Der Schatz im Flaschenhals. Andreas Arz

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Название Der Schatz im Flaschenhals
Автор произведения Andreas Arz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783969870815



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nicht abbringen.

      »Maria, wenn ich jetzt nicht da runter gehe und nachschaue, kann dies schlimme Folgen haben. Ich versuche doch nur, euch zu beschützen«, spielte Peter auf Maria und ihre gemeinsame Familie an. »Wir haben für uns und unsere Kinder eine große Verantwortung. Unsere Zukunft, unser ganzes Hab und Gut steht auf dem Spiel, wir müssen es verteidigen!« Dabei strich er ihr über den Bauch. Sie erwarteten gerade ihr zweites Kind.

      Maria erkannte, dass sie ihn nicht umstimmen konnte. In diesen Nachkriegszeiten, inmitten der Besatzung der umliegenden Gebiete durch die Franzosen und die ständige Bedrohung einer Besetzung des Freistaats Flaschenhals waren alle Menschen in Lorch zutiefst sensibilisiert und bereit, ihre Freiheit um alles zu verteidigen.

      Peter zog sich die dunkle Jacke über und wandte sich Maria zu. Er fasste mit beiden Händen zärtlich ihren Kopf und presste seine Stirn gegen die ihre.

      »Hab´ keine Angst, ich werde gesund zurückkommen. Bleib´ du im Haus. Wenn du etwas hörst, was auf Kämpfe hindeutet, nimm´ Loni und lauf schnell rüber zu meinen Eltern. Verbarrikadiert euch am besten im Weinkeller, bis ich zurück bin.«

      Maria traten Tränen in die Augen. Diese rollten weniger aus Angst über ihre Wangen als aus Sorge, dass dieser Moment der Letzte sein könnte, den sie mit ihrem Mann teilte. Peter wischte ihr zärtlich die Tränen aus dem Gesicht und schenkte Maria ein sanftes Lächeln. Er flüsterte: »Ich liebe dich und werde es immer tun. Ich bin bald zurück.«

      Mit diesen Worten gab Peter seiner Frau noch einen eiligen Kuss auf die Lippen und verschwand im Dunkel des Flures. Maria schluchzte noch einmal tief und trat ein paar Schritte zurück. Sie setzte sich aufs Bett und das laute Knarren des Holzes verschmolz mit der Stille, die sich im Schlafzimmer ausbreitete. Ihre Blicke waren weiterhin in Richtung Tür gerichtet, in der Hoffnung, dass Peter durch diese bald zurückkommen würde.

      Das gespenstische Schiff

      Peter eilte durch die schmalen Gassen Lorchs in Richtung Rheinufer. Auf dem Weg dorthin blitzten durch die verdunkelten Fenster der Wohnhäuser immer wieder vereinzelte Augen und durch die Türen der Häuser schielten neugierige Gesichter. Die Verunsicherung war in allen Augen erkennbar.

      Er kam am Backhaus vorbei. Aus dem Fenster der Backstube fragte eine Stimme im Flüsterton: »Peter, wo willst du denn hin?«

      Peter drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Das mehlverstaubte Gesicht von Bäcker Hubert konnte er erkennen.

      Er erwiderte in gedämpften Ton: »Irgendwas ist auf dem Rhein passiert. Ein Schiff ist wohl auf Felsen gelaufen.«

      »Die Franzosen?«

      »Keine Ahnung, ich sehe nach.«

      »Pass bloß auf Peter, wenn’s die Franzmänner sind, nimm´ schnell die Beine in die Hand!«

      Peter nickte in Richtung Hubert und setzte seinen Weg fort. Wie recht der Bäckermeister hat‹, ging es ihm durch den Kopf. Wie sollte er seine Familie beschützen, wenn er jetzt durch eine unüberlegte, törichte Aktion sein Leben verlöre? Andererseits könnte viel Unheil über das unbesetzte Gebiet abgewendet werden, wenn er und ein paar mutige Bürger das Überraschungsmoment der Franzosen jetzt zunichte und dadurch etwaigen Besetzungsplänen den Garaus machten. Auf diese Fragen gab es wohl keine allgemeingültige Antwort. So ließ sich Peter weiter von seinem patriotischen Gedanken und natürlich der Neugier antreiben, die ihm unentwegt unter den Nägeln brannte.

      Am Ufer angekommen, fuhr Peter mit seinen Blicken den Rhein ab. Der Nebel erschwerte die Sicht, doch ein lautes Knarren ließ auf den Standort des Schiffes deuten. Die Strömung drückte das Wrack anscheinend immer wieder gegen den Unglücksfelsen, und dadurch entstand das gruselige Geräusch, das von der Mitte des Rheines durch den Nebel ans Ufer drang.

      Peter trat näher heran und versuchte, etwas zu erkennen. Wie gebannt waren seine Blicke auf das Wasser gerichtet. Mit jedem knarrenden Geräusch schlug sein Herz schneller und sein Atem wurde kürzer. Dabei bemerkte er nicht, dass sich hinter ihm ein Schatten bewegte. Dieser kam immer dichter und war schon bald direkt hinter ihm. Eine Hand erhob sich und sauste herunter auf seine Schulter. Peter fuhr in sich zusammen und stieß einen Schrei heraus. Er drehte sich um und hob schützend den rechten Arm. Er blickte in das Gesicht von Bürgermeister Edmund Pnischeck.

      »O Gott, Peter, es tut mir leid, ich dachte, du hättest meine Schritte gehört«, entschuldigte sich der Bürgermeister.

      Peter atmete tief aus und ließ die Erleichterung in seinen Körper zurückkehren.

      »Verdammt, Edmund! Hättest du nicht etwas sagen können?«

      »Verzeih mir, ich dachte, meine Schritte wären zu vernehmen gewesen«, entgegnete Pnischeck.

      Aus dem dunklen Hintergrund erschien eine zweite Person.

      Die Aufregung kehrte in Peter zurück und er griff nach einem herumliegenden Stück Treibholz.

      »Vorsicht, da ist noch jemand«, sagte Peter mit zittriger Stimme.

      Die Gestalt aus dem Dunkel rief herüber: »Alles gut, ich bin es, Theodor.«

      Bürgermeister Pnischeck legte Peter beruhigend die Hand auf die schmerzende Schulter. »Keine Sorge Peter, Theodor hat mich begleitet, nachdem wir etwas Verdächtiges gehört haben. Er hat sich am Ufer umgesehen, ob Franzosen in Sicht sind.«

      Peter ließ das Stück Treibholz, das er noch immer verteidigend in der Hand hielt, sinken.

      »Na, dann sind wir ja jetzt wenigstens zu dritt«, stellte er fest.

      Die Erleichterung war Peter deutlich anzusehen. Zwar waren weder er noch Bürgermeister Pnischeck sowie der Kauber Winzer Theodor ausgebildete Soldaten oder gar Kämpfer, doch zusammen ließ sich die Last der Angst besser tragen.

      Ein leichter Wind kam auf und zog durch das Rheintal. Dieser vertrieb den Nebel etwas und erleichterte ihnen die Sicht. Aus den sich lichtenden Schwaden tauchte in der Mitte des Rheins ein Schiff auf. In der Tat war es auf einen unter der Wasseroberfläche liegenden Felsen aufgelaufen. Ein ortskenntlicher Lotse hätte diesen leicht umfahren können, da ihm die Tücken des Rheins hinlänglich bekannt waren. Doch hier waren wohl Wagemutige am Werk gewesen und hatten versucht, diese Passage ohne die Navigation eines Lotsen zu durchdringen. Dazu kam der dichte Nebel, der das Vorhaben nicht einfacher gestaltete.

      Die drei versuchten indes, zu lauschen, um den ein oder anderen Laut zu vernehmen, doch außer dem geisterhaften Knarren des Schiffes am Felsen und dem Rauschen des Rheins war nichts zu hören.

      Bürgermeister Pnischeck blickte Peter und Theodor an und sagte: »Mir scheint es nicht, dass hier Franzosen am Werk waren. Hier ist wohl was anderes vorgefallen.«

      Das Schiff ließ in der Tat nicht den Schluss zu, dass es sich hier um den ausgeklügelten Plan einer Invasion handelte. Es war ein kleiner Frachter mit überschaubarer Lademöglichkeit. Die Länge und Breite des Schiffes ließen darauf schließen, dass es sicherlich nicht wie ein trojanisches Pferd eine Schar Soldaten beherbergte, die den Boden für einen Einmarsch bereiten sollten. Aber woher kamen die Schreie und deutlichen Kampfhandlungen, fragten sich die drei Flaschenhalser.

      Peter atmete tief durch. »Wir müssen rüber auf das Schiff, herausfinden, was dort stattgefunden hat«, sagte er entschlossen.

      Wortlos nickten die beiden anderen. Alle waren sich bewusst, ein hohes Risiko einzugehen. Zum einen lag das Schiff in der Rheinmitte, die Sicht war weiterhin schlecht. Zum anderen war es noch nicht ganz ausgeschlossen, dass hier nicht doch französische Soldaten im Spiel waren. Einig waren sie sich in jedem Fall, dass sie dem nachgehen mussten. Auch wenn das alles nichts mit den Besatzern zu tun hatte, waren offensichtlich Menschen zu Tode gekommen, und dies muss einen Grund gehabt haben.

      Beherzt gingen Peter, Edmund und Theodor zu einem kleinen Boot, das am Ufer befestigt war. Dieses hatte einen kleinen Motor, da sonst der Strömung des Rheins nicht beizukommen gewesen wäre.

      Peter startete den Motor, während Theodor die Leine am Steg löste. Edmund entzündete eine kleine Öllampe am Bug, die