Название | Reform oder Blockade |
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Автор произведения | Andreas Zumach |
Жанр | Изобразительное искусство, фотография |
Серия | |
Издательство | Изобразительное искусство, фотография |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783858699121 |
Die Zahl der Menschen, die von Kriegen und anderen Gewaltkonflikten betroffen sind, von Hungerkrisen und Seuchen wie Ebola und aktuell seit 2020 der Corona-Pandemie oder von – zunehmend auch durch den Klimawandel ausgelösten – Naturkatastrophen, ist seit Beginn des Jahrtausends stärker angewachsen als in den vorherigen 55Jahren der UNO-Geschichte. So hat sich die Zahl der vom UNHCR weltweit registrierten Flüchtlinge seit 2000 von damals rund 27 Millionen bis Ende 2014 auf über 50 Millionen fast verdoppelt. Bis Ende 2020 war die Zahl der Flüchtlinge auf 80 Millionen angestiegen.
Seit dem extremen Krisenjahr 2014 hat sich die Schere zwischen den für die humanitäre Versorgung der betroffenen Menschen erforderlichen Finanzmitteln und den Beträgen, die die Mitgliedstaaten für diesen Zweck tatsächlich zur Verfügung stellen, noch weiter geöffnet. Noch im Herbst 2020 fehlten dem UNHCR 50 Prozent der für dieses Jahr benötigen Haushaltsmittel.
Verschärfend kommt hinzu, dass manche Mitgliedstaaten die von ihnen zunächst zugesagten Mittel überhaupt nicht, nicht vollständig oder nur mit großer Verspätung an das UNHCR überweisen. Diese Diskrepanz zwischen Zusagen der Mitgliedstaaten und tatsächlich gezahlten Geldern erleben auch andere humanitäre Organisationen wie das UNO-Kinderhilfswerk (United Nations Childrens Fund, UNICEF) und das UNO-Entwicklungsprogramm (United Nations Development Programme, UNDP), auch das Genfer Büro der UNO zur Koordinierung humanitärer Maßnahmen (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, OCHA) häufig. Ein besonders dramatisches Beispiel geschah 2015. Das UN-Hilfswerk für die Palästinenser (UNRWA) musste Ende Januar den Wiederaufbau der im Gazakrieg vom Sommer 2014 durch israelische Luftangriffe zerstörten Wohnungen von über 100’000 Menschen und anderer lebenswichtiger Infrastruktur abbrechen. Auf einer vom OCHA organisierten Geberkonferenz im Oktober 2014 hatten die Teilnehmerstaaten zwar 4,3 Milliarden US-Dollar zur Finanzierung der Wiederaufbaumaßnahmen im Gazastreifen zugesagt. Doch bis Ende Januar 2015 wurde nur ein Bruchteil der versprochenen Gelder an die Kasse von OCHA überwiesen.
Seit die USA im September 2019 ihre Beitragszahlungen an die UN-WRA völlig eingestellt haben, hat sich die Finanzkrise weiter verschärft.
Fast 250 Dollar pro Erdbewohner für Rüstung und Militär, aber nur sieben Dollar für die UNO
Die wachsende Deckungslücke bei den Haushalten der humanitären Organisationen der UNO mit all ihren unmittelbaren negativen Auswirkungen für viele Millionen hilfs- und versorgungsbedürftige Menschen unterstreicht zwei grundsätzliche Probleme der Finanzierung des UNO-Systems, die sich seit Ende des Kalten Krieges erheblich zugespitzt haben. Die allermeisten Mitgliedstaaten sind nicht bereit, der Arbeit des UNO-Systems grundsätzlich größere Priorität einzuräumen und entsprechend mehr Finanzmittel bereitzustellen. Das zweite Problem ist die bisherige Finanzierungsstruktur des UNO-Systems. Nur ein sehr geringer Teil seiner jährlichen Haushaltsmittel wird durch völkerrechtlich verbindliche Pflichtbeiträge der Mitgliedstaaten aufgebracht. Der weitaus größte Teil der Haushaltsmittel kommt aus freiwilligen Beiträgen der Staaten. Diese Finanzstruktur beeinträchtigt die Planungssicherheit für die Arbeit der UNO und erlaubt es einzelnen Staaten, durch die Gewährung beziehungsweise die Verweigerung freiwilliger Beiträge, in oftmals problematischer Weise die Arbeit der UNO entsprechend ihrer jeweiligen nationalen Interessen zu steuern.
Im Jahr 2019 gaben die 193 UNO-Mitgliedstaaten laut dem Stockholmer Institut für Friedensforschung (SIPRI) knapp 1,92 Billionen US-Dollar (1920 Milliarden) für Rüstung und militärisches Personal aus. Das war inflationsbereinigt die höchste Summe seit Ende des Kalten Krieges. Allein zwischen 2018 und 2019 stiegen die weltweiten Militärausgaben um 3,8 Prozent, der größte Zuwachs seit 2010. 1,92 Billionen US-Dollar waren 2,3 Prozent des weltweiten Bruttoinlandproduktes (BIP) von 87,55 Billionen US-Dollar oder 248 US-Dollar pro Kopf der 7,71 Milliarden Menschen, die Ende 2019 auf der Erde lebten. Für das gesamte UNO-System hatten die 193 Mitgliedstaaten 2019 jedoch lediglich rund 53 Milliarden US-Dollar übrig, 0,065 Prozent des weltweiten BIP, weniger als sieben US-Dollar pro Erdbewohner.
Der SIPRI-Bericht für das Jahr 2020 lag bei Redaktionsschluss dieses Buches noch nicht vor, doch nach einer Übersicht über die nationalen Haushalte der 193 UNO-Staaten dürften die globalen Militärausgaben auch 2020 weiter angestiegen sein. Und die bis Ende Dezember 2020 bereits verabschiedeten Militärbudgets der USA, Russlands, Chinas, Deutschlands und anderer Länder für 2021, die alle zum Teil deutliche Steigerungen aufweisen, lassen eine Fortsetzung dieses Negativtrends erwarten. Zugleich wird die UNO 2021 und wahrscheinlich auch in den Folgejahren mehr Geld als je zuvor benötigen, vor allem wegen der dramatischen humanitären Auswirkungen der Corona-Pandemie. Bereits bis Ende 2020 stieg die Zahl der weltweit Hungernden auf über 800 Millionen. Das Genfer Koordinationsbüro für humanitäre Angelegenheit der UNO (OCHA) erwartet, dass 2021 mehr Menschen auf humanitäre Überlebenshilfe und Unterstützung angewiesen sein werden als je zuvor.
Die Finanzierungsstruktur des UNO-Systems beruht auf den folgenden vier Säulen.
Regulärer Haushalt der UNO
Der »reguläre« oder auch »ordentliche Haushalt« der UNO wird von der Generalversammlung in New York für jeweils zwei Jahre beschlossen und durch verbindlich festgelegte prozentuale Pflichtbeiträge der Mitgliedstaaten finanziert. Aus diesem Haushalt werden die Betriebs-, Personal- und Programmkosten der Organe der fünf Kerninstitutionen der UNO bestritten. Das sind das Generalsekretariat, die Generalversammlung, der Sicherheitsrat, der Internationale Gerichtshof und der Wirtschafts- und Sozialrat (Economic and Social Council, ECOSOC) nebst den von ihm koordinierten Spezialprogrammen und Regionalbüros.
Laut Artikel 17 der UNO-Charta muss der reguläre Haushalt von sämtlichen Mitgliedstaaten nach einem von der Generalversammlung festzulegenden Verteilungsschlüssel finanziert werden. Ein Mitglied verliert sein Stimmrecht in der Generalversammlung, wenn es mit der Zahlung seiner finanziellen Beiträge für zwei Jahre im Rückstand ist (Artikel 19 der UNO-Charta).
Die prozentualen Pflichtbeiträge der Mitgliedstaaten zum regulären Haushalt werden alle drei Jahre neu festgelegt. Der Beitragsschlüssel orientiert sich an der relativen Zahlungsfähigkeit der Mitgliedstaaten. Als wichtigster Maßstab hierfür gilt das Bruttonationaleinkommen eines Landes, wobei die Werte der letzten sechs Jahre in die Berechnung einfließen. Für Länder mit hoher Außenverschuldung und/oder niedrigem Pro-Kopf-Einkommen errechnen sich zum Teil hohe Abschläge auf den Beitragssatz, die bei den Industrieländern zu entsprechenden Zuschlägen auf den Beitragssatz führen. Der minimale Beitragssatz für die ärmsten oder kleinsten Länder liegt bei 0,001 Prozent.
Am oberen Ende der Beitragsskala lagen seit UNO-Gründung immer die USA mit einem damals festgesetzten Anteil von 25 Prozent am regulären Haushalt und weitem Abstand zu den nächstgroßen Beitragszahlern. Bereits bei der Gründungsversammlung der UNO 1945 in San Francisco hatte sich Schweden vergeblich dafür eingesetzt, den Pflichtanteil eines Mitgliedslandes am regulären UNO-Haushalt durch eine entsprechende Charta-Bestimmung grundsätzlich auf maximal 10 Prozent zu begrenzen, um die finanzielle Erpressbarkeit der Weltorganisation und ihre daraus folgende politische Abhängigkeit von einigen wenigen wirtschaftlich starken Ländern zu verhindern.
Im Jahr 2002 beschloss die Generalversammlung auf Druck aus Washington für den Beitragssatz der USA eine Kappungsgrenze von 22 Prozent. Damit liegen die USA allerdings inzwischen seit achtzehn Jahren unter dem Beitragssatz, den sie auf Grund ihres Bruttonationalprodukts und der übrigen für die Bemessung gültigen Kriterien bezahlen müssten.
Die derzeit geltende Beitragsskala für die Jahre 2019 bis 2021 wurde im Dezember 2018 von der UNO-Generalversammlung verabschiedet. Danach tragen die vier größten