Musste Jesus für uns sterben?. Helmut Fischer

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Название Musste Jesus für uns sterben?
Автор произведения Helmut Fischer
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783290176822



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der Juden.

      Vor diesem politischen Hintergrund fragt der faktengläubige Zeitgenosse als Erstes nach dem, was wir historisch gesichert über Jesu Tod wissen. Diese Frage führt sehr direkt und sehr schnell zu der Erkenntnis, dass Jesu Tod am Kreuz ein historisch unbestrittener Tatbestand ist und nicht eine religiöse Fiktion, wie immer wieder behauptet worden ist. Es hat ja bis in die Gegenwart nicht an Versuchen gefehlt, die ganze Person Jesu als eine Konstruktion von Theologen, als Wunschbild einer frommen Phantasie oder als einen zeitlosen Mythos darzustellen. Deshalb seien gleich zu Beginn die Zeugnisse von zwei der bedeutendsten Historiker ihrer Zeit in Erinnerung gerufen, einem Juden und einem Römer. Beide standen in kritischer und ablehnender Distanz zum Christentum, und sie schrieben Geschichte jeweils aus der Sicht ihres Volkes. Sie sind über jeden Verdacht erhaben, christliche Propaganda zu betreiben.

      Der jüdische Historiker Josephus (37/38 – nach 100) berichtet in seiner 93 erschienenen Weltgeschichte des jüdischen Volkes in einer kurzen Notiz von Jesus, von den Anfängen der Jesusbewegung und den ersten christlichen Gemeinden. Er charakterisiert Jesus als einen weisen, tugendhaften Mann, der viele Jünger unter Juden und aus anderen Völkern hatte. Dieser Jesus sei dann von Pontius Pilatus, dem römischen Prokurator, zum Tod durch Kreuzigung verurteilt und hingerichtet worden.

      Der römische Aristokrat und Geschichtsschreiber Tacitus (55/56 – etwa 120), der hohe römische Staatsämter bekleidete und auch Prokonsul in Asien war, berichtet in seinen Annalen von dem verabscheuungswürdigen Aberglauben der »Christiani« im Zusammenhang mit deren |11| Verfolgung durch Kaiser Nero, der die Christen für den Brand Roms im Jahre 64 verantwortlich machte. Tacitus schreibt: »Der Name ›Christiani‹ stammt von Christus, der unter Kaiser Tiberius vom Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden war.« (Annales 15,44,3)

      Beide nichtchristliche Autoren dokumentieren aus je ihrer Sicht, aber in der Sache übereinstimmend, dass Jesus das Haupt einer Jüngergemeinde war, und dass er durch den römischen Prokurator Pontius Pilatus in Jerusalem zum Tod durch Kreuzigung verurteilt und hingerichtet wurde. Für Juden und Römer war dieses Ereignis in jener Zeit kaum der Rede wert. Für die Jünger Jesu war es ein Ereignis von historischer Tragweite. In der späteren Geschichte der Kirche sollte Jesu Tod als ein tödliches Instrument zur Verfolgung der Juden missbraucht werden. Was also kann als historisch gesichertes Wissen über die Umstände des Todes Jesu gelten?

      Die Rechtslage für die Zeit des Todes Jesu ist bekannt und eindeutig. Die Kapitalgerichtsbarkeit, also das Recht, ein Todesurteil auszusprechen und zu vollstrecken, lag zu jener Zeit in der Hand der Römer. Im Johannesevangelium (18,31) sagen die Juden historisch zutreffend: »Uns ist nicht erlaubt, jemanden hinzurichten.« So besteht kein Zweifel: Das Todesurteil über Jesus und Jesu Hinrichtung war rechtlich gesehen ausschließlich Sache der römischen Besatzungsmacht. Das Todesurteil konnte nur der oberste Gerichtsherr der Provinz Judäa, der Prokurator Pilatus, aussprechen, |12| und das Urteil konnte nur von römischen Vollzugsbeamten vollstreckt werden.

      Die Kreuzigung war zur damaligen Zeit eine römische Vollzugsform der Todesstrafe. Sie galt, abgesehen von ihrer unvorstellbaren Grausamkeit, als die schimpflichste Strafe der Alten Welt, die von den Römern besonders für Sklaven und für nichtrömische Aufrührer und Verbrecher vorgesehen war. Die jüdische Form der Hinrichtung war die Steinigung oder die Enthauptung. So ist auch Jesu Tod durch Kreuzigung ein sicheres Indiz dafür, dass sein Prozess, sein Todesurteil und seine Hinrichtung rechtlich gesehen in der alleinigen Verantwortung der römischen Justizbehörden lagen.

      Jesu Auftreten führt zum Konflikt

      Nicht so eindeutig wie die Rechtslage ist die Frage zu klären, wer den Anstoß zu dem Prozess und zur Verurteilung gegeben hat und aus welchen Gründen Jesus hingerichtet worden ist. Ein Konflikt mit der religiösen jüdischen Obrigkeit oder/und mit der staatlichen römischen Justiz zeichnete sich erst ab, als Jesus das mit jüdischen Passapilgern überfüllte Jerusalem betrat. Gewiss war ihm sein Ruf als Wunderheiler vorausgeeilt. Und seine Verkündigung vom nahen Ende und dem Anbruch der Königsherrschaft Gottes und einer neuen Zeit hat bei seinen Hörern vielfältige und unterschiedliche Erwartungen ausgelöst: religiöse, politische, soziale. Diese Erwartungen werden ihm beim Volk |13| viele Sympathien und zunächst auch viel Zustimmung eingebracht haben.

      Die jüdische Priesterschaft reagiert

      Aus der Sicht des jüdischen Hohen Priesters und seiner Religionsbehörde stellte sich Jesu Auftreten anders dar. Die Kunde von seinem freien Umgang mit dem jüdischen Gesetz war sicher auch bis nach Jerusalem gedrungen. Er hatte das Sabbatgebot vielfach missachtet. Er pflegte Gemeinschaft mit Zöllnern und Sündern und stellte sich damit demonstrativ auf deren Seite. Er predigte im Tempelbezirk mit großem Zulauf. Er griff dabei den Tempelkult an und warf die Tische der Geldwechsler um. Er weissagte sogar, dass Gott an die Stelle dieses alten Tempels einen neuen setzen werde. In den Augen der jüdischen Priester war dieser Mann eine Gefahr für die Gesetze des jüdischen Glaubens und für die religiöse Ordnung. Besonders sensibel reagierte die Priesterschaft auf die Tempelkritik. Denn die Kritik des Tempelkults berührte die Interessen des Hohen Rats, sie stellte die Legitimität der priesterlichen Privilegien in Frage und erschütterte die finanzielle Basis all derer, die an der Organisation des Tempelkults beteiligt waren bis hin zu den Geldwechslern und kleinen Taubenhändlern. Das mag auch beim späteren Stimmungsumschwung im Volk eine Rolle gespielt haben, da viele mitbetroffen waren. So musste vor allem die Priesterschaft ein großes Interesse daran haben, diesen Störenfried angesichts des bevorstehenden Passafestes so schnell und so nachhaltig wie möglich aus dem öffentlichen Verkehr zu ziehen.

      |14| Festnahme und Verhör

      Jesus war durch die jüdische Tempelpolizei im Schutz der Nacht festgenommen worden. Man wollte öffentliches Aufsehen vermeiden. Ein Anhänger Jesu scheint dabei eine Rolle gespielt und die Tempelpolizei zum Aufenthaltsort Jesu geführt zu haben. Die übrigen Jünger flohen aus Angst vor Verfolgung in ihre galiläische Heimat. Nur wenige Frauen blieben in Jerusalem zurück. Ob ein Prozess vor dem Hohen Rat in der gleichen Nacht in der Weise stattgefunden hat, wie es im Markusevangelium (14,54–65) zu lesen ist, ist eher unwahrscheinlich. Ein ordentlicher Prozess war es wohl nicht. Nach der damaligen Prozessordnung durften Prozesse, in denen es um ein todeswürdiges Verbrechen ging, nur am Tag stattfinden. Hier wurde aber nachts verhandelt. Gerichtsverhandlungen durften grundsätzlich nicht am Sabbat, an Festtagen und an den vorausgehenden Rüsttagen abgehalten werden. Der geschilderte Prozess soll aber in der Passanacht stattgefunden haben. Ein Todesurteil durfte nicht innerhalb der Sitzung des ersten Verhandlungstages gefällt werden. Es durfte erst am folgenden Tag in einer neuen Sitzung ausgesprochen werden. Als regulärer Versammlungsort war die Quaderhalle innerhalb des Tempels vorgesehen, die freilich nachts nicht zugänglich war. Der Hohe Rat war aber für die Verhandlung im Palast des Hohen Priesters zusammengekommen. Diese Widersprüche zum damals geltenden Prozessrecht sprechen dafür, dass es einen regulären Prozess des Hohen Rates gegen Jesus gar nicht gegeben hat. Es handelte sich wohl nur um ein Verhör, in dem jene Anklagepunkte ermittelt wurden, die der Hohe Rat der römischen Justiz als plausibel und vertretbar vortragen konnte.

      |15| Der Hohe Rat braucht gerichtsverwertbare Anklagepunkte

      Was war für die römische Justiz, welche die Rechtshoheit besaß, in einem Prozess gegen Jesus verwertbar und was nicht? Unbrauchbar war jedenfalls alles, was innerjüdische Konflikte betraf, z. B. Verstöße gegen Regeln oder Ordnungen der jüdischen Religion, Kritik am Tempel, der Vorwurf falscher Prophetie oder der Gotteslästerung. In solche innerjüdische Angelegenheiten mischten sich die Römer nicht ein.

      Jesus musste also so dargestellt werden, dass er aus der Sicht der römischen Behörde als politischer Unruhestifter und Aufrührer und damit als eine Gefahr für die öffentliche Ordnung erschien. Der Hohe Rat wollte vor allem die für ihn bedrohliche