Nebra. Thomas Thiemeyer

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Название Nebra
Автор произведения Thomas Thiemeyer
Жанр Языкознание
Серия Hannah Peters
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783948093457



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offen stehen.

      »Irgendetwas nicht in Ordnung?« Seiner Reaktion nach zu urteilen, war er mehr als nur leicht überrascht. »Es ist ein Beruf wie jeder andere. Na ja, fast«, sagte sie mit einem Schulterzucken.

      Er schüttelte den Kopf. »Bitte verzeih mein Erstaunen«, sagte er. »Es kommt nicht oft vor, dass mich eine Nachricht so aus den Schuhen hebt.«

      »Aber warum?« Hannah verstand es immer noch nicht. »Zugegeben, es ist kein x-beliebiger Bürojob, obwohl ich das letzte Jahr fast nur in Labors und Büros zugebracht habe. Aber trotzdem ist es nur ein Job

      »Nur ein Job?« Seine Augen leuchteten in der Dunkelheit. »Du behauptest, an der Erforschung des wohl wichtigsten archäologischen Fundes der letzten hundert Jahre beteiligt zu sein, und sagst, es wäre nur ein Job? Tut mir leid, aber das ist die Untertreibung des Jahres.«

      »Dann weißt du also etwas darüber?«

      »Ich weiß so gut wie alles darüber.« Er richtete sich auf. »Jedenfalls das, was in den Medien darüber zu sehen, zu lesen und zu hören war. Ich bin ein Doku-Freak, um genau zu sein. Ich schaue mir so ziemlich jede Dokumentation im Fernsehen an und lese jeden Artikel in den einschlägigen Zeitschriften. Als ich dir gesagt habe, ich wäre besessen von Geschichten und Geschichte, habe ich keineswegs übertrieben. Ich weiß alles über diese Gegend, über ihre Geschichte, über ihre Geheimnisse. Und jetzt sitze ich einer Frau gegenüber, die behauptet, die sagenumwobene Himmelsscheibe in Händen gehalten zu haben.« Wieder schüttelte er den Kopf. »Ich kann es immer noch nicht glauben.«

      »Ich habe sie nicht nur in den Händen gehalten.« Sie grinste. »Ich habe sie gemessen, gewogen, sie erhitzt, verbogen, Späne davon abgerieben und mit Strahlen bombardiert. Alles im Dienste der Wissenschaft, wohlgemerkt. Ich hätte ihr noch viel üblere Sachen angetan, wenn man mich nur gelassen hätte.«

      Michaels Blick drückte pures Entsetzen aus. Aber genau diese Reaktion hatte Hannah bezweckt. Lächelnd fuhr sie fort: »Das Problem ist nur: Wir wissen zwar so gut wie alles über die Scheibe, aber leider so gut wie nichts über die Menschen, die sie hergestellt haben. Darüber etwas herauszufinden, das ist meine Aufgabe und der Grund meines Besuches.«

      Michael schien seine Überraschung überwunden zu haben. Er war wieder aufgestanden und schulterte seinen Rucksack. »Vielleicht kann ich dir helfen. Ganz bestimmt kann ich das. Du sagst mir, wonach du suchst, und ich führe dich hin.«

      Tief in einer Schlucht am Fuße der Heinrichshöhe, dort, wo der Mischwald aus Buchen und Fichten am dichtesten war, war eine schattenhafte Bewegung zu sehen. Etwas Dunkles regte sich. Etwas, das den Tag mied und die Nacht liebte. Es stand im Begriff, aus seiner Felsspalte zu kriechen. Dass ein Wesen wie dieses zu dieser frühen Morgenstunde noch wach war, hatte einen Grund. Seine feine Nase sandte ihm unmissverständliche Signale. Es konnte jeden Geruch des Waldes identifizieren. Pilze, Beeren, den Modergeruch von verrottendem Holz, den feinen Duft frisch gefallener Blätter, die ätherischen Öle von Harz und Tannennadeln – es war sogar in der Lage, unterschiedliche Tierarten voneinander zu unterscheiden, einzig am Geruch des Blutes. Das von Rehen roch anders als das von Schweinen. Eichhörnchen rochen anders als Mäuse. Lurche rochen überhaupt nicht, und das Blut von Vögeln hatte einen scharfen Unterton. Am besten rochen Kaninchen, weshalb es sie am liebsten fraß. Ihr Fell hatte einen unverwechselbaren Duft nach Erde und Heu. Was gab es Schöneres als ein junges Kaninchen, wenn man Hunger hatte. Und das Wesen hatte immer Hunger. Es war ein Jäger, der sich am Blut seiner Opfer labte. Der Gedanke an eine frisch geöffnete Bauchhöhle und das Geräusch des noch schlagenden Herzens ließ ihm das Wasser im Maul zusammenlaufen.

      Aber es war kein Kaninchen, was sich da näherte. Der Geruch, der um diese frühe Morgenstunde vom Tal heraufkam, war fremd. Er gehörte nicht hierher.

      Zweibeiner, schoss es dem Wesen durch den Kopf. Nur sie konnten so erbärmlich stinken. Das lag weniger an ihren körpereigenen Düften als an dem Zeug, mit dem sich viele von ihnen einsprühten. Scharfe, alkoholische Essenzen, von denen man Kopfschmerzen bekam. Ausdünstungen in einer Intensität, dass es einem die Eingeweide umdrehen konnte. Nun war es nichts Ungewöhnliches, dass Zweibeiner sich am Brocken herumtrieben. Sie infizierten den Berg wie eine Krankheit, wie ein Schimmelpilz, der sich immer mehr ausbreitete. Ungewöhnlich war nur, dass sie so früh unterwegs waren.

      Das Wesen richtete sich auf und hielt die Nase in den Wind. Kein Zweifel: Die Eindringlinge kamen näher. Ihr Weg führte sie direkt an seiner Schlafstatt vorbei. Eile war geboten. Es schüttelte sein Fell und schabte sich den Buckel seitlich an der Felswand. Mit den Krallen scharrte es die Reste seines Lagers auf einen Haufen, dann trat es hinaus ans Tageslicht.

      Der Sonnenaufgang stand unmittelbar bevor, und die Helligkeit stach ihm unangenehm ins Auge. So gut es bei Dunkelheit auch sehen konnte, so empfindlich war es bei Tag. Nur noch eine Stunde, dann würde es hier so hell sein, dass seine Augen ihm unerträgliche Schmerzen bereiten würden. Viel Zeit blieb ihm also nicht.

      Ein paar keuchende Atemzüge, dann machte es sich auf den Weg.

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