Alte Anker rosten nicht. Dagmar Maria Toschka

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Название Alte Anker rosten nicht
Автор произведения Dagmar Maria Toschka
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839267929



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fuhr mir mit den Händen übers Gesicht. Sie hatte recht. Letzten Freitag, vor nicht ganz einer Woche, war mein Leben noch in Ordnung. Danach kam Schritt für Schritt so etwas wie ein Tornado in Gang, der über mich hinwegfegte und meine Welt in Stücke zerlegte.

      »Dann machen wir es uns an Bord gemütlich. Ist doch kein Problem. In die Karibik könnt ihr immer noch«, fand sie.

      Es klopfte an unserer Kabinentür. Wir sahen uns an. Hoffentlich nicht noch ein ungebetener Gast. Maike ging durch einen kleinen Vorraum zur Tür, um zu öffnen. Das Raubein von nebenan hielt neben einem halbvollen Sektglas eine rote Plastikschachtel in der Hand, die sie meiner Cousine entgegenhielt. »Probier, die sind Weltklasse.«

      Beide Frauen wirkten vertraut miteinander, so als kannten sie sich schon eine Weile.

      »Linda, darf ich dir unsere Nachbarin Enni vorstellen. Wir lernten uns beim Boarding kennen und haben schon gemeinsam die Bar, ich meine das Schiff erkundet.«

      Während ich überlegte, wie ich mit unserem ersten Aufeinandertreffen umgehen sollte, kam sie mit ihrer Plastikschachtel zu mir und bot mir etwas von seinem Inhalt an. Sie tat, als wäre nichts gewesen. Offenbar fürchtete sie, an Bord zu hungern, denn die Schachtel enthielt Selbstgebackenes.

      »Bedien dich, Blondi, ist allerbeste Ware!«

      Aus Höflichkeit folgte ich ihrer Einladung, griff in die Schachtel und nahm quasi als Friedenspfeife einen großen Schokoladenkeks heraus. Er schmeckte teigig, nach viel Butter und Vanille und roch irgendwie anders als erwartet. Es blieb ein Nachgeschmack im Mund, den ich nicht zuordnen konnte.

      »Iss aber schön langsam und vielleicht nicht alles auf einmal«, riet sie.

      Lustlos mümmelte ich ihr Gebäck, als eine Durchsage darauf hinwies, dass man in wenigen Minuten, um 12 Uhr, das Mittagsbuffet eröffne. Die beiden setzten sich in Bewegung, um sich schön zu machen. Ich fragte mich, wofür? Für das Essen? Den Koch? Den Kellner? Darüber musste ich mir keine Gedanken machen. Männer interessierten mich nicht mehr. Die beiden Frauen verabredeten sich an einem Fenstertisch hinter den Süßspeisen. Dort sollte es am schönsten sein. So viel hatte man erkundet. Enni ging, Maike setzte sich neben mich in einen Sessel. »Willst du mir nicht sagen, was bei euch los ist?«

      Es fiel mir schwer, darüber zu sprechen, und so schlug ich vor, erst einmal essen zu gehen. In Wahrheit versetzte mir der Gedanke daran einen Schlag auf den Hinterkopf wie von einer Bratpfanne. Einer gusseisernen. Sie zögerte, verschwand dann aber ins Bad.

      Bei ihrem Besuch zu meinem Geburtstag war ich noch die brave Ehefrau, die allabendlich auf ihren hart arbeitenden Gatten wartete, ihm das selbstgekochte Essen servierte und sich damit begnügte, gemeinsam mit ihm vor dem Fernseher Platz zu nehmen, ganz gleich, was das Programm uns bot. Kurz darauf wurde sein Kopf an meiner Schulter schwerer, bis er begann zu schnarchen. Seit Jahren wiederholte sich dieses Ritual allabendlich. An diesem Freitag nicht.

      2. Karten lügen nicht

      »Du hast nicht zufällig ein schönes Parfüm dabei?«, rief Maike durch die halb offene Badezimmertür.

      Ich zog einen Flakon aus meinem Reisenecessaire, reichte ihn ihr und sah mir unsere Bleibe an, die mich an meine Studentenbude erinnerte. Die war ähnlich klein, alles befand sich auf engstem Raum. Damals spielte das keine Rolle, denn ich besaß nicht viel. Wozu sollte ich jetzt mehr benötigen? Trotzdem war ich froh, gleich neben dem Bett meinen roten Koffer stehen zu sehen, den offenbar einer der jungen Polohemdmänner an Bord gebracht hatte.

      Maike kam aus dem Bad, zog etwas aus dem gegenüberliegenden Kleiderschrank und verschwand wieder.

      Anders als in meiner Studentenbude dominierte diese Kabine ein immenses Doppelbett in Himmelblau. Wir zwei Frauen würden es uns teilen müssen. Und wir waren beide nicht ganz schlank. Auf den Kopfkissen lagen zwei kleine Cellophantütchen, in ihnen je ein Plätzchen in Ankerform und eins in Form eines Fisches. Dazu ein Hinweis: »Herzlich willkommen an Bord der ›River Diamond‹. Solange wir in Köln sind, bieten wir Ihnen eine ganz besondere Spezialität unseres Chefkochs an: Bierplätzchen. Achtung, enthält Spuren von Alkohol.«

      Ich sah mich um. Der ganze Raum war in blauen Farbnuancen gehalten. Auf dem Teppich sprang hier und da der Kugelfisch, das Logo der Reederei, umher. Mit ihm und dem vielen Blau im Raum kam man sich vor wie im Aquarium.

      Maike betrat jetzt frisch duftend in einem karminroten Kaftan den Raum. Dazu schlang sie sich ein Tuch in gleicher Farbe wie eine Beduinenfrau um den Kopf. Um den Hals hängte sie sich eine Kette aus Federn, auf deren Innenseite etwas geschrieben stand. Man sah es nur, wenn sie sich bewegte. Lesen konnte ich es nicht.

      »Komm, wir genießen das Essen«, lud sie mich ein, »das soll hier super lecker sein. Und es ist alles schon bezahlt.«

      Schwankend erhob ich mich aus dem Sessel. Seegang? Nicht auf dem Rhein. Die Cocktails? Das Leben? Wahrscheinlich eine Mischung aus allem. Maike hakte mich unter und öffnete die Tür. Im Gang brausten Hugo und Bosse auf kleinen bunten Rollern vorbei, und ich hoffte, dass sie an die Stufen am Ende des Flurs dachten. Wir folgten ihnen weniger rasant entlang der cremeweißen Kabinentüren, vorbei an der Rezeption, in den Gang zum Restaurant. Dort reihten wir uns in die Schlange vor dem Eingang ein. Gleich hinter einer aufgebrachten Mittvierzigerin, die ihren Partner anfauchte:

      »Wie oft habe ich dich gefragt, ob ich etwas mitnehmen muss, und du hast mich jedes Mal beruhigt, jetzt haben wir den Schlamassel.« Sie zog ein Taschentuch aus ihrer Jackentasche und schnäuzte hinein.

      »Britt-Marie, bitte!« Der Mann an ihrer Seite klang entnervt und rollte mit den Augen. Es ging um glutenfreie Kost. Man holte den Koch und der zählte auf, was er alles dafür an Bord hatte. Erst jetzt stellte sich heraus, dass ihr Partner diese Kostform brauchte, nicht sie.

      Ganz vorne in der Schlange stand Enni Flichs. Wir folgten ihr in einen abgeschiedenen Restaurantbereich. Dort besetzte sie bereits einen Fenstertisch für vier Personen, gleich an der Glasfront mit Blick aufs Wasser. Wir setzten uns zu ihr. Auf den Stuhl neben sich hatte sie eine bunte Plastiktüte gelegt. Hinter ihr war Wand, sie überblickte den Rest des Raumes und schaute, als würde sie nach jemandem suchen, während sie ihr Glas erhob. »So, Kinder, lasst die Korken knallen. Seid ihr auf all inclusive?«

      Keine Ahnung, worauf ich war. Ich wusste nur eines: Ich war auf Liebesentzug. Sie griff nach meiner Schlüsselkarte, winkte damit eine junge Kellnerin herbei und zeigte sie ihr. »Hübsches Fräulein, ist das hier all inclusive?«

      Die nickte.

      »Dann mal her mit der Runde Sekt für drei durstige Kehlen.« Sie zwinkerte mir zu. »Ist alles schon bezahlt in diesem Tarif. Du kannst hier an Bord trinken, bis der Ast bricht.«

      Es näherte sich eine Gruppe von vier Frauen, etwa Anfang 40. Alle gepflegt, manche im Cashmere-Twinset, mit dezentem Make-up, schlichten Frisuren und unaufdringlichem Goldschmuck. Sie nippten an ihren Wassergläsern und wirkten auffallend unamüsiert. Bevor sie sich an einen Nachbartisch setzten, taxierten sie uns drei mit kurzen Seitenblicken. Als unser Sekt gebracht wurde, klatschte Enni vor Freude so laut in die Hände, dass die Twinset-Truppe ihre Hälse in unsere Richtung reckte.

      Enni prostete ihnen zu. »Noch nie saufende Frauen gesehen?« Nach einem kurzen Moment der Schockstarre wandten die sich ab. Maike stieß mit ihr an: »Auf schöne Tage hier an Bord.«

      »Und ein paar Mordsnächte«, fügte Enni hinzu. Beide lachten eine Spur zu laut, um noch angenehm zu klingen.

      Links von uns brachte sich Frau Glutenfrei in Stellung. Auf den Tischen waren Ständer platziert, an denen das Besteck wie an einer Wäschespinne hing. So konnte man sich bei jedem Gang einfach das passende vom Haken nehmen. Teller standen am Buffet. Unsere neue Tischnachbarin aber deckte ihren Tisch ein, holte Teller, arrangierte dazu zwei Servietten, die in einem Halter neben den Besteckhaken steckten. Dann holte sie ein Tellerchen mit Obst und schnitt es in kleine Stücke. Ihr Gesicht wirkte merkwürdig angespannt, so als ließe es keine Mimik zu. Irgendwas schien wie festgezurrt an ihr. Sie holte Kaffee und schaute unruhig in Richtung Gang. Sicher rechnete sie jeden Augenblick mit der Erscheinung des