Desert Hearts. Jane Rule

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Название Desert Hearts
Автор произведения Jane Rule
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783959172134



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blickte nervös von Evelyn zu Ann und zurück. Offensichtlich bemerkte auch sie die verblüffende Ähnlichkeit zwischen den beiden, aber sie konnte sich nicht dazu äußern. Sie umklammerte Hut und Handschuhe, als verlöre sie ohne sie das Gleichgewicht, und erwartete von irgendjemandem eine Erklärung.

      »Trinken Sie einen Sherry mit uns«, schlug Ann vor.

      »Oh, danke, aber …«

      »Kommen Sie schon!«, ermutigte Walter sie, fast barsch in seiner Unbeholfenheit.

      »Frances sagt, das Abendessen ist fertig.«

      »Kommt herüber«, rief Frances aus dem Esszimmer. »Wenn wir nicht gleich essen, kommt Ann zu spät zur Arbeit und Virginia zu spät in die Kirche.«

      »Zur Abendandacht?«, fragte Ann, als sie ins Esszimmer hinübergingen.

      »Ich dachte eigentlich«, antwortete Virginia. »Dr. Hall, vielleicht hätten Sie auch …?«

      »Danke«, sagte Evelyn schnell. »Ich denke, heute Abend nicht. Ich hatte noch keine Gelegenheit auszupacken.«

      »Nein, nein, natürlich …«

      »Mrs. Hall, möchten Sie hier Platz nehmen?« Frances deutete auf den Platz rechts von Walter. Ann saß links von ihm, neben ihr Virginia Ritchie.

      »Fang schon an mit dem Tranchieren, mein Lieber. Ich hole nur noch das Gemüse und die Soße.«

      Walter konnte nicht gut tranchieren. Er war ungeschickt dabei und unabsichtlich brutal.

      »Walter, Schätzchen, es ist schon tot«, sagte Ann gequält, als sie ihn sich abmühen sah. »Entspann dich.«

      Walter seufzte, starrte einen Augenblick auf die Lammkeule und machte dann weiter. Da er nun wirklich gereizt war, traute er sich anscheinend nicht, etwas zu entgegnen. Evelyn lächelte. Sie mochte ihn, und sie mochte Ann zusammen mit ihm. Sie waren wie Bruder und Schwester in einem sentimentalen Stück, grob und einander offenkundig zugetan.

      »Wie lange werden Sie bleiben, Dr. Hall?«, fragte Virginia Ritchie unvermittelt.

      »Nun …«, Evelyn zögerte, »… sechs Wochen, nehme ich an.«

      »Oh.« Virginia zerrte nervös mit beiden Händen an ihrer Serviette. In der Stille konnte Evelyn Frances’ Löffel hören, der auf der Suche nach Fremdkörpern in der Soße durch die Pfanne schabte. »Es tut mir leid.«

      »Was denn?«, fragte Walter in einem Anfall von Verärgerung, aber Virginia hatte angefangen zu weinen.

      Als Frances mit der Soße kam, stand Virginia vom Tisch auf, verließ den Raum und schluchzte Stufe für Stufe die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer. Frances blickte Walter an.

      »Es war kein tiefer Schnitt«, verteidigte er sich. »Sie blutet fast überhaupt nicht.«

      »Walter, du bist alt genug, um freundlich zu sein«, sagte Frances. »Mach mir einen Teller fertig. Ich bringe Virginia ihr Essen nach oben.« Sie wandte sich an Evelyn. »Gewöhnlich ist sie nicht so. Sonntage machen sie fertig.«

      Als Frances den Raum verließ, begann Walter das Fleisch vorzulegen.

      »Hat sie meinetwegen die Fassung verloren?«, fragte Evelyn. Sicher hatte sie damit nicht ganz unrecht.

      »Alles regt sie auf«, antwortete Walter resigniert. »Wenn ich vergesse, an der Seite der Kloschüssel runterzupinkeln, weint sie sich in Schlaf.«

      »Und Walter ist offensichtlich empfindlich, was seine Männlichkeit anbelangt. Sie sehen also, wie gespannt und psychologisch kompliziert die ganze Situation ist«, sagte Ann.

      »Zwei Teller Brechbohnen für dich, Ann Childs, und kein Nachtisch.«

      »Vorsicht«, sagte Ann. »Du hast heute Abend ein Rendezvous.«

      »Erpresserische Kapitalistin! Eines schönen nahen Tages werde ich dein Auto nicht mehr brauchen. Wäre ich nicht ein armer junger Mann, der sich abstrampelt, um sich sein Studium zu verdienen …«

      »Du brichst mir das Herz«, greinte Ann.

      »Das hoffe ich.«

      Ihre Hänseleien waren routiniert genug, um geistlos zu sein, und sie setzten sie jetzt mit müder Nervosität ein, um die Peinlichkeit zu überspielen, die Virginias Abgang verursacht hatte. Evelyn saß dabei und lächelte und wünschte, ihr würde auch etwas einfallen. Sie fühlte sich seltsam bloßgestellt und zugleich nicht dazugehörig.

      »Ich hoffe, ihr habt nicht auf mich gewartet«, sagte Frances, als sie eilig wieder hereinkam. »Haben Sie schon von der Soße genommen, Mrs. Hall?«

      »Ja, danke.«

      Das Telefon klingelte.

      »Ich gehe ran«, sagte Walter, als Frances von ihrem Stuhl aufsprang. »Setz dich hin und iss dein Abendessen.«

      »Ich habe das Gefühl, wir sollten sonntags gar nicht mehr zu essen versuchen«, sagte Frances. »Walter sagt, ich sei eine zwanghafte Esserin, aber wenn ich vorschlage …«

      »Es ist ein Ferngespräch für Virginia. Soll ich sie rufen?« Walter sah von der Diele ins Esszimmer.

      »Gut, ja, ich denke schon. Sag ihr Bescheid. Aber schrei nicht. Geh rauf. Dieses Telefon muss aus der Diele verschwinden. Ich wünschte, ich wüsste, wohin damit.«

      »Wie wär’s mit dem Badezimmer«, schlug Ann vor.

      »Das habe ich tatsächlich schon überlegt, aber da ist doch irgendwas mit Stromkabeln in der Nähe von Wasser und so. Darf ich Ihnen noch Fleisch geben, Mrs. Hall? Ann? Nein, du willst nicht. Wenn jeder so wenig äße wie Ann, könnten wir ganz China miternähren.«

      »Das ist genau meine Theorie«, antwortete Ann.

      »Ann hat einen wahren Robin-Hood-Komplex«, sagte Frances munter. »Der ist wesentlich unkomplizierter und wesentlich subversiver als Kommunismus. »Korrumpiere die Reichen und füttere die Armen! Das ist es doch, Ann?«

      »Frances mag das Glücksspiel nicht«, sagte Ann.

      »Du ebenso wenig«, behauptete Frances.

      Diese Diskussion war, wie Anns und Walters Hänselei, ein vertrauter Schlagabtausch, nicht wirklich bösartig, aber Evelyn verursachte sie dennoch Unbehagen. Zwischen Ann und Frances herrschte wirkliche Spannung.

      Walter kehrte zum Tisch zurück und stand betrübt vor den kalten Resten seines Abendessens. Draußen in der Diele erklang Virginias verweinte hohe Stimme: »Mami liebt dich, mein Liebling. Jetzt sind es nur noch drei Wochen. Und sei ein guter Junge. Mami liebt dich sehr.«

      »Um Gottes willen, Mutter, rede über irgendetwas, bitte!«

      Und Frances redete. Sie sprach über Wohltätigkeitsveranstaltungen für die Episkopalkirche, das Adoptionsgesetz, die Überschwemmung Renos. Die Verbindung zwischen dem einen Gegenstand und dem anderen war zwar oberflächlich, aber gekonnt hergestellt. Wenn Frances ihre Themen auch ausschweifend abhandelte, so war sie doch nicht ohne Gesprächsdisziplin. Ann steuerte gelegentlich eine Frage oder einen Kommentar bei, während Walter seine kalten Kartoffeln kaute. Evelyn saß schweigend da, gefangen zwischen den konkurrierenden Stimmen, gereizt und sonderbar beschämt. Als Virginia sich schließlich verabschiedete und die Treppe hinaufeilte, hörte auch Frances auf zu reden und stand auf, um das Geschirr auf einen Teewagen zu räumen, den sie dann in die Küche schob.

      »Danke«, sagte Walter. Er fingerte mit der linken Hand in seiner Hemdtasche und zog eine Packung Zigaretten heraus. »Möchten Sie?«

      »Nein, danke.« Evelyns Kopf schmerzte. Was sie gegessen hatte, stieg ihr sauer in die Kehle. Sie sehnte sich danach, die Mahlzeit endlich hinter sich zu haben.

      »Wie spät ist es?«, fragte Ann.

      »Sechs. Du hast noch gut zwanzig Minuten. Entspann dich.«

      »Lässt du den Wagen auf dem Parkplatz?«

      »Oh, wahrscheinlich komme ich dich abholen.«