Название | Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme |
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Автор произведения | Galileio Galilei |
Жанр | Математика |
Серия | |
Издательство | Математика |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783843804387 |
Auf die Einzelheiten des Prozesses, eines der denkwürdigsten der Geschichte, an dieser Stelle einzugehen ist unmöglich; es knüpft sich daran eine reiche Literatur, aus welcher wir die nachstehenden, sehr verschiedene Standpunkte vertretenden Schriften hervorheben:W o h l w i l l ,Der Inquisitionsprocess des Galileo Galilei (Berlin 1870); v.G e b l e r ,Galileo Galilei und die römische Curie (Stuttgart 1876);W o h l w i l l ,Ist Galileo Galilei gefoltert worden? (Leipzig 1877);R e u s c h ,Der Process Galileis und die Jesuiten (Bonn 1879);G r i s a r ,Galileistudien. Historisch-theologische Untersuchungen über die Urteile der römischen Kongregationen im Galileiprocess (Regensburg 1882).
Anscheinend konnte gegen den Verfasser des Dialogs noch am ersten einfach aufgrund des Indexdekrets vorgegangen werden, da unzweifelhaft Galilei die hypothetische Zulässigkeit der kopernikanischen Lehre in einem wesentlich anderen Sinne aufgefasst hatte, als es bestenfalls statthaft war. Dies Verfahren war jedoch darum nicht wohl angängig, weil wegen eines etwaigen Verstoßes gegen das Dekret der Dialog zwar verboten werden konnte, im Übrigen aber der Zensor die Hauptverantwortung trug. Um also Galilei selbst zu fassen und Riccardi möglichst zu schonen, musste eine andere Grundlage für den Prozess geschaffen werden. Man suchte daher in erster Linie als gravierendes Moment den Beweis zu erbringen, dass Galilei das Imprimatur auf unredlichem Wege erlangt habe, insofern er von dem speziellen, nur auf ihn bezüglichen Verbote vom 25. Febr. 1616 dem Zensor keine Kenntnis gegeben habe. Wie oben angegeben, liegen gewichtige, wenngleich nicht absolut beweisende Gründe dafür vor, dass Galilei keinerlei Sondervorschriften gemacht wurden, dass also das entscheidende Aktenstück, welches das Gegenteil beurkundet, sachlich Falsches enthält, wo nicht gefälscht ist. Die wenigst mißlungenen Versuche, das Aktenstück zu rehabilitieren, laufen im Wesentlichen darauf hinaus, dass einerseits der Vorgang im Jahre 1616 etwas formlos war und die Beteiligten infolge dessen selbst nicht ganz klar über seine Bedeutung waren, und dass andererseits die Deutung des Aktenstücks als eines Sonderverbots fälschlich erst von Riccardi 1632 aufgebracht worden sei.
In der vorberatenden Kongregation wurden offenbar auf Riccardis Initiative nachstehende Belastungsmomente gegen den Dialog hervorgehoben:132
1) Die ordnungswidrige Beifügung des Imprimatur für Rom. 2) Die Loslösung der Vorrede vom Texte durch Druck mit anderen Typen sowie die geringschätzige Behandlung des [vom Papste herrührenden] Schlussargumentes gegen die kopernikanische Lehre. 3) Das häufige Verlassen des hypothetischen Standpunktes bei Behandlung der kopernikanischen Lehre. 4) Die Fiktion, als sei eine [kirchliche] Entscheidung gegen diese Lehre noch nicht ergangen, sondern erst zu erwarten. 5) Die scharfe Polemik gegen antikopernikanische, von der Kirche hochgeschätzte Schriftsteller. 6) Die Behauptung, zwischen göttlicher und menschlicher Auffassung mathematischer Wahrheiten bestehe eine gewisse Ähnlichkeit.133 7) Das Argument, dass zwar Ptolemäer Kopernikaner würden, aber nicht umgekehrt.134 8) Die Zurückführung von Ebbe und Flut auf die Erdbewegung. 9) Die Überschreitung des Verbots vom 25. Februar 1616. Die acht ersten Punkte könnten, wie es in dem Aktenstück heißt, verbessert werden, wenn man sich von dem Buche irgendwelchen Nutzen verspräche; es blieb also in Wahrheit nur der letzte Anklagepunkt übrig. In der Folge freilich verschob sich der Standpunkt der Inquisition, und die Verfolgung wegen ketzerischer Gesinnung trat zu der wegen Ungehorsams hinzu. Die Gestellung Galileis in Rom war zwar für den Oktober 1632 befohlen worden, aber Gesundheitsrücksichten ermöglichten dem 69-jährigen Greise die Abreise von Florenz erst am 20. Januar 1633. Dass der Großherzog seinen Untertan und Schützling auszuliefern sich weigern werde, wie es vielleicht die venetianische Republik getan haben würde, daran war nicht zu denken. Nach Galileis Ankunft in Rom verstrichen zwei Monate, während deren er aus besonderer Vergünstigung im Palaste des toskanischen Gesandten Niccolini wohnen durfte, ohne dass er irgendwie amtliche Kenntnis von dem Fortgange des gegen ihn eingeleiteten Verfahrens erhalten hätte. Da er nicht unfreundlich behandelt wurde, sah er dem Ausgang zuversichtlich entgegen, und diese Hoffnung auf eine glückliche Wendung verließ ihn bis zuletzt nicht. Am 12. April 1633 fand das erste Verhör statt, es bezog sich hauptsächlich auf das Verbot des Jahres 1616. Die Aussagen Galileis, zu deren Bekräftigung er das Zeugnis Bellarmins zunächst abschriftlich vorlegte, gipfeln darin, dass er von einem speziellen Verbote nichts weiß. Die ferneren Verhöre fanden am 30. April, am 10. Mai, das letzte vielbesprochene am 21. Juni 1633 statt. Während der Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Verhör wurde Galilei in einem Zimmer des Inquisitionsgebäudes in Haft gehalten. Soweit es sich um Tatsächliches handelte, sind Galileis Angaben durchweg als völlig aufrichtig wenigstens der Absicht nach zu betrachten, während er kein Bedenken trägt, seine inneren Überzeugungen zu verleugnen. Man hat sich die Frage vorzulegen, was denn geschehen wäre, wenn Galilei seine wahren Gesinnungen zum Ausdruck gebracht und standhaft an ihnen festgehalten, also trotz aller Einwirkungen sich geweigert hätte, die kopernikanische Lehre abzuschwören. Ein Zweifel ist kaum möglich, er würde entweder das Schicksal Giordano Brunos geteilt haben, der am 17. Februar 1600 den Feuertod erlitt, oder bestenfalls sein Leben lang im Kerker der Inquisition haben schmachten müssen.135 Wollte der 70-jährige Greis, der die Freuden und die Schönheit der Welt in so vollen Zügen zu genießen und mit so glühenden Farben zu schildern wusste, dies Martyrium nicht auf sich nehmen, wollte er die Wissenschaft nicht des Besten verlustig gehen lassen, was er ihr geben konnte – die Discorsi waren noch ungeschrieben – so musste er abschwören, und wenn er den falschen Schwur zu leisten sich bequemte, so dünkte es ihm nicht in höherem Maße unsittlich, wohl aber voraussichtlich klüger, schon in den Verhören seine Überzeugung zu verleugnen. Ob er dabei so weit gehen musste zu behaupten, der Dialog sei geschrieben worden, um die Gründe für die kopernikanische Lehre als nicht stichhaltig nachzuweisen, ob es gerechtfertigt war, als Motiv für die »scheinbare« Bevorzugung jener Lehre im Dialog die Eitelkeit eines Autors auf seine ungewöhnlich scharfsinnigen Einfälle anzugeben, ob er sich bereit zu erklären brauchte, in einer späteren Schrift eingehender und deutlicher die Unhaltbarkeit jener Gründe aufzudecken, lässt sich freilich mit gutem Grunde bezweifeln. Aber darf man sich wundern, dass das verderblichste aller Gifte, die Unfreiheit des Denkens, auch gut und groß angelegte Naturen in den Staub wirft?
Die Befragung Galileis über seine Gesinnung (super intentione) fand im vierten und letzten Verhöre vom 21. Juni 1633 statt. Er blieb bei seiner Aussage: »Ich halte an jener kopernikanischen Ansicht nicht fest und habe nicht an ihr festgehalten, seitdem mir der Befehl mitgeteilt worden ist, sie aufzugeben; im Übrigen bin ich in Ihren Händen, tun Sie, wie Ihnen beliebt.«136 Das Aktenstück fährt fort: »Und als man ihm gesagt hatte, dass er die Wahrheit sagen möge, sonst werde er der Folter unterworfen werden, antwortete er: ›Ich bin hier, um Gehorsam zu üben, ich habe an jener Meinung, wie gesagt, nicht festgehalten.‹ Und da nichts weiter aus ihm herauszubringen war, wurde er in Ausführung des Dekrets [der Inquisition vom 16. Juni] nach Bewirkung seiner Unterschrift an seinen Ort zurückgeschickt.« Unter dem Aktenstücke steht der mit zitternder Hand geschriebene Namenszug Galileis. Wenn der Schluss des Aktenstücks echt ist, so hat also Galilei keine physische Folter erdulden müssen, sondern nur die sogenannte leichte Schreckung (territio levis oder verbalis). Im Widerspruch damit steht allerdings, dass in dem nachstehend auszugsweise mitgeteilten Urteile gesagt wird, es habe ein peinliches Verhör (rigoroso esame) stattgefunden. Dem herrschenden Sprachgebrauche gemäß scheint ein solches die wirkliche Folterung oder doch die »schwere Schreckung« (territio gravis oder realis) in sich schließen zu müssen. Letztere bestand darin, dass dem Verhörten nach Abführung in die Folterkammer die Anwendung der Folterinstrumente erläutert wurde; unter Umständen wurden dabei auch die Vorbereitungen zur wirklichen Folterung getroffen, der Angeklagte musste sich entkleiden, er wurde gebunden u. s. w. Ob Galilei, wie nach dem Texte des Urteils im Grunde anzunehmen ist, dieser territio realis unterworfen wurde, steht trotz des Wortlauts in der Urteilsformel dahin; denn es ist nicht ausgeschlossen, dass auch das Schlussverhör selbst, von welchem bei nichtgeständigen Angeklagten allerdings die Folterung in der