Alte Anker rosten nicht. Dagmar Maria Toschka

Читать онлайн.
Название Alte Anker rosten nicht
Автор произведения Dagmar Maria Toschka
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839267929



Скачать книгу

hatte er sein Leben lang davon geträumt.

      »Träume sind wichtig«, sagte er, »unser Wesen offenbart sich in dem, wovon wir träumen.« Er beugte sich zu mir herüber. »Wovon träumen Sie?«

      Ich versuchte, seinem Blick standzuhalten, und schaute in das kühle Grau seiner Augen. Im Augenblick träumte ich davon, dass die letzten Tage nicht stattgefunden hatten, nur ein Albtraum waren, aus dem ich endlich erwachen durfte. So gesehen sehnte ich mich danach, dass jede Sekunde der Wecker klingelte.

      Er strich mir sanft über den Arm. »Jeder träumt von etwas.«

      »Vorige Woche träumte ich noch von einer Kreuzfahrt in die Karibik mit einem aufmerksamen, mal nicht arbeitenden Ehemann.«

      »Und nun sind Sie auf dem Rhein gelandet, dem Nil des kleinen Mannes.«

      Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.

      »Was immer Ihnen gerade zusetzt«, sagte er und rückte noch ein wenig näher, »ich wünschte, ich könnte Sie trösten. Es gibt immer einen Weg heraus. Selbst wenn man gerade keinen sieht.«

      Er klang liebevoll, beruhigend geradezu. Sollte er allerdings noch näher rücken, saß er auf mir.

      Den Gedanken, dass sich unser Wesen durch das ausdrückte, wovon wir träumten, fand ich interessant. Aber wer waren wir, wenn wir keine Träume hatten? Und hatte ich wirklich keine? Die Karibikkreuzfahrt war im Grunde unwichtig.

      »Träumen Sie denn nicht auch von der Liebe?«, fragte er, lehnte sich zurück und seufzte. »Ich tue das unentwegt.«

      »Man kann auch zu viel lieben«, warf ich ein.

      »Ach was, man muss sich dieser Welt mit seiner Liebe vorbehaltlos entgegenwerfen.« Zart, fast vorsichtig, legte er seine Hand auf meine. »Sie inspirieren mich. Darf ich ein Gedicht über Sie schreiben?«

      »Dazu brauchen Sie doch nicht meine Erlaubnis.«

      »Ohne die würde ich es nicht tun.«

      Er sah mich auf eine Weise an, die ich so noch nicht kannte. Etwas darin brannte, begehrte, machte mir Angst, machte mich an. Während ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, nahm er meine Hand hoch, küsste sie und flüsterte: »Ich möchte nichts tun, was Sie nicht wollen.«

      Etwas bewegte sich in mir, als er das sagte. Und zwar unterhalb der Gürtellinie. Wärme schoss in meine Wangen. Und in meinen Schoß.

      »Da sitzen sie«, hörte ich Maike sagen.

      »Lassen Sie mich das übernehmen«, sagte Gunnar, stand auf und lief mit weit ausgebreiteten Armen auf Enni und Maike zu, die uns offensichtlich suchten. Er hakte beide unter, um sie in Richtung Bar zu führen. Dabei drehte er den Kopf zurück und zwinkerte mir zu.

      Ich schaute durch die Glaskuppel hinaus in das verwaschene Blau des Himmels und fühlte mich wie in einer Waschmaschine, die mich mit meinen Gefühlen umherschleuderte. In meinem Kopf klingelte es wie am Freitagabend, meinem Geburtstag. Dem letzten mit einer Vier voran. Dort klingelte es auch. An meiner Haustür. Als ich sie öffnete, stand diese fremde, stark geschminkte Frau Anfang 50 vor mir, in einem kurzen, ananasgelben Mantel und mit schulterlangem schwarzem Haar. Sie streckte mir ihre rechte Hand entgegen, an der ein lila Plastikring steckte. In der linken hielt sie eine goldene Zigarettenspitze mit rotem Mundstück.

      »Wie schön, dich endlich kennenzulernen«, sagte sie lächelnd, und ich hatte keine Ahnung, wer sie war.

      »Dies hier ist Hausnummer 38«, erklärte ich, denn ich war sicher, sie hatte sich verirrt.

      »Richtig«, meinte sie, »du musst Linda sein.«

      Sie trat einen Schritt auf mich zu. Ich wich zwei zurück.

      3. Untergehende Fische

      »Schon eingelebt?« Mit lautem Seufzen setzte sich Kapitän Krappmann neben mich. Er roch nach Minze und Tabak. Seine Stimme klang, als würde sie ganz tief aus dem Bauch kommen und durch seinen ganzen Körper strömen. Wie ein Brummen. Er war ein Mann der kurzen Sätze. Für jeden schien er tief Luft zu holen und sie dann mit dem Satz zusammen auszustoßen. Endete der Atem, endete der Satz.

      »Man schreibt bereits Gedichte über mich«, berichtete ich.

      »Oh.« Er legte seinen Kopf ein wenig schief und sah mich streng von der Seite an. Dann gab er der Crew an der Bar, die etwa 20 Meter hinter uns stand, ein Zeichen. Dort reagierte man sofort. Es dauerte nicht lange, und eine junge Frau kam mit einem Tablett auf uns zu. Darauf zwei Kaffees und für mich ein orangefarbener Drink. Er prostete mir mit seiner Tasse zu.

      Der letzte Strohhalm, an den ich mich gerade klammerte, steckte also in einem Cocktail. Der schmeckte bitter und süß zugleich.

      »Die Sache mit dem Gedicht missfällt Ihnen?«, fragte ich.

      »Kommt darauf an, wer es schreibt.«

      Ich schaute auf seine Hand, die seine Tasse hielt. Sie war groß und kräftig, so wie er selbst, und längst nicht so gepflegt wie die von Behorn. Johannes Krappmann war ein rustikaler, handfester Mann. Hinter uns hörte ich Gäste, die vom Essen kamen. Sie verteilten sich in die Sessel und begannen Unterhaltungen. Eine Durchsage lud alle Passagiere in den Salon zu einer Sicherheitsübung ein. Krappmann klopfte mir sanft auf den Oberschenkel, er müsse wieder. Schon stand er auf, um zu gehen, was ich schade fand, denn seine Gegenwart beruhigte mich. Ich war so frei, ihm unverhohlen auf den Po zu schauen, als ich ihm nachsah. Etwas, was ich vor Jahrmillionen, kurz nach Erkalten der Erdmasse, das letzte Mal getan hatte. Bei Adi.

      Ich blieb auf meinem Sofa, harrte der Dinge, die da sicherheitstechnisch auf mich zukommen sollten, und stopfte mir eins der Kissen unter den Kopf, während sich der Salon hinter mir langsam füllte. Die hellen Holzrahmen der Fenster und das frische Blau der Möbel gaben der Lounge etwas Freundliches, auch wenn das Wetter draußen grau wirkte. Eine kleine Gruppe schob sich zwei Meter von mir entfernt ein paar Sessel zurecht. Einer von ihnen, ein Herr im dunkelgrauen Pullunder, war mir schon in der Mittagessensschlange aufgefallen. Er hörte nicht auf, sich zu beklagen, und sprach wie in einer Dauerschleife mit jedem, der sich in Hörweite befand. Allerdings trat nun ein anderer Mann hinzu, der so laut redete, dass er nicht nur den Dauerredner zum Verstummen brachte, sondern den halben Salon unterhielt. Er wolle nichts Negatives mehr hören, damit solle der Herr Dauerredner jetzt mal aufhören, es wäre Urlaub, und dieses schwimmende Luxuszuhause sei super. Der Lautredner trug eine Goldkette mit riesigen Gliedern um den Hals, in seinem Haar steckte eine bunt verspiegelte Sonnenbrille, und seine kräftigen Oberschenkel schienen seine zerlöcherten Jeans fast zu sprengen. Auf seinem schwarzen T-Shirt stand in goldenen Lettern »SAUNABOY«. Darunter ein paar Tropfen, ebenfalls in Gold, die offenbar Schweiß symbolisierten. Wo er sich positionierte, unterhielt man sich entweder mit ihm oder gar nicht. An seiner Hand zappelte eine zierliche Endzwanzigerin mit blondem Pferdeschwanz, die nicht viel sagte, dafür aber nach jedem seiner Sätze lachte. Auch sie trug eine bunt verspiegelte Sonnenbrille im Haar. Man fragte sich, wo die beiden bei dieser Wetterlage Sonne erwarteten, aber vielleicht wussten sie da mehr als ich. Er gehörte zu dem Typ Mann, der sich offensichtlich nicht unterhalten wollte. Der wollte einem nur etwas sagen. Wäre ich nicht so erledigt und vielleicht auch angetrunken gewesen, hätte ich schnell das Weite gesucht, zumindest so weit, dass ich ihm nicht mehr hätte zuhören müssen. Ich schloss die Augen.

      Irgendwann spürte ich meinen Rücken. Mühsam richtete ich mich auf. Ein junger Steward räumte Schwimmwesten weg, die Passagiere drängelten sich an der Bar. Ich musste eingeschlafen sein und wusste nun nichts darüber, wie ich zu retten war. Mist, gerade dieses Wissen hätte ich so gut gebrauchen können. Herr Behorn näherte sich mit ausgebreiteten Armen und einem strahlenden Lächeln. Seine Bräune erinnerte an sonnigere Zeiten.

      »Da sind Sie ja noch, wie schön.«

      Er stellte sich vor mich hin, schaute mir einen Moment lang schweigend in die Augen und lud mich dann zu einem Champagner ein. Während er zur Bar lief, um den zu holen, kam Maike zu mir aufs Sofa. Sie schwärmte von den tollen Drinks an der Bar und von Herrn Behorn.

      »Das ist ein richtig