Operation Werwolf - Ehrensold. Uwe Klausner

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Название Operation Werwolf - Ehrensold
Автор произведения Uwe Klausner
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839267769



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mit den Gesegneten.

      Oro supplex et acclinis,

      Ich bitte unterwürfig und demütig

      Cor contritum quasi cinis,

      mit einem Herzen, das sich in Reue im Staub beugt,

      Gere curam mei finis.

      trag Sorge zu meinem Ende.

      (Wolfgang Amadeus Mozart, Requiem)

      2

      Berlin-Schöneberg, Kaiserin-Auguste-Viktoria-Krankenhaus

      21:30 Uhr

      »Eine Vernehmung, in diesem Zustand? Kommt überhaupt nicht infrage, Herr Kommissar!«

      Der Chefarzt sah seinem Vater zum Verwechseln ähnlich. Das war die eine Hälfte des Problems. Die andere bestand darin, dass er sich auch so benahm. Und genau damit kam Tom Sydow nicht zurecht.

      »Seien wir doch mal ehrlich: Wären Sie an meiner Stelle, Sie würden genauso handeln. Die Ärmste hat genug durchgemacht, und wenn sie etwas braucht, dann ist es Ruhe – und zwar so viel wie irgend möglich.«

      »Und was, wenn der Täter erneut zuschlägt? Ihre Fürsorge in allen Ehren, aber …«

      »Kein Aber, Herr von Sydow. Meine Entscheidung steht unverrückbar fest.«

      Der Halbgott in Weiß hatte gesprochen.

      Eine finale Geste, und Sydows Déjà-vu-Erlebnis war komplett.

      So hatte es zumindest den Anschein. »Schlagen Sie sich das aus dem Kopf, Herr Kommissar. Morgen früh sehen wir weiter.«

      »Auf die Gefahr, Ihr Nervenkostüm zu strapazieren: Bis dahin könnte es zu spät sein.« Und dann auch noch die Reminiszenzen an seinen alten Herrn, mit dem ihn eine innige Hassliebe verband. Für Sydow, dem die Anstrengung deutlich ins Gesicht geschrieben stand, des Schlechten entschieden zu viel. »Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, Herr Doktor: Jede Minute zählt. Je früher ich mit dem Mädchen reden kann, desto größer die Chancen, den Täter hinter Schloss und Riegel zu bringen.«

      »Ich denke, ich habe mich klar genug ausgedrückt. Das Wohl der Patientin geht vor.«

      »Das will ich ja auch gar nicht bestreiten, Herr Doktor …«

      »Wilmers. Facharzt für Klinische Chirurgie«, vollendete die anerkannte Koryphäe, rein äußerlich in den besten Jahren, wofür seine Gesichtsbräune beredt Zeugnis ablegte. Das eisgraue Haar fiel dabei nicht übermäßig ins Gewicht, und man musste schon genauer hinsehen, um die Falten unter den stahlblauen Augen zu entdecken. »Nehmen Sie es bitte nicht persönlich, Herr Kommissar«, fuhr der Stationsleiter höflich, aber bestimmt fort, gab Sydow einen Wink, ihm zu folgen, und trat an die schalldichte Panoramascheibe, um einen Blick auf die 17-jährige Notfallpatientin zu werfen. »Aber ich kann das nun mal nicht verantworten. Wie gesagt, morgen ist auch noch ein Tag.«

      Der Kopf gleich mehrfach bandagiert, das Gesicht, in dem es kaum noch eine unversehrte Stelle gab, dunkelrot gefleckt, der linke Arm fast vollständig von einem Verband umhüllt, während der rechte an der mobilen Drainage hing. Ein Anblick, bei dem Sydow Mühe hatte, den Groll in seinem Inneren zu bezähmen. »Wie Sie sehen, hat die junge Dame schwerste Verletzungen erlitten, und wir können von Glück sagen, dass sie noch am Leben ist.«

      »Das können wir in der Tat«, räumte Sydow mit nachdenklicher Miene ein, wechselte einen Blick mit dem zuständigen Revierleiter und kam nicht umhin, den Chefarzt genauer in Augenschein zu nehmen. Die Ähnlichkeit mit seinem Vater war frappierend, und wie immer, wenn er mit seinem Vorleben konfrontiert wurde, machte sich Wehmut in ihm breit. Zeitlebens waren sie sich nie wirklich nah gewesen, nicht etwa, weil der Wille dazu fehlte, sondern weil Vater und er den gleichen Sturkopf besaßen. Kam es zu Streitigkeiten, die zuletzt überhandnahmen, konnte von Einlenken nicht die Rede sein. Auch deswegen, weil seine Mutter zunehmend Partei für ihn ergriff. Der häusliche Friede, sofern man das Wort in den Mund nehmen konnte, war somit nachhaltig gestört. Ein Grund unter vielen, weshalb sich seine Mutter nicht anders zu helfen wusste, als die Scheidung einzureichen. An den Moment, als sie ihre Koffer packte, um in ihre englische Heimat zurückzukehren, erinnerte sich Sydow noch genau, als ob es erst gestern Abend gewesen wäre. Das Geräusch, wie sie die Freitreppe hinunterging, die Schritte auf dem Kiesweg vor dem Herrenhaus am Neuruppiner See, das herumwirbelnde Herbstlaub, bleifarben und vermodert, die Abfahrt des Taxis vor der Toreinfahrt, das mit aufheulendem Motor davonraste, als befände sich die Insassin auf der Flucht, all das würde er nie vergessen.

      »Sieht wirklich schlimm aus, Herr Doktor, keine Frage.« Vor fünf Jahren, als er zur Kripo ging, war es dann zum Bruch zwischen ihm und seinem alten Herrn gekommen. Sydows Weigerung, die Tradition des Hauses fortzuführen und wie sein Vater in den diplomatischen Dienst einzutreten hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. An Versuchen, den Riss zwischen ihm und dem Chef des Hauses zu kitten, hatte es zwar nicht gemangelt. Doch selbst seine Schwester, bei seinen Eltern schon seit Kindertagen die Nummer eins, hatte es nicht geschafft, den Disput zwischen Vater und Sohn zu beenden. Sein alter Herr machte ihm zum Vorwurf, dass er zur Kripo gegangen war, unter anderem, weil er die Meinung vertrat, für einen von Sydow zieme sich so was nicht. Wie nicht anders zu erwarten, hatte der so Gescholtene die Kritik nicht auf sich sitzen lassen und argumentiert, als Ministerialdirigent im Außenministerium mache sein Vater mit den Nazis gemeinsame Sache. Für Letzteren Grund genug, den Filius in hohem Bogen vor die Tür zu befördern und sämtliche Leinen, die Sydow mit ihm verbanden, abrupt und unwiderruflich zu kappen. Er selbst ließ es geschehen – und dachte trotz aller Wehmut nicht im Traum daran, den Kontakt zu seiner Familie wieder aufzunehmen.

      »Stur wie ein Preuße«, wenn es jemanden gab, auf den der Vergleich zutraf, dann war es Tom Sydow, Kommissar bei der Kriminalinspektion Berlin. »Wie Sie bereits sagten, Herr Doktor: Die Rekonvaleszenz der Patientin geht vor.«

      »Aber?«

      Sydow gab ein ratloses Schnauben von sich, gestikulierte ziellos mit der Hand und dachte kurz nach, bevor er weitersprach: »Sie sagten doch, das Mädchen sei übern Berg, oder verstehe ich Sie da falsch?«

      »Keineswegs«, gab Wilmers mit entschiedener Miene zurück, nahm die Brille ab, um sie am Ärmel seiner Kutte abzureiben, und sah sein Gegenüber abwägend an. »Aber das hat nicht viel zu sagen, Herr Kommissar. Sie sehen ja selbst, der linke Arm des Mädchens ist gebrochen, und ich denke, wir können davon ausgehen, dass sie sich ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zugezogen hat. Ob und inwieweit das Nervenzentrum in Mitleidenschaft gezogen wurde, können wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen. Dazu wäre es zu früh, die Untersuchungen sind noch im Gange. Sicher ist, das Mädchen hat ordentlich was abbekommen, dazu Hämatome, Blutergüsse und Schwellungen an den Armen. Von daher wage ich zu bezweifeln, ob es Sinn macht, sie einer polizeilichen Befragung zu unterziehen.«

      »Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber …«

      Der Chirurg schüttelte entschieden den Kopf. »Ich kann verstehen, was in Ihnen vorgeht, Herr Kommissar. Es ist Ihre Aufgabe, den Vorfall so schnell wie möglich aufzuklären, und als Privatmann habe ich vollstes Verständnis dafür. Aber als Arzt muss ich darauf bestehen, dass das Wohlergehen der Patientin Vorrang hat, ungeachtet der Konsequenzen, die sich daraus ergeben.« Die Hände abwehrend in die Höhe gestreckt, ließ sich Wilmers nicht erweichen. »Bitte üben Sie sich in Geduld, die Patientin braucht dringend Ruhe.«

      »Ich möchte Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber mit Geduld allein kommen wir hier nicht weiter.«

      »Versetzen Sie sich doch mal in ihre Lage, Herr Kommissar. Von einem wildfremden Mann halbtot geprügelt zu werden, das muss man doch erst mal verkraften. Bedeutet, wie es mit ihrer Psyche steht, möchte ich gar nicht wissen. Bei allem Verständnis, schlagen Sie sich das mit der Vernehmung aus dem Kopf. Als Mediziner kann ich die Belastung nicht verantworten.«

      »Eine Frage noch, Herr Doktor. Gibt es Anhaltspunkte, die auf eine Vergewaltigung schließen lassen?«

      »Sagen wir mal so: Es sieht so aus, als habe er es versucht.«

      »Er?«

      »Na,