Название | Notarzt Dr. Winter Staffel 1 – Arztroman |
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Автор произведения | Nina Kayser-Darius |
Жанр | Языкознание |
Серия | Notarzt Dr. Winter |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783740976835 |
Wenn man Esther Berger dann inmitten der fröhlich kreischenden, manchmal auch ängstlich aussehenden Kinder sah, mußte man zweimal hinsehen, um zu erkennen, daß sie die Erwachsene war, die die Kinderschar anleitete. Sie war sehr schlank und zierlich, und mit ihren kurzen blonden Haaren und den frech blitzenden Augen konnte man sie leicht für einen ihrer Schützlinge halten.
Heute gehörte der Abend ihr allein. Sie hatte Luna gesattelt und ritt gemächlich durch den Wald. Es war mild draußen, und der Streß des Tages fiel allmählich von ihr ab. Luna war offensichtlich auch sehr zufrieden, sich endlich bewegen zu können, und so trabten sie in völliger Eintracht über die wohlvertrauten Wege.
Als sie nach anderthalb Stunden auf dem Weg zurück zum Bauernhof waren, tauchte plötzlich ein anderer Reiter vor Esther auf: Das war keine Seltenheit, denn in der Nähe gab es einen ziemlich exklusiven Reitstall, in dem etliche reiche Berliner ihre Pferde stehen hatten. Esther kannte einige von ihnen. Mit den meisten hatte sie keinerlei Kontakt, sie lebten einfach in zu verschiedenen Welten. Doch es gab Ausnahmen.
Als sie näherkam, stellte sie fest, daß es sich um eine Reiterin handelte, deren Pferd im Schritt ging. Und nun erkannte sie die Frau auch und rief: »Frau Sandberg! Hallo!«
Mareike Sandberg sah sich um und lächelte, als sie die junge Kinderärztin sah. »Frau Dr. Berger, wie schön, Sie zu sehen.«
Sie meinte es ernst, das wußte Esther. Sie waren einander schon öfter begegnet, hatten einige Worte miteinander gewechselt, und Esther hatte bald festgestellt, daß die junge Frau Sandberg, ungeachtet ihrer Schönheit und ihres Reichtums, eine ausgesprochen nette und unkomplizierte Frau war. Gelegentlich tranken sie eine Tasse Kaffee miteinander, und jedesmal hatte Mareike Sandberg sich außerordentlich interessiert nach Esthers Arbeit in der Charité erkundigt.
Esther hatte dazu ihre eigene Theorie. Sie glaubte, daß Mareike Sandberg unglücklich und unausgefüllt war. Und seit sie ihren Mann einmal gesehen hatte, glaubte sie auch zu wissen, warum das so war. Aber das ging sie natürlich nichts an. Und es würde sicher niemals Gegenstand eines ihrer Gespräche sein. Esther hatte selbst eine kurze, aber unglückliche Ehe hinter sich. Sie erinnerte sich nur ungern daran, und sie sprach fast nie darüber.
Manchmal kam sie mit Adrian Winter, ihrem Zwillingsbruder, auf das Thema zu sprechen – aber sie sorgte stets dafür, daß das nicht allzulange dauerte. Es war einfach zu unerfreulich, und die Erinnerung daran half auch nicht weiter. Es war ein Fehler gewesen. Ein verhängnisvoller Irrtum, den sie mit vielen Tränen und großem Unglück bezahlt hatte. Doch das war vorbei, und sie hatte es verarbeitet. Endlich.
Mareike Sandberg, fand sie, sah heute besonders unglücklich aus. Doch sie kannten sich nicht gut genug, als daß sie sich danach hätte erkundigen können. So begnügte sie sich damit zu sagen:
»Ich hatte einen schrecklichen Tag, und das einzige, was mich dazu gebracht hat, ihn durchzustehen, war die Freude auf diesen Ausritt. Jetzt geht es mir wieder gut. Reiten ist wirklich etwas Wunderbares.«
»Ja«, bestätigte Mareike Sandberg leise, »das finde ich auch. Aber leider funktioniert es bei mir heute nicht so wie bei Ihnen, Frau Berger. Ich hätte meinen Tag auch gern abgeschüttelt, doch es gelingt mir einfach nicht.«
»Dann lassen Sie uns doch ein Glas Wein zusammen trinken«, schlug Esther vor. »Oder haben Sie keine Zeit?«
»Doch«, antwortete Mareike und lächelte. »Das ist eine gute Idee. Sie haben immer so interessante Geschichten zu erzählen. Sie wissen ja, wie gern ich Ihnen zuhöre.«
Sie verabredeten einen Treffpunkt, und dann trennten sich ihre Wege. Esther kehrte zum Bauernhof zurück, und Mareike schlug den Weg zu ihrem Reitstall ein. »Bis in einer halben Stunde also«, rief Esther.
»Ja, bis gleich.«
Sie ist unglücklich, dachte Esther, wie sie es schon so oft gedacht hatte. Arme Frau. So schön, so reich – und es hilft ihr offenbar gar nicht.
*
Adrian Winter sah den großgewachsenen Mann mit den harten Augen, der vor ihm lag, nachdenklich an. Er war von seinem Chauffeur in die Notaufnahme der Kurfürsten-Klinik gebracht worden, was ungewöhnlich genug war.
Sein Chef, hatte der Chauffeur erklärt, sei während der Fahrt plötzlich totenbleich geworden. Er habe über Übelkeit geklagt, und kalter Schweiß sei ihm ausgebrochen. Da habe er es mit der Angst zu tun bekommen. Und da die Klinik in der Nähe gewesen sei, habe er sich gedacht, es sei besser, Herrn Sandberg sofort dorthin zu bringen und untersuchen zu lassen.
Erst allmählich hatte der junge Notaufnahmechef begriffen, daß er es mit einem ausgesprochen prominenten Patienten zu tun hatte. Denn der Mann, dessen Untersuchung er gerade beendet hatte, war jener Industrielle Sandberg, über den man jeden Tag sowohl auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen, als auch in den Klatschspalten der Regenbogenblätter eine Geschichte lesen konnte.
»Sie müssen aufpassen, Herr Sandberg«, sagte er sehr ruhig. »Ihr Blutdruck ist viel zu hoch. Ich nehme an, Sie nehmen Medikamente dagegen?«
Robert Sandberg nickte. »Ja, sicher, schon seit Jahren.«
»Aber leben Sie auch entsprechend? Sie sollten sich beim Alkohol sehr zurückhalten, gesund und abwechslungsreich essen, viel Bewegung…«
»Kommen Sie mir bloß nicht mit solchen Ratschlägen!« rief der andere herrisch. Es ging ihm offenbar schon wieder besser, seine Wangen bekamen allmählich Farbe. »Das ist völlig unrealistisch!«
»Wenn Sie sich an solche Ratschläge nicht halten, dann wird Ihr Leben schneller zu Ende sein, als Ihnen vielleicht lieb ist«, erwiderte Adrian ungerührt. »Sie sind nur knapp an einem Schlaganfall vorbeigekommen, Herr Sandberg. Und was ein Schlaganfall bedeutet, das muß ich Ihnen doch sicher nicht erzählen, oder?«
Robert Sandberg funkelte ihn wütend an, sagte aber nichts.
»Bedanken Sie sich bei Ihrem Chauffeur«, fuhr Adrian fort, »daß er Sie sofort hierhergebracht hat. Und nehmen Sie die Sache als Warnschuß, auf den Sie unbedingt hören sollten. Denn wenn Sie das nicht tun…«
Der Patient richtete sich ein wenig auf. »Wollen Sie mir drohen?« rief er aufgebracht, ohne zu merken, wie lächerlich seine Worte waren.
»Womit sollte ich Ihnen denn drohen?« erkundigte sich Adrian ruhig. »Ich sage Ihnen lediglich, was ich Ihnen als Arzt sagen muß.«
»Was bilden Sie sich eigentlich ein?« knurrte Robert Sandberg. »Mir fehlt nichts, überhaupt nichts.«
»Ich bilde mir nichts ein«, antwortete Adrian, noch immer völlig ruhig. Wütende Patienten kannte er schon. »Und daß Ihnen nichts fehlt, ist schlichter Unsinn. Ich weiß es besser und wenn Sie ehrlich sind, wissen Sie es auch. Ich sage Ihnen, was Sie erwartet, das ist alles. Aber es ist Ihr Leben, Herr Sandberg. Natürlich können Sie damit anfangen, was Sie wollen.«
»Ach, was wissen Sie denn schon«, gab der andere mürrisch zurück und ließ sich wieder auf die Liege sinken. »Ich esse gern, und ich trinke gern. Und ich… Aber lassen wir das jetzt. Wollen Sie mir alles wegnehmen, was mir Spaß macht?«
»Alles nicht«, antwortete der junge Arzt mit feinem Lächeln.
»Kann ich jetzt gehen?«
»Sicher können Sie das. Aber wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, bleiben Sie noch eine Stunde hier liegen und lassen sich dann zu Ihrem Hausarzt fahren. Der erzählt Ihnen das Gleiche wie ich, aber auf ihn hören Sie ja vielleicht, weil Sie ihn schon länger kennen als mich und Vertrauen zu ihm haben. Und dann leben Sie vernünftiger und können steinalt werden.«
Wider Willen imponierte Robert Sandberg dieser junge Mediziner, der sich von ihm und seinem prominenten Namen ganz offensichtlich überhaupt nicht beeindrucken ließ.
»Wer will das schon – steinalt werden?« knurrte er unwillig und richtete sich erneut auf. Mit lauter Stimme rief er nach seinem Chauffeur und verließ wenige Minuten später, schwer auf dessen Arm gestützt,