Название | Thriller Spannung ohne Ende! Zehn Krimis - 2000 Seiten |
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Автор произведения | Alfred Bekker |
Жанр | Зарубежные детективы |
Серия | |
Издательство | Зарубежные детективы |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783745202786 |
1
«Können wir anfangen, Chef? »
«Nein, noch nicht!» fauchte Lewohlt. Der Mann von der Spurensicherung warf ihm einen bitterbösen Blick zu, wagte aber nicht zu widersprechen, sondern trat betont unauffällig von einem Fuß auf den anderen. Lewohlt beachtete ihn nicht mehr. Diese Minuten gehörten ihm, die ließ er sich nicht nehmen, auch nicht von ungeduldigen Beamten, die heute, am Sonntag, schnell nach Hause wollten. Die Sonne brannte heiß aus einem tiefblauen Himmel. Weit weg läuteten Kirchenglocken, zwölf Uhr Mittag. Kein Lüftchen rührte sich, und Lewohlt spürte, wie ihm die Schweißtropfen in den Nacken rannen. Seit Mitte Juli hielt dieses Sonnenwetter an und jetzt, Ende August, waren Bäume und Sträucher staubbedeckt, Felder und Rasen braun verbrannt. Der Boden schien die Hitze für immer gespeichert zu haben, die Obstbäume ließen die Zweige hängen. Zu Beginn des Sommers hatte es nach einer Rekord-Ernte ausgesehen, doch die Äpfel und Pflaumen waren seitdem nicht mehr gewachsen und schrumpelten schon.
Er stand drei Meter hinter der Gartenpforte auf einem Plattenweg, der zu dem hölzernen Laubenhäuschen führte. Links von ihm, gut fünf Meter vom Tor entfernt, lag die Frauenleiche direkt neben der Hecke, mit den Füßen zum Plattenweg. Sie war halb auf die linke Seite gerollt, so daß der linke Arm unter dem Körper eingeklemmt wurde; mit der rechten Hand berührte sie eben noch die Blätter. Auf den ersten Blick konnte man glauben, sie schliefe, aber dann störte der Kopf, der in einem ganz unnatürlichen Winkel auf die falsche Seite, nach rechts, gefallen war. Und auch die Stellung der ineinander verschlungenen Beine paßte nicht zu einer Schläferin.
Bekleidet war sie mit dunkelroten Jeans, einer weißen, dünnen Bluse mit aufgesetzten Taschen, unter der er den BH erkannte. Sie trug Sandalen, keine Strümpfe oder Söckchen. Um die Taille hatte sie sich eine dünne Strickjacke gebunden. Selbst aus der Entfernung erkannte er, daß sie eine Schönheit gewesen sein mußte, groß, schlank, ein auffallend straffer Busen. Dunkelbraune, leicht rötlich schimmernde Haare, die sich wie ein Schleierkranz um ihren Kopf gelegt hatten. Die kurz geschnittenen Fuß- und Fingernägel waren rosa lackiert.
Gestorben war sie nicht hier, das verrieten die vielen abgerissenen Blätter und Heckenzweige und die Schmutzspuren auf der Bluse. Genau über ihr verwelkte schon das geknickte Grün.
«Sie ist über die Hecke geworfen worden, Richard.» Andy Sehätzle beobachtete seinen Chef, von dem er gelernt hatte, daß kein Bild, keine Skizze den ersten Eindruck von einem Tatort ersetzen konnten.
«Eher gerollt, Andy.» Die Ligusterhecke mochte 1,60 bis 1,70 Meter hoch sein und bestimmt 70 Zentimeter dick. Wer immer sie über die Hecke gerollt hatte, mußte groß und kräftig sein. Wie kräftig, das würde sich herausstellen, wenn die Leiche gewogen worden war. Aus dem Gesicht ließ sich nichts ablesen. Es zeigte den erstaunt-ungläubigen Ausdruck, den sie von vielen Opfern kannten, überlagert von der maskenhaft wirkenden Totenstarre. Sie mochte Anfang oder erste Hälfte Zwanzig sein, und zu ihren Lebzeiten würden sich viele Männer nach ihr umgedreht haben. An der sichtbaren rechten Hand steckte kein Ring; am linken Unterarm bemerkte er eine teuer aussehende goldene Armbanduhr. Sonst trug sie keinen Schmuck.
Lewohlt schwieg immer noch. In seinem Leben hatte er viele Tote gesehen, aber die Trauer um jedes einzelne Opfer hatte er nie verloren. Vielleicht verzichtete er deshalb nicht auf die Minuten am Tatort, um nie zu vergessen, daß er nicht nur für Recht und Gerechtigkeit, sondern auch für Menschen arbeitete. Später, wenn die Akten dicker wurden, würde das Opfer verblassen und der Täter in den Vordergrund treten, und obwohl er es nicht hätte erklären können, empfand er als ungerecht, daß sich dann niemand mehr an den Toten und dessen Ansprüche an das Leben erinnerte. Einen Augenblick lang herrschte Stille. Selbst das Stimmengewirr der aufgeregten Neugierigen, die von den beiden Streifenpolizisten mühsam ferngehalten wurden, war verstummt.
«Okay, fangt an!» sagte Lewohlt leise, und Andy echote vergnügt: «Auf geht’s, meine Herren.»
«Wir sind nicht taub», knurrte der eine bissig, und Lewohlt griente schwach. Andy war ein guter Kriminalist und würde noch besser werden, sobald er mehr Gelassenheit aufbrachte und sich das Vergnügen verkniff, die anderen Menschen zu reizen und anzutreiben. Wahrscheinlich wußte er gar nicht, wie sehr seine «Hoppla-jetzt-komm-ich»-Selbstsicherheit andere verbiestern konnte.
Die beiden Fotografen hatten schon mit dem Knipsen begonnen. Der Ungeduldige neben Lewohlt klappte seinen Zeichenblock auf, befestigte ihn auf dem Klemmbrett und machte sich an die Skizze. Ein anderer steckte Tafeln mit Ziffern in den Rasen und rollte dann, das Maßband aus, um die Entfernungen festzustellen. Es war ein gutes Team, alle schon mehrere Jahre dabei, und Andy hätte wirklich nicht herumzukommandieren brauchen. Draußen, auf dem Weg jenseits der Hecke, reckten die unvermeidlichen Zuschauer die Hälse, um nur ja nichts von den neuen Aktivitäten zu versäumen. Bis sie dann die Köpfe drehten, weil ein neuer Mann von den Polizisten durchgelassen wurde.
«Mein Weib hat gedroht, sie läßt den Braten anbrennen, wenn ich nicht bis eins zurück bin. Tag, Richard.»
«Tag, Hans. Bestell ihr schöne Grüße von mir und rieht ihr aus, sie soll mich zum verkohlten Rest einladen!»
«Nix da, mein Lieber. Such dir eine eigene Frau!»
Seit sie sich kannten, flaxten sie sich an, und Lewohlt flirtete ausgesprochen gern mit Stellings Frau Heike.
«Irgend etwas, das ich wissen müßte?»
«Nein, bis jetzt noch nicht.»
«Hübsche Frau. Ausgesprochen flotter Käfer.» Stelling war nicht so abgebrüht, wie er tat, aber als Arzt hatte er sich den Schutzpanzer erworben, hinter dem auch die Kriminalpolizisten ihre Gefühle verbargen.
«Ja», murmelte Lewohlt; laut sagte er: «Andy, Bilder von der Kleidung. » Andy kniete gerade vor der Leiche und schaute nicht hoch, sondern winkte nur mit einer Hand. Natürlich würden sie auch auf alle Indizien einer Vergewaltigung achten, das war Routine, und Lewohlt ärgerte sich einen Moment über seine überflüssige Anweisung. «Ich red mal mit dem Besitzer.»
Der alte Mann hatte sich auf die winzige Terrasse hinter der Laube verzogen und seinen Stuhl in den Schatten gerückt. Mit beiden Händen umklammerte er die Armlehne. Er sah schlecht aus, immer noch bleich vor Schrecken, und seine Lippen zitterten unkontrolliert. Das dünne graue Haar glänzte feucht vor Schweiß.
Lewohlt setzte sich auf die Bank und lächelte aufmunternd: «Na, Herr Brecker, geht’s besser?»
«Ja ... Ja, es geht wieder. » Seine Stimme schwankte. Bestimmt hatte er die Siebzig überschritten, und die Furchen und Säcke unter seinen Augen deuteten an, daß er nicht gesund war. «Es war nur der Schreck.»
«Natürlich», sagte Lewohlt ruhig, «das verstehe ich gut. Sind Sie wieder so weit, daß wir uns unterhalten können?»
«Ja, ich bin wieder - gefaßt.» Das war er nicht, dachte Lewohlt, aber er hatte sich etwas gefangen. Bevor Lewohlt zu fragen begann, schaute er sich den hinteren Teil des Gartens an. Lange Beete mit Gemüse und Stangenbohnen, wenige Blumen, aber viele kleine Vierecke mit Kräutern. In der äußersten Ecke bemerkte er einen Komposthaufen, der mit Kürbissen bewachsen war. Die Hecke und eine niedrige Bretterwand verbargen ihn zum größten Teil.
«Dann erzählen Sie mal der Reihe nach, Herr Brecker.»
«Ja, Herr Kommissar. Also, ich bin heute morgen in den Garten gekommen, so gegen - elf Uhr vielleicht, ich weiß nicht mehr genau, ich