Träume von Freiheit - Ferner Horizont. Silke Böschen

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Название Träume von Freiheit - Ferner Horizont
Автор произведения Silke Böschen
Жанр Исторические детективы
Серия
Издательство Исторические детективы
Год выпуска 0
isbn 9783839268063



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versuchte, ihre entblößte Herrin vor den Blicken der Schwestern zu schützen, winkte Florence ab. »Ach, lassen Sie nur.« Dann kletterte sie in die Wanne. Das Wasser war sehr warm.

      Unsicher sah Florence zu den beiden Wärterinnen. Während Mathilde mit einer weiteren Kanne heißem Wasser kam, begann Käthe, Florence’ Körper mit einer Bürste abzuwaschen. Sie schrubbte über die Haut, dass es brannte. Florence wand sich und versuchte, der brutalen Reinigung zu entkommen. Vergeblich.

      »Ich kann Frau de Meli waschen«, schlug Adele vor.

      Käthe schwieg und machte verbissen weiter. Mathilde reichte ihr ein Stück Kernseife. »So, gnädige Frau, jetzt die Haare!«

      Florence schüttelte den Kopf.

      »Jetzt kein Getue, meine Dame«, sagte Käthe und drückte Florence’ Kopf unter Wasser. Prustend kam diese wieder an die Oberfläche. »Was fällt Ihnen ein? Na warten Sie, das werde ich Dr. Lessing berichten!«

      Käthe zuckte mit den Achseln. »Bitte schön! Machen Sie das. Er hat die Regeln aufgestellt, nicht ich.«

      Spätestens in diesem Moment hatte die beruhigende Wirkung von Dr. Zumpes Spritze ganz und gar nachgelassen. Florence war hellwach – und entsetzt. Sie versuchte, aus der Wanne auszusteigen. Doch die starken Unterarme von Schwester Käthe zwangen sie zurück ins Wasser.

      »Mathilde, unsere neue Patientin ist noch ein bisschen wild«, stöhnte Käthe und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Bitte sag Bescheid, dass wir nasse Tücher brauchen. So hat das ja keinen Zweck.«

      »Ich brauche trockene Tücher. Ich will hier raus!«, schrie Florence. »Adele!«

      Das Dienstmädchen wollte sich an der Wärterin vorbeischieben, doch gegen die grobe Frau hatte sie keine Chance. Was für ein Scheusal, dachte Florence und versuchte noch einmal, den starken Händen der Pflegerin zu entkommen.

      »Ich bin schon mit ganz anderen Fällen fertiggeworden. Wenn Sie es nicht anders haben wollen, bitte sehr!« Sie packte Florence am Oberarm und zog sie an sich. Der feste Griff schmerzte. »Solange der Herr Doktor nicht hier ist, entscheide ich, wann das Wannenbad vorbei ist«, zischte sie Florence an.

      In dem Moment kehrte Mathilde mit einem Stapel Leinentücher zurück. Beide Frauen begossen die Tücher, wrangen sie leicht aus. Dann legten sie sie um die nackte Florence, die tropfend auf dem Fußboden stand. Adele beobachtete diese Prozedur fassungslos. Innerhalb weniger Minuten glich ihre Herrin einer nassen Mumie, eingewickelt in viele Lagen feuchter Tücher. Ein Bett auf Rollen wurde hineingeschoben, zu zweit hievten sie Florence auf die Liegefläche, die mit Segeltuch abgedeckt war. »Jetzt haben Sie Zeit, sich zu beruhigen«, sagte Käthe mit einem grimmigen Lächeln. Florence drehte den Kopf zur Seite. Vom Hals abwärts war sie wie gelähmt.

      »Ich habe Hunger«, sagte sie leise, ohne die Wärterinnen anzusehen.

      »Deswegen das Theater?«

      Florence schwieg.

      »Ich kann etwas besorgen«, bot Adele mit zitternder Stimme an. Was sie hier erlebte, überstieg langsam ihre Kräfte. Ihr Alltag in der Räcknitzstraße schien Welten entfernt.

      »Mathilde geht schon, nicht wahr, Tildchen? Frag doch mal in der Küche, was sie für unseren Gast haben. Am besten eine Kraftbrühe und etwas Brot. Wir müssen Sie ja füttern, allein kann sie gerade gar nichts machen.« Käthe unterdrückte ein Kichern und strich ihre Schürze glatt. Sie saß neben Florence und ließ sie nicht aus dem Blick. Unschlüssig stand Adele auf der anderen Seite der Liege. Florence schloss die Augen. Eine Träne rollte über ihre Wange. Adele sah es und schniefte selbst. Dann nahm sie ein Taschentuch und tupfte Florence die Wange trocken.

      »Gnädige Frau, das wird schon alles. Bestimmt sind wir bald wieder zurück in Dresden!«

      Florence sah sie an. Sie schwieg. Verzweifelt.

      »Ja, Sie werden sich gleich noch aufmachen können, Fräulein Adele«, antwortete stattdessen Käthe. »Mit der Eisenbahn dauert es keine Stunde, und Sie sind wieder daheim. Aber Ihre gnädige Frau lassen Sie noch ein bisschen bei uns.«

      Adele schüttelte den Kopf.

      »Denken Sie an das, was wir gestern Abend besprochen haben«, sagte Florence leise.

      Natürlich! Die Briefe, das blaue Säckchen mit den Diamanten. Vielleicht sollte sie nach einem noch besseren Platz für die Steine Ausschau halten. Und zur Post musste sie gehen, unbedingt. Adele nickte. »Ich werde mich um alles kümmern!«

      »Na, dann haben Sie ja was zu tun und müssen hier nicht bloß rumstehen«, sagte Käthe und wollte Adele zur Tür weisen. Das Dienstmädchen blickte noch einmal fragend zu Florence, als wollte sie die Erlaubnis ihrer Herrschaft einholen. Florence unterdrückte ein Schluchzen.

      »Ich komme an meinem freien Tag wieder!«, sagte Adele und strich unbeholfen über die nassen Haare von Florence. Dann verließ sie das Zimmer und fragte sich bis zum Ausgang durch.

      10. Die Wärterin

      Pirna Sonnenstein, 06. Oktober 1881

      Die Stimme war sehr laut. Ein Kreischen. Florence fuhr auf. Ihr Herz klopfte. Sie lauschte. Stille. Das Zimmer war dunkel. Sie suchte nach dem Wasserglas, das ihr Adele jeden Abend auf den Nachttisch stellte. Doch ihre Hand landete im Nichts. Hektisch befühlte sie das Bett, suchte den Nachttisch. Er war fort. Florence schloss die Augen und sank auf ihr Kissen zurück. Sie war in Pirna. Festung Sonnenstein. Frauentrakt. Irrenanstalt. Sie hörte ihren eigenen Atem. Plötzlich noch ein Schrei. Eine Frau schrie wie am Spieß. Florence sprang aus dem Bett. Das Gestell war aus Metall, ohne Seitenwände. Zwei Frauen redeten auf eine dritte ein. Diese schrie wieder. Florence hörte ein hässliches Lachen. Eilige Schritte auf dem Korridor. Eine Tür wurde geöffnet. Jetzt war das Kreischen so laut, dass Florence glaubte, es sei direkt nebenan.

      Die Tür fiel mit einem Krachen ins Schloss. Gedämpftes Schimpfen. Florence hörte ein Schluchzen. Auch das klang schrill und unnatürlich. Das Schluchzen wurde lauter, wilder. Jetzt schrie die Frau wieder. Vor Schmerz? Ob sie geschlagen wurde? Florence ging zur Tür und drückte die Klinke hinunter. Die Tür war abgeschlossen. Hektisch versuchte sie es noch ein paarmal. Vergeblich. Sie war eingesperrt. Ihre Augen hatten sich an das Dunkel gewöhnt, und sie sah die Umrisse der Liege, die noch immer im Raum stand. Sie erinnerte sich, wie sie dort gelegen hatte. Wie die nassen Tücher langsam ausgekühlt waren, wie sie gefroren hatte unter dem vollgesogenen Leinen, das schwer auf ihr gelegen hatte. Und sie erinnerte sich an das Gesicht von Schwester Käthe, die sich einen Moment unbeobachtet gefühlt und ihr Profil im Wandspiegel begutachtet hatte. Diese entsetzliche Frau. So gewöhnlich. Und ganz ohne Manieren. Nur wenn einer der Ärzte in der Nähe war, dann kam sie aus dem Knicksen gar nicht mehr heraus. Florence verabscheute sie. Seitdem Adele nach Hause geschickt worden war, schlich diese Wärterin um sie herum und beteuerte fortwährend, dass sie Florence zu Diensten stünde. Dummes Geschwätz! Florence erinnerte sich sehr wohl an den festen Griff um ihren Arm, mit dem sie sie in die Wanne gedrückt hatte. Die Stelle schmerzte noch immer.

      Wieder waren Laute zu hören. Jetzt viel leiser. Florence lehnte sich an die Tür. Eine Frau wimmerte. Eine andere schimpfte mit gedämpfter Stimme auf sie ein. Kurz darauf weinten beide. Dann schien es ein Handgemenge zu geben. Wieder Schreie, dieses Mal aus einer anderen Ecke. Türen wurden aufgerissen, energische Schritte hallten über den Fliesenboden. Kurze Kommandos. Dann hörte Florence dumpfe Geräusche. Schläge. Es mussten Schläge sein. Das einsetzende Weinen war jämmerlich. Florence zitterte am ganzen Körper. Vielleicht war es noch die feuchte Kälte aus den Leinenwickeln. Seit dieser Prozedur am Nachmittag hatte sie das Gefühl, die Nässe sei direkt unter die Haut in ihre Knochen gekrochen. Oder es war die Angst vor dem, was sie nicht sehen, aber hören konnte.

      Das Fenster! Florence schob die schweren Vorhänge beiseite. Gitterstäbe. Kein freier Blick. Unten war ein Hof zu erkennen. Ihr Zimmer musste sich wohl im dritten Stock befinden. Das konnte sie erkennen, wenn sie die gegenüberliegende Häuserseite ansah. Sie rüttelte am Fenstergriff. Das Fenster ließ sich öffnen! Aber nur einen kleinen Spalt weit. Dann setzte ein unbekannter Mechanismus ein, und