Pompeji. Massimo Osanna

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Название Pompeji
Автор произведения Massimo Osanna
Жанр История
Серия
Издательство История
Год выпуска 0
isbn 9783806243932



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Zisternen mit Tonnengewölbe, die in Verbindung mit der Umgestaltung des Foro Triangolare im 2. Jahrhundert v. Chr. angelegt wurden. Die Wasserreservoirs sind gut erhalten und mit wasserdichtem Verputz ausgekleidet. (Foto: F. Giletti.)

      Im Westen wurde das Heiligtum durch eine in Nord-Süd-Richtung verlaufende Mauer in Opus incertum aus Lava begrenzt. Sie schließt im Süden an die Umfassungsmauer, im Norden an die nordwestliche Ecke der Propyläen an. Hier befand sich auf der Höhe des sogenannten Vicolo della Regina Carolina ein Durchgang, der als Nebeneingang des heiligen Bezirks fungierte. Auf der gegenüberliegenden Seite wurde das nun trapezförmige, gegenüber dem Zustand der archaischen Vorzeit völlig veränderte Areal wohl von einer ebenfalls in Opus incertum aus Lava errichteten Mauer begrenzt (sie ist noch heute zu sehen). Diese Mauer wird gewöhnlich als die Grenze eines Xystus, einer Laufbahn, also eines den sportlichen Aktivitäten gewidmeten Raums interpretiert, der eng mit dem Heiligtum verbunden war.46

      Abb. 15 Blick in den Schacht, der mit der Zisterne im nordwestlichen Bereich des Foro Triangolare in Verbindung steht und einen neuen Einblick in das „unterirdische“ Pompeji ermöglicht.

      In dieser Bauphase, also im Zusammenhang mit der Erweiterung und Aufschüttung des Geländes, entstand auf der Rückseite des großen dorischen Tempels ein kleiner Sakralbau (Abb. 16). Im Zuge der neuen Ausgrabungen wurden die Fundamentgräben erneut untersucht: Das kostbare Steinmaterial der Mauer war abgetragen und wiederverwendet worden, aber dank der Mauernegative wissen wir, dass in der Mitte des Platzes ein kleiner, rechteckiger Tempel gestanden hat. Anders als das große Tempelgebäude, dessen Vorderseite nach Süden, auf die Ebene und den Hafen, weist, war dieses Tempelchen nach Osten ausgerichtet. Es wurde über den aufgegebenen grottenartigen Höhlungen errichtet und hat deren Funktion möglicherweise übernommen. Vielleicht hat man hier Herkules oder einen anderen Heros, von dessen Kult kein Zeugnis erhalten ist, verehrt, vielleicht stellte man sich hier aber auch die Präsenz der Nymphen vor – die Funde im Heiligtum liefern viele potenzielle Hinweise auf diese Gottheiten.47

      Für das Heiligtum des Apollo fehlten bislang Daten, die es erlaubt hätten, seine Gestalt und Geschichte in frühhellenistischer Zeit zu rekonstruieren. Es wurde allgemein angenommen, das archaische Heiligtum habe bis in den späten Hellenismus fortbestanden, bis zur Neugestaltung des Forumsplatzes im Laufe des 2. Jahrhunderts v. Chr. Die neue, monumentale Gestaltung des Heiligtums umfasste eine Grenzmauer mit Portikus, deren doppelte Funktion es war, das Heiligtum in das neue Stadtbild einzugliedern und seine hierarchische Stellung in einer Stadt neu zu definieren, die im Begriff war, die Welt ihrer Götter umgreifend zu verändern (Farbtafel 6).

      Die jüngsten Ausgrabungen liefern neue Informationen: Das im Fundzusammenhang mit archaischer Bauornamentik entdeckte Votivmaterial des frühen Hellenismus könnte ein Beleg dafür sein, dass das archaische Tempeldach noch vor der späthellenistischen Neugestaltung des Heiligtums entfernt wurde.48 In diese Phase könnten auch wenige, fragmentarisch erhaltene Bauelemente aus Stein zurückgehen, die in den Fundamenten des späteren Tempels verbaut waren. Zudem lassen die neu entdeckten Mauerreste vermuten, dass spätestens im 2. Jahrhundert v. Chr. bereits ein (anderes) monumentales Bauwerk existierte. Beim aktuellen Kenntnisstand ist es allerdings unmöglich, die Nutzung des Areals oder weitere architektonische Eingriffe im Detail zu beschreiben, da der neue, monumentale Baukörper alles überdeckt.

      Abb. 16 Die Ausgrabungen brachten in der Mitte des Foro Triangolare, in der Nähe der nordöstlichen Ecke des archaischen Tempels, die Fundamentgräben eines kleineren Sakralbaus ans Licht. Der Bau erhob sich über der Stelle der grottenartigen und vormals zu rituellen Zwecken genutzten natürlichen Höhlungen. Möglicherweise diente er der Verehrung der Nymphen, die traditionell mit Grotten in Verbindung gebracht wurden. (Archiv PAP.)

      Auch die Kultstätte am Forum erfuhr eine Monumentalisierung, aber über ihr Aussehen wissen wir wenig. Aus dieser Phase ist ein Podium bekannt, möglicherweise ein Altar, der vielleicht mit einem Vorgänger des zukünftigen Capitolium in Verbindung stand.49 Wenn auch nur sehr wenige architektonische Elemente erhalten sind, um die Bauphasen des Apollotempels zu rekonstruieren, so zeugen die uns bekannten Votivgaben doch von einer Vitalität des Heiligtums auch in frühhellenistischer Zeit.

      Die Opfergaben: Spuren ritueller Praktiken

      Um die Funde in ihrem Kontext50 zu betrachten, erscheint es sinnvoll, zwischen Objekten, die als Votivgaben in das Heiligtum kamen, und solchen, die als liturgische Instrumente, das heißt im Rahmen der Vorbereitung und Durchführung der rituellen Performance, benutzt wurden, zu unterscheiden. Ich bin mir bewusst, dass es keine klaren Grenzen zwischen den beiden Kategorien gibt, denn ein Gegenstand, der beim Ritual verwendet wurde, konnte im Anschluss der Gottheit geweiht werden. Das Artefakt erhält seine Bedeutung also danach, wie es in den unterschiedlichen Kontexten (vom allgemeinen Ort, dem Heiligtum, bis hin zu der spezifischen Stelle, an der es niedergelegt worden ist) verwendet wurde.

      Zu den häufigsten Artefakten zählen die figürlichen Terrakotten. Sie zeugen von wiederholten Ritualen im Heiligtum, die von Einzelpersonen oder Gruppen vollzogen wurden. Ähnlich zahlreich belegt sind Thymiateria, also Räuchergefäße, und Miniaturkeramik. Gegenüber diesen Votivgaben aus Ton sind die „kostbareren“ Weihgeschenke nur in marginalem Umfang zu finden: Gegenstände aus Metall sind nur wenige bezeugt. Es zeichnet sich also eine Einheitlichkeit innerhalb der Heiligtümer ab, sowohl in den verwendeten Materialklassen als auch in der Ikonografie der Terrakotten. Das ist zweifellos auf die hellenistische koine zurückzuführen, in die sich die „samnitischen“ Heiligtümer bereits sehr früh eingereiht haben. Die Ikonografien der Koroplastik sind griechisch (denn die Matrizen, in denen die als Weihgeschenke verwendeten Statuetten serienmäßig hergestellt wurden, stammten aus der Magna Graecia; Abb. 17), ebenso wie die Formen der Vasen, die für Trankopfer oder beim Bankett verwendet wurden.

      Eine wichtige Rolle für diese Gleichförmigkeit spielten, neben dem Effekt der hellenistischen ‚Globalisierung‘, mit Sicherheit die rituellen Praktiken, die in den verschiedenen Kontexten wohl ähnlich abliefen. Dies bedeutet natürlich nicht, dass überall ein und dieselbe Gottheit angebetet wurde oder die Kulte sich prinzipiell überlagerten, sondern vielmehr, dass die Heiligtümer eine ähnliche Funktion innerhalb der und für die Gemeinschaft hatten.

      Abb. 17 Unter den gefundenen Weihgeschenken fanden sich viele Terrakottastatuetten. Sie wurden der Gottheit anlässlich kollektiv begangener Zeremonien dargebracht, an denen junge Frauen und Männer beteiligt waren. Die standardisierte Ikonografie ist griechisch, verweist auf die weibliche Sphäre und ist in griechischen und italischen Heiligtümern breit dokumentiert.

      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass solche Weihgaben – wie Enzo Lippolis für den griechischen Raum herausgearbeitet hat – weder als „ärmliche“ Opfergaben schwächerer sozialer Schichten noch als bescheidene Gaben zu verstehen sind, die die Kultstatue im Kleinformat wiedergaben. Ihre Verwendung innerhalb des Heiligtums, oder eher der Akt des Weihens – jener Aspekt des Kultgeschehens, der durch Bilder, Gerüche, Geräusche und kollektive Emotionen geprägt war und damit für uns heute schwer greifbar ist –, war nicht auf private und unzusammenhängende Aktionen beschränkt.51 Die Weihung von kostbaren, handwerklich oder künstlerisch bedeutenden Gegenständen könnte durch einzelne Angehörige oder Familiengruppen der Eliten erfolgt sein und war nicht unbedingt Teil der normierten und kodifizierten Ritualpraktiken. Die in großer Zahl dokumentierten Terrakotten dagegen müssen wohl als Zeugnis kollektiver Rituale verstanden werden, die gemeinschaftlich von einzelnen Gruppen eines bestimmten Geschlechts und/oder Alters durchgeführt wurden und deren Rolle und Status im Rahmen der Zeremonie betonten. Sie zeugen von kollektiven