Die unfreiwilligen Reisen des Putti Eichelbaum (Steidl Pocket). Bernt Engelmann

Читать онлайн.
Название Die unfreiwilligen Reisen des Putti Eichelbaum (Steidl Pocket)
Автор произведения Bernt Engelmann
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783958299498



Скачать книгу

des korrekten preußischen Notars gerührt und schließlich durchgesetzt. Am nächsten Vormittag war er nochmals bei dem mitfühlenden Juwelier erschienen, hatte seinem bislang einzigen Kunden das Inserat wieder ausgeredet, denn das wäre für ihn doch nur hinausgeworfenes Geld, und den Vertrag storniert. Der Juwelier, der ihn dann zum Mittagessen eingeladen hatte, war sehr dankbar gewesen, das ihn auch schon reuende Geld wieder zurückzuerhalten.

      »Aber, geehrter Herr Doktor«, hatte er Curt versichert, »als Verkäufer bei mir im Geschäft möchte ich Sie, Gott behüte, nicht!«

      Immerhin hatte ihn die erfolglose Anzeigen-Akquisition alle besseren Hotels und Lokale der Stadt kennenlernen lassen, und im vornehmsten albergo, dem Principe e Savoia an der Piazza della Repubblica, war er im Foyer von einem eleganten, etwa zehn Jahre jüngeren Mann angesprochen worden, der ihn, wie er sagte, von Berlin her kannte und sich freute, ihn wiederzusehen.

      Es war der Filmkaufmann Willy Karol, den er vor einigen Jahren einmal beraten und vor beträchtlichem Schaden bewahrt hatte. Nun erfuhr er, dass Karol mit dem Italien-Geschäft der Ufa betraut war, das einen sehr beträchtlichen Umfang angenommen hatte. Zum einen galt das faschistische Italien Mussolinis den neuen Herren in Berlin als »befreundetes Land«, zum anderen aber boten deutsch-italienische Koproduktionen noch die Möglichkeit, »nichtarische«, »jüdisch versippte« oder aus politischen Gründen nicht mehr »tragbare« Filmschaffende weiter zu beschäftigen – weniger aus Freundlichkeit und Menschenliebe, als vielmehr zur Verhinderung des totalen Zusammenbruchs der deutschen Filmindustrie.

      Die meisten Filmautoren – von Vicki Baum bis Carl Zuckmayer –, die wichtigsten Regisseure und Produzenten wie Paul Czinner, Alexander Korda, Fritz Lang, Ernst Lubitsch, Max Ophüls, Erich Pommer, Otto Preminger, Leontine Sagan, Robert Siodmak, Josef von Sternberg, Wilhelm Thiele, Billy Wilder und viele andere, die bedeutendsten Filmkomponisten, aber auch die besten Kameraleute und vor allem die bekanntesten und beliebtesten Darsteller hatten jetzt in Deutschland Berufsverbot.

      Curt hörte mit wachsendem Staunen, wer da alles vom Ministerium des Dr. Goebbels von Bühne und Leinwand verbannt worden war: Siegfried Arno, Else und Albert Bassermann, Elisabeth Bergner, Ilse und Curt Bois, Felix Bressart, Ernst Deutsch, Julius Falkenstein, Franziska Gaal, Kurt Gerron, Therese Giehse, Paul Grätz, Dolly Haas, Max Hansen, Oskar Homolka, Fritz Kortner, Peter Lorre, Lucy Mannheim, Fritzi Massary, Paul Morgan, Grete Mosheim, Max Pallenberg, Lilli Palmer, Camilla Spira, Ernst Stahl-Nachbaur, Szöke Szakall, Rosa Valetti, Conrad Veidt, Otto Wallburg und Adolf Wohlbrück, um nur die populärsten zu nennen, außerdem Sängerinnen und Sänger wie Gitta Alpar, Jan Kiepura, Josef Schmidt und Richard Tauber. Marlene Dietrich war freiwillig ausgewandert, Tilla Durieux mit ihrem jüdischen Ehemann geflüchtet.

      Einigen »Nichtariern« oder mit solchen Verheirateten hatten die braunen Machthaber wegen ihrer besonderen Beliebtheit notgedrungen »vorläufig« gestattet, weiter aufzutreten, so Hans Albers – der sich weigerte, sich von Hansi Burg scheiden zu lassen –, Georg Alexander, Paul Henckels, Joachim Gottschalk, Theo Lingen, Hans Moser, Henny Porten, der Sängerin Erna Sack, Leo Slezak und Eduard von Winterstein. Selbst einigen nur hinter den Kulissen, als technische oder kaufmännische Spitzenkräfte, in der Filmindustrie tätigen »Nichtariern« war wegen ihrer Unentbehrlichkeit vorerst erlaubt worden, ihren Beruf weiter auszuüben, nach Möglichkeit außerhalb der Reichsgrenzen und bei Koproduktionen mit ausländischen Filmgesellschaften.

      Zu diesen unentbehrlichen »Nichtariern«, so erfuhr Curt nun, gehörte auch sein früherer Klient Willy Karol, der ihn zu einem Cognac eingeladen hatte und ihn auszufragen begann: Ob er schon beruflich Fuß gefasst hätte, wie es mit seinen Sprachkenntnissen stehe, ob er auch komplizierte Verträge in englischer, französischer und italienischer Sprache aufsetzen könnte?

      »Hören Sie, lieber Herr Dr. Eichelbaum, Sie schickt mir der Himmel! Sie sind genau der Mann, den ich in Rom brauche! Hätten Sie Lust dazu?«

      Sie einigten sich dann, sowohl auf ein zunächst nicht allzu hohes, jedoch zum Leben ausreichendes Honorar als auch darauf, dass Curt Eichelbaum probeweise für sechs Monate zu Herrn Karol nach Rom ziehen sollte, vorerst allein, und dass die Reise- und Aufenthaltskosten von der Ufa getragen würden.

      »Auf eine Filmkarriere hatte ich eigentlich nicht zu hoffen gewagt«, sagte Curt zu Lotte und Putti, nachdem er ihnen von der Unterredung mit Herrn Karol erzählt hatte, »am allerwenigsten bei der Ufa … Werdet ihr denn eine Weile lang ohne mich zurechtkommen? Es wird bestimmt keine sechs Monate dauern. Spätestens in sechs, acht Wochen werde ich euch entweder nachkommen lassen – oder wieder hier sein …«

      »Ich werde auf Mama gut aufpassen«, erklärte Putti.

      »Und ich auf den Jungen«, sagte Lottchen. »Ich drücke uns fest die Daumen, dass es in Rom so wird, wie wir hoffen!«

      1. April 1935. Die sieben offiziellen Konzentrationslager in Deutschland werden der SS unterstellt.

      Mai 1935. Die allgemeine Wehrpflicht wird eingeführt.

      Juni 1935. Die Arbeitsdienstpflicht wird eingeführt.

      September 1935. Die »Nürnberger Gesetze« machen die Juden, aber auch christliche »Nichtarier« und »Mischlinge«, zu Menschen minderen Rechts.

      November 1935. Allen »Nichtariern« wird die Reichsbürgerschaft aberkannt.

      Oktober 1935. Der Überfall Italiens auf Äthiopien beginnt.

      Januar 1936. Den italienischen Verbänden gelingt nach Einsatz von Fliegerbomben und Giftgas gegen die Zivilbevölkerung der erste Durchbruch.

      7. März 1936. Die deutsche Wehrmacht marschiert ins bis dahin entmilitarisierte Rheinland ein.

      April 1936. In Deutschland beginnt der Propagandafeldzug gegen die moderne, angeblich »entartete« Kunst.

      Juli 1936. Mit einem Putsch faschistischer Militärs unter Führung General Francos beginnt der Spanische Bürgerkrieg.

      August 1936. Olympische Spiele in Berlin.

      Herbst 1936. Deutsche (»Legion Condor«) und italienische Truppen werden in Spanien zur Unterstützung Francos eingesetzt.

      Juli 1937. Die Japaner greifen China an und erobern Peking.

      25. September 1937. Mussolini kommt erstmals zu einem Staatsbesuch nach Berlin.

      Februar 1938. Hitler entlässt Reichswehrminister General v. Blomberg und übernimmt selbst den Oberbefehl. Pastor Niemöller kommt ins KZ.

      März 1938. Hitler lässt die Wehrmacht in Österreich einmarschieren. Über 99% in Deutschland und Österreich stimmen im April für den »Anschluss«.

       Rom

      Mitte Januar 1935 – eben war das Saargebiet, wohin sich viele politische Emigranten geflüchtet hatten, nach einer Volksabstimmung wieder deutsch geworden – bekamen wir einen langen Brief von Lotte Eichelbaum – aus Rom:

       Ihr Lieben, allzu lange habt Ihr nichts von mir gehört! Aber erst in den letzten Stunden bin ich wieder etwas zur Ruhe gekommen; die Wochen und Monate zuvor ließen mir kaum Zeit zum Schreiben. Gestern Abend brachte mir Peppino – das ist unser Hausmeister, ein sehr lieber, freundlicher und hilfsbereiter Mann, so ganz anders als die Feldwebel-Portiers unserer früheren Gegend! – meine bunten Chintz-Vorhänge, die wir damals zusammen ausgesucht haben, und die Organza-Stores für das Schlafzimmer, und er hat sie mir auch gleich aufgehängt. Sie waren zum Waschen und Spannen nach so langer Zeit in den staubigen Kisten, und nun, da sie an den Fenstern hängen, ist alles fertig eingerichtet. Ihr erseht aus alledem, dass wir endlich wieder eine richtige Wohnung mit unseren eigenen Möbeln haben und uns nach anderthalb Jahren zu Hause fühlen können! Es sind vier Zimmerchen, mit Küche, Bad und WC, alles in allem kaum größer als unser altes Wohn- und Esszimmer, wenn die Schiebetür