Escape oder schreib um dein Leben. Maria Hademer

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Название Escape oder schreib um dein Leben
Автор произведения Maria Hademer
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783898018272



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am liebsten in Luft aufgelöst. Morgen würde das ganze Dorf über ihren peinlichen Auftritt Bescheid wissen. Linda-Liebling, die zurzeit Johnnys besondere Aufmerksamkeit genoss, würde diese Szene Johnny und allen anderen ausmalen, wie es ihr in den Kram passte.

      Sophia konnte die Fassung nicht länger wahren. Sie ließ ihr Instrument im Stich und rannte ohne Jacke und Tasche nach Hause, wo sie sich in ihr Zimmer einschloss, aufs Bett warf und den Tränen hemmungslos freien Lauf ließ.

      »Verdammte Scheiße!«, fluchte sie in ihr Kissen. Am liebsten hätte sie sich gleich unter dem Berg aus unaufgeschütteltem Plumeau, Kissen und Decken vergraben. Wieso passierte immer ihr so etwas? Warum konnte sich nicht ein einziges Mal alles nach ihren Wünschen fügen?

      Sie schleuderte die hohen Schuhe in die Ecke und den unbequemen Minirock gleich hinterher. Nicht einmal die Energie, ins Bad zu gehen, brachte sie mehr auf. Ich werde sowieso niemals eine so schöne Haut wie diese dämliche Linda haben, dachte Sophia zerknirscht. Warum also Zeit verschwenden mit Peeling, Cremes und Lotionen?

      Sie zog sich ihr Schlafshirt über und kroch ins Bett. Erschöpft tastete sie nach dem Lichtschalter und wartete auf den Schlaf, der die Schande des Abends wenigstens bis zum Morgen ungeschehen machen würde.

      Durch ihre geschlossenen Lider blinkte ein Licht aus nächster Nähe vor ihrem Bett. Unregelmäßig. Grün. Rot. Entnervend! Mit einem grimmigen Knurren raffte sich Sophia wieder auf. Sie hatte vergessen, den Laptop herunterzufahren und jetzt blinkten sowohl die Internet-Kontroll-Leuchte als auch der Akku-Status. Gähnend und fröstelnd wartete sie darauf, dass das Gerät aus dem Stand-By-Modus hochfuhr. Ein Schauer lief ihr über den Rücken und sie kramte schnell aus dem Kleiderschrank einen Bademantel hervor.

      Gedankenverloren betrachtete Sophia ihr Bild im Spiegel der Schranktür …

      Der Fingerabdruck-Scanner blinkte auf. Sie meldete sich an.

      Als Letztes war sie auf der Website eines Mädchens hängen geblieben, das alle seine Probleme in einen Blog schrieb.

      Mein Gott, warum benutzt nur jeder Facebook oder seine Website als Tagebuch?, ging ihr durch den Kopf. Sicher, es half, seine Gedanken aufzuschreiben. Diese Erfahrung hatte sie auch gemacht. Doch sie würde niemals so weit gehen, ihre innersten Gefühle für alle Welt zu veröffentlichen.

      Sie wollte gerade eines der ständigen Werbe-Pop-Ups wegklicken, da hielt ihre Hand über der Maus inne.

      Dein persönliches Online-Tagebuch!

       Erhalte deine Erinnerungen! Verarbeite deine Sorgen!

       Ganz privat und ohne namentliche Anmeldung!

      »Was man nicht so alles findet.« Leicht verächtlich schüttelte Sophia den Kopf, in Anbetracht ihrer Sorgen, die nun wirklich größer waren als die lächerlichen Kinderstreitereien dieses Mädchens aus dem Blog. Trotzdem neugierig geworden klickte sie auf den Link.

      Eine schön designte Website öffnete sich.

      Alles und jeder um dich herum nervt dich?

       Du hast niemanden, mit dem du reden kannst?

       Alle erwarten zu viel von dir?

       Du weißt einfach nicht mehr weiter?

      Schreibe dich jetzt frei von allen Sorgen und lass deine Welt einmal nach deinen eigenen Vorstellungen laufen.

      Sophia blickte nun doch interessiert auf den Text. Konnte diese Site ihre Gedanken lesen? Sie suchte nach einer Zahlungsaufforderung, doch der Service war offenbar gratis. Achselzuckend schaute sie auf den Wecker, der 23.00 Uhr anzeigte. »Warum nicht?«, sagte sie zu sich selber und gab kurz entschlossen Benutzernamen und ein Passwort ein.

      Vielen Dank für deine Anmeldung bei biografuturo!

      @ Was ist heute passiert?

      Dieser Satz erschien über einem Eingabefenster mit blinkendem Cursor.

      In neu aufwallendem Frust schrieb Sophia alle Geschehnisse des Tages und besonders die des Abends auf.

      Dass sie Johnny aber auch unbedingt hatte beeindrucken wollen! Wie blöd von ihr zu glauben, sie hätte eine Chance. Dafür hatte sie jetzt Timo am Hals! Der mit seinem Mitleid-Getue konnte ihr gestohlen bleiben. Und die Krönung des Ganzen war ja wohl Linda gewesen. Gott sei Dank hatte keiner Sophia weinen sehen. Auch Mama und Paps nicht. Das ersparte peinliche Nachfragen.

      Was jetzt? Aufgeben? Weltuntergang? Sie musste unwillkürlich an den Film über den Vulkanausbruch in der Eifel denken, den sie letztes Jahr mit Julie im Kino gesehen hatte, und konnte dabei schon wieder leicht grinsen.

      Vielleicht sollte ich auswandern, dachte sie trotzig.

      Sie beendete den letzten Satz und fühlte sich irgendwie erleichtert. Das Datum auf Sophias Laptop ging einen Tag vor und zeigte bereits Donnerstag, den 20. April an. Weil sie zu müde war, alles zu kopieren und neu zu speichern, beließ sie es bei dem nicht korrekten Datum. Welchen Unterschied machte es schon? Seit sie den Laptop bekommen hatte, konnte sie mit dieser falschen Werkseinstellung leben …

      @ Wie soll es weitergehen?

      Die Frage leuchtete nun in grünen Buchstaben in einem zweiten Fenster, das sich geöffnet hatte, nachdem der erste Text abgeschickt worden war.

      Sophia stutzte. Wie war das gemeint: Wie soll es weitergehen?

      Dass sie sich die Zukunft in ihrer Fantasie ausmalen sollte?

      Noch während sie dabei war zu überlegen, wie ihre missliche Situation wieder auszugleichen war, spürte sie, wie die Müdigkeit endgültig von ihr Besitz ergriff. Sie klappte den Laptop zu und kuschelte sich zurück in die Kissen. Nach wenigen Minuten war sie eingeschlafen.

      Donnerstag, 20. April

      Gedankenverloren schlenderte Sophia am Donnerstagnachmittag an der Kirche vorbei Richtung Ortsende und erreichte einen Bauernhof, der nicht mehr bewirtschaftet wurde. Hier wohnte Oma Rosie, die Mutter ihres Vaters.

      Eigentlich hieß sie Helene. Doch mit ihrem richtigen Vornamen konnte sie sich nicht anfreunden. Sie fand, Rosie war eine nette Abkürzung ihres Nachnamens, der viel besser zu ihr passte. »Ich bin schließlich nicht die fromme Helene von Wilhelm Busch«, antwortete sie, wenn sie mit ihrem offiziellen Vornamen angesprochen wurde. Wenn Sophia sie damit aufzog, dass ›Rosie‹ auch nicht eben für eine coole Frau stand, die »einer gewissen Intellektualität« nicht abgeneigt war – wie ihre Großmutter sich gern ausdrückte – verteidigte sie sich: »Rosenhaag – den Namen liebe ich – und alles, was daran erinnert!«

      Die Haustür stand offen und Sophia hörte von draußen die Küchenmaschine laufen, mit der Oma Getreide mahlte. Sie selbst war nicht zu sehen.

      »Hallo?«, rief Sophia ins Treppenhaus, »Oma!«

      Sie wurde aber nur von Kater Slipper begrüßt. Ihre Oma liebte den Kater wegen seiner Gewohnheit, sich wie ein runder Pantoffel um ihre kalten Füße zu legen, wenn sie sich mal wieder wegen ihres Rheumas kaum bewegen konnte. Slipper schnurrte Sophia um die Beine und maunzte seltsam erbärmlich. Sophia kraulte sein flauschiges Fell hinter den Ohren.

      Ihre Großmutter war durch das Küchenfenster auf der Terrasse zu sehen, wo sie gerade eine Tai Ji-Übung abschloss.

      Danach kam sie zur Hintertür herein und erklärte ohne Begrüßung: »Ich habe koreanisch gekocht und Slipper hat von der Sauce etwas aufgeschleckt. Ziemlich scharfes Zeug. Rumort jetzt in seinem Inneren herum.« Sie öffnete ihren Kühlschrank, den sie regelmäßig mit einem kräftigen Schlag auf den Thermostat dazu animieren musste, weiter zu kühlen. »Ein paar Brocken Weißbrot in Milch könnten vielleicht helfen. Dir vielleicht auch! Wie geht’s den Bronchien?«, wandte sie sich an ihre Enkelin.

      Sophia erblasste. »Du weißt es schon? Steht es auch in der Zeitung?«, fragte sie mit sarkastischem Unterton.

      »Meine liebe Fee, wir leben hier in einem Dorf. Da müsstest du doch wissen, dass die Buschtrommel schneller ist als das Licht! Ich soll dir von Johannes gute Besserung wünschen. Sieht übrigens gut aus, der