Название | Das Buch vom Bambus |
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Автор произведения | Vladislav Bajac |
Жанр | Языкознание |
Серия | editionBalkan |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783943941296 |
In den folgenden Jahren ebbte die Neugier der Leute nicht ab. Im Gegenteil, immer mehr Reisende kehrten in ihrem Heim ein, wiederum mit Hilfe verschiedener Ausflüchte. Egal, wer kam, er musste einen starken Grund haben, zu ihnen heraufzusteigen, denn ihre Hütte lag keineswegs an irgendeinem Weg. Nissan hatte sie an einem Ort erbaut, der den Leuten keine Einkehr bieten sollte. Von neuen Durchreisenden hörte er, dass die ganze Provinz um Kagujahime weiß und sie vom Volk Prinzessin genannt wird. Diese Nachricht stimmte Nissan traurig; selbst wenn sie ihre Zukunft nicht erahnen ließ, war das recht beunruhigend für das gemeinsame Glück. Er war nicht egoistisch, aber die immer häufigeren Besuche unbekannter Leute störten ihn zusehends. Kagujahime verstand ihn und ließ ihn wissen, dass sie sich jeder seiner Entscheidung beugen werde. Nissan entschied schnell und verkündete: Bis zum zwanzigsten Lebensjahr der Kleinen werde er niemanden mehr, ausgenommen die Zen-Mönche und Bonzons Aufseher, in seinem Heim aufnehmen. Das erlaubte ihm das Gesetz, und es half: Alle unnötigen Besuche blieben aus.
Fortan lebten sie abgeschieden wie in früheren Zeiten. Nissan widmete sich der Tochter und der Arbeit und verdrängte dabei die unangenehmen Gedanken über den Ablauf der Frist für seinen Entschluss. Die Zeit nahm auch weiterhin unsichtbar ihren Lauf und verschwand nur scheinbar von der Oberfläche des Geschehens.
Es waren fast zehn Jahre vergangen und Kagujahime hatte nicht ein einziges Mal den Wunsch nach Veränderung des ruhigen Lebens zu zweit geäußert. Nissan wusste nicht, ob sie sich ihrer außerordentlichen Schönheit bewusst war, die jetzt auch er wahrnahm.
Es rückte der Zeitpunkt heran, da das Besuchsverbot für ihr Heim ablief. Angst vor dem baldigen Verlust der Tochter beschlich ihn. Er schob das auf sein bereits vorgerücktes Alter. Wenn es ihm auch gelang, die Zweifel zu zerstreuen, die Vorahnung von bevorstehenden stürmischen Ereignissen konnte er nicht vertreiben.
Alles begann mit dem Auftauchen eines Gesandten von Prinz Godoh, der dessen bevorstehenden Besuch bei Nissan ankündigte. Nissans Unruhe wurde durch das unveränderte Verhalten der Tochter gemildert. Dennoch sah er dem Prinzenbesuch mit Anspannung entgegen. Und der, verzaubert von der Schönheit Kagujahimes, nannte sie Prinzessin. Kagujahime ließ sich nicht beirren. Auf des Prinzen Angebot, seine Frau zu werden, antwortete sie ihm, dass sie akzeptieren werde (worauf Nissan sich vor Schmerz wand), aber unter einer Bedingung: Er müsse ihr beim nächsten Vollmond sagen, wie viele Sterne es am Himmel gibt. Der Prinz zeigte sich überrascht, versprach jedoch, einen Versuch zu machen.
Nach mehreren Wochen kam der Gesandte um mitzuteilen, dass der Prinz nicht erfolgreich war, weil die Nächte viel zu kurz waren, um alle Sterne zählen zu können. Obwohl der Prinz seine Garde zur Mithilfe beim Zählen einsetzte, vermochte er nicht, den Himmel in gleichmäßige Segmente zu teilen, damit unter den Zählenden Klarheit darüber herrschte, von wo aus und bis wohin sie ihre Sterne zählen sollten.
Kagujahime lächelte nur geheimnisvoll und übermittelte dem Prinzen einen Gruß. Nissan zitterte vor Aufregung, als ihm klar wurde, dass er nicht mehr wegen künftiger Freier in Sorge um sie sein musste. In den darauffolgenden Jahren wimmelte es vor Nissans Haus nur so vor Verehrern Kagujahimes, aber kein einziger schaffte es, die verschiedenen Aufgaben zu lösen, die die Prinzessin stellte. Sie nannten sie nunmehr »die Uneinnehmbare«. Diese ihre neue Eigenschaft stachelte die größten Krieger des Kaiserreichs an, vor ihr hartnäckig, doch ohne Erfolg all ihre größten Vorzüge zur Schau zu stellen. Doch Kagujahime blieb auch weiterhin eine uneinnehmbare Festung und gab ihre Hand niemandem.
Und dann kündigte auch der Shogun Osson der Jüngere sein Kommen an. Der wiederkehrende Kummer fesselte Nissan ans Bett. In seinem bereits hohen Alter konnte er seine Liebe zu Kagujahime schwer zügeln. Er wollte ihr nicht zeigen, dass ihr mögliches Fortgehen der Grund seines Unglücks war. Sie versicherte ihm, dass ihr abschlägiges Verhalten gegenüber den Freiern nicht von seiner Ergebenheit ihr gegenüber verursacht sei. Das beruhigte ihn ein wenig, kurierte ihn aber nicht.
Der Shogun traf mit großem Gefolge ein. Nachdem er in der Nähe von Nissans Hütte sein Lager errichtet hatte, ließ er wissen, dass er mit einem festen Entschluss gekommen war. Kagujahime jedoch verhielt sich zu ihm wie zu den übrigen Freiern. Der Shogun hatte Mühe, die Erniedrigung zu verkraften, aber er ertrug sie. Er ließ sich auf die erteilte Aufgabe ein: Es galt, alle eintausendzweihundert Bambusarten Japans, Chinas und Indiens zu benennen. Die Hälfte davon wuchs in seinem Land, aber es gab keinen Menschen, der sie alle kannte, außer Obuto Nissan selbst. Ihn konnte er nicht um Hilfe bitten. Der Shogun sandte Leute aus, verschickte Bittbriefe und Befehle überall im eigenen Land und auch in andere Länder; er wartete ein ganzes Jahr auf Antworten, ohne in die Residenzstadt zurückzukehren. Obwohl er versuchte, das Land von diesem Ort aus zu regieren, vernachlässigte er dennoch zahlreiche Staatsgeschäfte und brachte nach Einschätzung anderer das Land in eine gefährlich unsichere Lage. Den Schmerz unglücklicher Liebe linderte er, indem er in seinem zeitweiligen Heim zahlreiche Kurtisanen empfing.
Die endgültige Liste des Shoguns reichte Kagujahime nicht. Am Boden zerstört, ersuchte er vor seiner Rückkehr in die Residenzstadt um ein Gespräch unter vier Augen mit dem Mädchen. Aller Stolz war von ihm gewichen und er bekannte ihr seine Liebe wie auch seinen Entschluss, bis ans Ende seines Lebens keine einzige andere Frau zu heiraten. Kagujahime war von einer solchen Ergebenheit tief berührt. Sie beschloss, ihm die Wahrheit zu sagen, die sie vor allen verborgen hatte.
»Beim nächsten Vollmond werden meine Wächter vom Mond herabsteigen und mich zurückholen – das ist nämlich mein eigentliches Zuhause.«
Der Shogun reiste ab, schickte aber schleunigst zweitausend Soldaten, die von den ergebensten Samurai angeführt wurden, um Kagujahimes Fortgehen zu verhindern. Vergebens. Bei Vollmond verschwand Kagujahime einfach so. Obuto Nissan verließ sein Bett nicht mehr; der Bote des Shoguns kehrte mit einem von Kagujahime für den Shogun hinterlassenen Brief in die Residenzstadt zurück.
Keiner der Zeugen aus jener Zeit erfuhr den Inhalt dieses Briefes. Der Shogun Osson der Jüngere befahl, bevor er von den Heeren der aufrührerischen Machthaber geschlagen wurde, die feierliche Verbrennung des Briefes auf dem Gipfel des höchsten Berges im Land. So geschah es auch. Nach der erfolglosen Verteidigung der Hauptstadt stieg der Rauch des Briefes weiterhin aus dem Krater des Fuji auf, der auch Unsterblicher Berg genannt wird.
II
Über die Provinz Kagoshima senkte sich eine unruhige Nacht. Sie bestand aus Schichten, wie eine Festtagstorte: eine Schicht Stille, eine Schicht heiße Winde vom Meer. Wenn Wind aufkam, hatte man das Gefühl, einen zweigeteilten Körper zu haben: Bis zur Hüfte war einem kalt, man badete in dem Schweiß, den der Wind aus dem Körper presste und gleich danach, wenn er zurückwich, trocknete.
Der alte Osson kam sich vor wie eine vertrocknete Frucht, verdorrt vor Erwartung. Er dachte, dass das Stehen auf der Terrasse seine Aufregung verringern könnte, aber das führte nur zu einem Chaos im Organismus, in welchem in schwindelerregendem Tempo die Jahreszeiten einander ablösten.
Wenige Zimmer weiter brachte seine Frau, Prinzessin Konosakya, ihm ein viertes Kind zur Welt. Er wartete auf einen Erben. Den Zenit seiner Manneskraft hatte er bereits überschritten. Er musste einen Sohn bekommen. Seinen Töchtern hatte er die künftigen Ehemänner bereits zugeteilt; diese waren schon jetzt verpflichtet, mit ihren einflussreichen Positionen im Staat seinen noch größeren Einfluss auf den Shogun zu garantieren. Auch der Shogun selbst wusste, wie groß die Angst dieser wie auch aller anderen Edelleute vor Osson war. Ossons Gesetz war das Böse.
Sein persönlicher Diener Meno, der Inbegriff von Treue gegenüber allen Wünschen seines Herrn, näherte sich ihm von hinten und sagte mit verschwörerisch verzerrtem Gesicht: »Herr, der Arzt hat einen weiblichen Bambus genommen.« So lautlos, wie er gekommen war, verschwand er auch wieder.
Osson machte vor Freude einen Luftsprung: