Die Löwenskölds - Romantrilogie. Selma Lagerlöf

Читать онлайн.
Название Die Löwenskölds - Romantrilogie
Автор произведения Selma Lagerlöf
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711475027



Скачать книгу

Man stand mit Tränen in den Augen da und betete zu Gott, er möge ihm einen hohen Wurf verleihen.

      Er schüttelte die Würfel im Becher kaum, drehte diesen nur um und ließ die Würfel herausfallen. Seine Augen waren zu alt, um die Punkte darauf unterscheiden zu können, er wendete seinen Blick auch gar nicht dahin, sondern starrte nur ruhig geradeaus.

      Der Richter aber und die anderen eilten herbei, und jetzt sah man wie beim ersten Male dieselbe Verwunderung auf ihren Gesichtern.

      Es war, als hätte die Volksmenge, die außerhalb der Absperrung stand, schon bevor der Ausfall kundgetan wurde, verstanden, was geschehen war. Eine Frau war die erste, die ausrief: »Gott sei Lob und Dank, daß er dir geholfen hat, Erik Ivarsson!«

      Auch Paul Eliassons Mütze flog hoch in die Luft wie beim ersten Male. Und auch darüber verwunderte man sich. Dachte er gar nicht daran, was das für ihn selbst bedeutete?

      Erik Ivarsson aber stand stumpf und gleichgültig da, nicht ein Strahl der Freude leuchtete in seinem Gesicht auf. Man dachte, vielleicht wolle er warten, bis der Lehnsmann den Ausfall verkündigte; aber selbst nachdem dies geschehen war und er erfahren hatte, daß auch er wie sein Bruder sechs-sechs geworfen hatte, blieb er gleichgültig. Er wollte an seinen früheren Platz zurückwandern, war aber nun vollkommen erschöpft, der Gerichtsdiener mußte ihn stützen.

      Jetzt war Paul Eliasson an der Reihe, zur Trommel hinzutreten, um den Glückswurf zu tun, und aller Blicke richteten sich nun auf ihn. Schon lange vor der Probe war man ja der Meinung gewesen, er müsse der eigentliche Verbrecher sein, und jetzt war er ja auch sozusagen schon verurteilt, denn eine höhere Zahl, als die Ivarssöhne geworfen hatten, gab es ja nicht auf den Würfeln.

      Man war auch bis jetzt nicht unzufrieden mit diesem Ausgang gewesen. Nun aber sah man, daß Marit Erikstochter sich bis zu Paul Eliasson hingeschlichen hatte. Er hielt sie nicht umschlungen, und kein Kuß, keine Liebkosung wurde zwischen ihnen gewechselt. Sie lehnte sich nur ganz dicht an ihn, und er hatte den Arm um ihre Mitte gelegt. Niemand hätte genau sagen können, ob sie schon lange so beieinander standen, denn die Aufmerksamkeit aller war ja auf das Würfelspiel gerichtet gewesen. Jedenfalls aber standen sie nun, auf unerforschliche Weise zusammengeführt, Seite an Seite, trotz Wachtmannschaft und drohender Obrigkeitspersonen, trotz der Tausende von Zuschauern, trotz des furchtbaren Spieles um Leben und Tod, worin sie verstrickt waren.

      Das war Liebe, und etwas über aller irdischen Liebe Stehendes war es, was sie vereinte. Ebenso hätten sie an einem Sommermorgen am Gittertor stehen können, nachdem sie die ganze Nacht hindurch getanzt und sich da zum ersten Male gesagt hätten, daß sie Mann und Frau werden wollten. Ebenso hätten sie nach der ersten Abendmahlsfeier, als sie alle Sünde aus ihrer Seele weggenommen fühlten, beieinanderstehen können. Ja, sie hätten ebenso dastehen können, wie sie, nachdem sie alles Grauen des Todes durchgemacht hatten und nun im Jenseits angekommen waren, sich da wieder getroffen und erkannt hätten, daß sie für alle Ewigkeit zusammengehörten.

      Sie sah ihn mit tiefster Zärtlichkeit an, und da ging den Menschen in ihrer Seele ein Licht auf, das ihnen offenbarte, daß gerade Paul Eliasson der sei, mit dem sie Mitleid haben müßten. Er war ein junger Baum, der nicht zur Blüte- und Fruchtzeit stehenbleiben durfte, er war ein Roggenfeld, das niedergetreten werden sollte, ehe es jemand etwas von seinem Reichtum hatte schenken dürfen.

      Ruhig löste er jetzt seinen Arm von Marit und folgte dem Lehnsmann zur Trommel. Man merkte ihm keine Unruhe an, als man ihm den Becher in die Hand gegeben hatte. Er richtete auch nicht wie die beiden vorher eine Ansprache an die Versammelten, sondern wendete sich nur an Marit.

      »Hab keine Angst!« sagte er. »Gott weiß, daß ich ebenso unschuldig bin wie die anderen.«

      Hierauf schüttelte er die Würfel gleichsam spielend und ließ sie in dem Becher kreisen, bis sie den oberen Rand erreichten und auf das Trommelfell hinunterfielen.

      Unbeweglich stand er da und folgte ihnen mit dem Blick. Als sie dann aber stillagen, brauchten die Leute auf die Verkündigung des Ausfalls durch den Lehnsmann durchaus nicht zu warten.

      Paul Eliasson selbst rief mit lauter Stimme: »Ich habe sechs-sechs geworfen. Marit! Ich habe zwei Sechser geworfen wie die anderen auch!«

      Nicht der geringste Zweifel stieg in ihm auf: Er war dadurch freigesprochen, und so konnte er sich vor lauter Freude darüber nicht still verhalten. Er machte einen hohen Satz, warf seine Mütze in die Luft, schloß den Wachsoldaten, der neben ihm stand, in seine Arme und küßte ihn.

      Da dachte jedermann: »Man sieht, er ist ein Russe. Wenn er ein Schwede wäre, würde er nicht vorzeitig jubeln.«

      Der Richter, der Lehnsmann, die Schöffen und die Herrschaften gingen gemächlich und ruhig zur Trommel hin und betrachteten die Würfel. Sie sahen jedoch diesmal nicht froh aus. Sie schüttelten den Kopf, und keiner von ihnen beglückwünschte Paul Eliasson zu seinem hohen Wurf.

      Der Lehnsmann trat zum dritten Male auf die Staffel des Thinghauses und verkündete: »Paul Eliasson hat sechs-sechs geworfen, was der höchste Wurf ist!«

      Es entstand eine heftige Bewegung in der Volksmenge; aber keine Jubelrufe ertönten. Niemand dachte, es könnte irgendein Betrug mit unterlaufen sein, so etwas war unmöglich. Aber allen wurde höchst ängstlich zumute, weil das Gottesurteil keine Klarheit gebracht hatte.

      Waren wohl alle drei Angeklagten gleich unschuldig, oder waren alle drei gleich schuldig?

      Man sah, wie Rittmeister Löwensköld zu dem Richter hintrat. Er wollte ihm wohl sagen, es sei gar nichts entschieden; der Richter aber wendete sich ziemlich jäh von ihm weg.

      Der Richter und die Schöffen zogen sich nun in das Thinghaus zurück, um sich miteinander zu beraten, und während dieser Zeit wagte niemand, sich zu bewegen oder zu sprechen, noch hörbar zu flüstern. Auch Paul Eliasson verhielt sich still. Er schien jetzt zu verstehen, daß auch ein Gottesurteil auf mehr als eine Art gedeutet werden konnte.

      Das Gericht erschien nach kurzer Beratung aufs neue, und der Richter verkündigte, das Amtsgericht sei geneigt, den Ausfall so zu deuten, daß alle drei Angeklagten freigesprochen werden sollten.

      Da riß sich Paul Eliasson von seinen Wächtern los und warf seine Mütze wieder jubelnd in die Luft; aber das geschah ein wenig zu früh, denn der Richter fuhr fort:

      Diese Auffassung des Amtsgerichts solle jedoch durch einen Kurier, der noch am gleichen Tag abgehen werde, dem König unterbreitet werden, und die Angeklagten müßten so lange in Haft bleiben, bis von Seiner Königlichen Majestät die Bestätigung dieses Urteils des hiesigen Amtsgerichtes vorliege.

      Achtes Kapitel

      Es mochten wohl dreißig Jahre seit jenem merkwürdigen Würfelspiel vor dem Brobyer Thinghaus vergangen sein, da saß an einem Herbsttag Marit Erikstochter auf der kleinen Vortreppe zum Vorratshaus des Olsbyer Hofes, wo sie ihre Wohnung hatte, und strickte Kinderfäustlinge. Sie wollte ein schönes Muster mit Streifen und Vierecken stricken, damit das Kind, dem die Handschuhe zugedacht waren, eine rechte Freude daran habe; aber sie konnte sich an kein bestimmtes Muster mehr erinnern.

      Nachdem sie lange nachgedacht und mit einer Stricknadel Figuren auf die eine Stufe der Treppe gezeichnet hatte, ging sie ins Haus hinein und öffnete ihre Kleidertruhe, um irgendein Stück hervorzusuchen, nach dem sie stricken könnte. Schließlich fand sie ganz unten in der Truhe eine Zipfelmütze, die mit vielen verschiedenen Feldern und Streifen kunstfertig gestrickt war, und nach einigen Augenblicken des Zögerns nahm sie die Mütze mit hinaus auf die Vortreppe.

      Während dann Marit die Mütze hin und her betrachtete, um sich über das Strickmuster klarzuwerden, sah sie, wie viele Löcher die Motten hineingefressen hatten. »Ach, du lieber Gott, das ist wohl nicht verwunderlich!« dachte sie. »Es ist ja mindestens dreißig Jahre her, seit diese Mütze im täglichen Gebrauch war. Es ist gut, daß ich sie jetzt einmal aus der Kleidertruhe herausgenommen habe und nun sehe, wie es darin aussieht.« Die Mütze war mit einer großen schönen bunten Troddel versehen, und in dieser schienen die Motten hauptsächlich gehaust zu haben, denn als Marit die Mütze schüttelte, flogen die Fäden wirbelnd nach