erzählweise der Alten Welt ganz normal und bis heute in der erzählenden Literatur üblich. (Wenn Ricarda Huch in ihrer Geschichte des Dreissigjährigen Kriegs Dialoge der handelnden Personen wiedergibt, so hat sie gewiss nicht an den Türen gelauscht. Sie hat diese Personen, deren Denken, deren Motive des Handelns und deren Charakter in diesen Dialogen zum Ausdruck gebracht und zugleich auch ihr Verhältnis zu diesen Personen.) Über den Charakter der biblischen Texte wird im Zusammenhang mit den Deutungen des Todes Jesu noch ausführlicher zu sprechen sein. An dieser Stelle genügt die Feststellung, dass wir die Texte der Passionsgeschichte nicht als historische Berichterstattung, sondern als Ausdruck des nachösterlichen Jesusverständnisses zu lesen haben.

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

      Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

      Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или