Название | Leise Wut |
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Автор произведения | Cornelia Härtl |
Жанр | Языкознание |
Серия | Lena Borowski |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783947612932 |
»Buenos Dias«, wurde sie begrüßt. Die Rezeptionistin war jung und trug das lange dunkle Haar zu einem Dutt geschlungen. Sie sah Lena neugierig an und antwortete ihr auf die Frage nach einem Zimmer mit einem bedauernden Kopfschütteln. Sie sprach Englisch mit einem starken spanischen Akzent und erklärte, das Hotel sei komplett ausgebucht.
»Ist das hier das Naranja Azul?«, wollte Lena wissen. Die Miene der jungen Frau veränderte sich fast unmerklich. Sie schüttelte den Kopf.
»Aber das war doch hier, oder?« Die Rezeptionistin blickte hilfesuchend um sich, bevor sie leise erklärte, sie sei erst seit Kurzem hier beschäftigt.
»Okay«, meinte Lena gedehnt. »Dann trinke ich noch einen Kaffee, bevor ich fahre.«
»Das Café ist nur für Gäste des Hauses«, beeilte sich die Empfangsangestellte, zu erklären.
Lena hob erstaunt die Brauen. »Ach so«, brachte sie hervor. Etwas seltsam war das hier schon. Sie sah keinen Hotelprospekt, keine Visitenkarten, überhaupt keinerlei Werbematerial für das Haus auf dem Tresen herumliegen.
»Okay«, meinte sie. Die Empfangsdame lächelte verkrampft, bevor ihre Aufmerksamkeit durch das Klingeln eines Telefons in Anspruch genommen wurde. Lena trat vom Empfang weg, wandte sich aber nicht nach rechts, zur Tür, sondern nach links. Dort befand sich ein Durchgang, der direkt auf den großzügigen Innenhof führte. Von dort hörte man Stimmen, Lachen und das Kreischen von Kindern. Ein kurzer Blick zum Empfang. Die Mitarbeiterin war mit etwas beschäftigt und hielt die Augen gesenkt. Lena überlegte nicht, sie durchquerte den Durchgang, dessen Glastüren passenderweise offen standen und befand sich gleich darauf in dem Teil des Geländes, in dem der Pool lag. Ein schöner, großer Pool, hellblau gekachelt, umstanden von Liegen und Sonnenschirmen auf einem gepflegten Rasen. Rechterhand konnte man an einem Pavillon Eis und Getränke kaufen, auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein Häuschen, aus dem gerade jemand mit einem Stapel Pooltüchern in der Hand kam. Etliche Familien mit kleinen Kindern befanden sich hier, die plantschten im Kinderbecken, das sich direkt an das Becken der Erwachsenen anschloss. Lena hob den Blick. Auf den meisten Balkonen hing Badekleidung auf den sauber an den Seiten gestellten Trockengestellen. Viele Fenster und Türen waren geöffnet. Dennoch wirkte das Hotel höchstens zur Hälfte bewohnt.
Lena war inzwischen bemerkt worden, einige Gespräche verstummten, einige Köpfe wandten sich ihr zu. Ein merkwürdiges Gefühl überkam sie. Als würde sie durch die Blicke der Menschen in ein Netz eingesponnen. Sie wandte den Kopf, wollte gerade zu der Poolbar hinübergehen, um trotz des Hinweises der Rezeptionistin zu versuchen, dort einen Kaffee zu trinken. Dabei würde sie die anwesenden Männer genauer unter die Lupe nehmen. War einer davon der, den sie suchte?
Jemand trat hinter sie. Ein Kellner. Er trug ein weißes Hemd und eine schwarze Hose, dazu ein freundliches Lächeln. Doch er fragte nicht nach ihren Wünschen.
»Dieser Bereich ist für Hotelgäste reserviert«, stellte er klar und wies mit einer leichten, aber unmissverständlichen Geste auf den Durchgang zurück in die Empfangshalle. Lena nickte knapp. Es machte keinen Sinn, einen Aufstand zu machen. Sie wusste, sie würde zurückkommen müssen, aber jetzt hatte sie noch keinen Plan, wie sie das anstellen sollte.
Als sie zu ihrem Wagen zurückging, bemerkte sie auf dem Parkplatz eine andere Frau. Kleiner als sie, vermutlich ein paar Jahre älter. Glattes dunkles Haar, das mit einem breiten Reifen aus dem Gesicht gehalten war. Ein helles Leinenkleid, die typischen Menorca-Sandalen. Die Frau hatte einen Fotoapparat in der Hand, als habe sie gerade ein paar Bilder geknipst. Nun stand sie gegen die Kühlerhaube ihres weißen Wagens gelehnt und musterte Lena interessiert.
Die ging vorbei zu ihrem Auto. Wenig später befand sie sich wieder auf dem Weg zurück nach Cala Morell. Jetzt hatte sie das Hotel gefunden, aber es nützte ihr nichts. Sie würde einen Plan brauchen, um herauszufinden, ob Angelika Kiewitz` Freund sich dort aufhielt.
19
Das Mädchen stand am Fenster und blickte in die Dunkelheit hinaus. Ein paar Solarleuchten warfen kleine Lichtkreise auf den akkurat gemähten Rasen, links von ihr spuckte ein steinerner Fisch einen Strahl Wasser in die Luft, der von dem Becken unter ihm aufgefangen wurde. Sie drehte den Kopf. Der Junge schlief auf der gegenüberliegenden Seite, zusammengerollt wie ein Embryo. Er war so erschöpft gewesen, dass er nicht einmal etwas gegessen hatte. Nur die Milch hatte er getrunken. Sie griff in die runde Keksdose, die sie in dem Schränkchen neben Prospekten, Klarsichthüllen und Kugelschreibern gefunden hatte. Die mit Schokolade gefüllte Waffel knirschte beim Hineinbeißen. Sie behielt das Stück lange im Mund, schmeckte Zucker und Kakao und versuchte, sich zu erinnern, wann sie das letzte Mal Süßigkeiten gegessen hatte. Sie wusste es nicht mehr, es war schon zu lange her. Sie biss erneut ab und verfuhr genauso wie zuvor. Ob man nach ihnen suchte? Ganz sicher. Der Mann, der GOTT war, würde sie nicht davonkommen lassen. Da sie kreuz und quer gelaufen waren, sie selbst keine Ahnung davon hatte, wo sie sich befanden, wäre es vermutlich unmöglich, dass jemand anderes sie aufstöberte. Sie lächelte grimmig. Er hatte sie für dumm gehalten, weil sie ungebildet war. Aber jetzt hielt sie sich für schlauer als ihn. GOTT. Was sollte das überhaupt heißen? Niemand war GOTT. Nur, dass der Mann sich so nannte.
Das letzte Stück der kleinen Waffel war dran. Sie warf einen Blick in die Dose. Wenn sie es sich gut einteilte, würde sie mit den Keksen ein paar Tage hinkommen. Noch immer hatte sie keinen blassen Schimmer, wie es weitergehen sollte. Polizei war undenkbar. Nicht nach allem, was sie mitbekommen hatte.
Die sperren euch ein. Ihr kommt in ein Heim.
Nach Hause konnte sie nicht, sie hatte kein Zuhause mehr. Nur noch einen Vater, an den sie nicht denken wollte. Jetzt nicht. Nie mehr.
Ich wünschte, er wäre tot.
Sie presste die Stirn gegen das kühle Fensterglas. Sie würden sich irgendwie durchschlagen müssen, bis ihr etwas einfiel. Der Junge regte sich im Schlaf, er brabbelte etwas Unverständliches, seine Füße zuckten.
Im selben Moment hörte sie von draußen ein Motorengeräusch. Sie trat einen Schritt zurück. Von ihrer Position aus konnte sie ein Stück der Straße sehen. Ein dunkler Wagen fuhr dort draußen im Schritttempo heran. Ihr Herz begann heftig zu klopfen, als er vor dem hohen Metalltor stoppte. Niemand stieg aus, der Motor lief weiter. Ihr Mund wurde trocken. Hatte man sie gefunden? Jetzt öffnete sich die Tür der Beifahrerseite. Ein schwarz gekleideter Mann stieg aus. Der Lichtstrahl einer Taschenlampe fiel auf den gekiesten Weg, der direkt zu ihnen herüber führte.
Das Mädchen ließ sich blitzschnell fallen, robbte ganz nah an die Wand und presste sich mit dem Rücken dagegen. Wer war da draußen? Ein leichtes Metallgeräusch, als rüttele jemand prüfend am Tor. Gleich darauf quietschten die Rollen. Sie hatten das Tor geöffnet! Panisch sah sie sich um. Sie kam hier nicht raus, ohne gesehen zu werden. Ihr Blick glitt schräg nach oben. Erfasste einen Holzriegel an der Tür. Wenn sie es schaffte, den vorzulegen, bevor der Mann die Tür erreicht hatte, konnte er nicht herein. Vorsichtig schob sie sich weiter nach rechts, bis sie direkt unter der Tür saß, drehte sich um und griff, kniend, nach oben. Ihre Fingerspitzen berührten den Riegel, so konnte sie ihn aber nicht umlegen. Ein Glasfenster war in Kopfhöhe in der Tür eingelassen. Sie erhob sich gerade so weit, dass sie den Riegel erreichen konnte und nicht durch das Fenster zu sehen war. Mit einem leisen Geräusch schnappte die Verriegelung ein. Mit heftigem Herzklopfen blieb sie einen Moment in dieser Position. Dann sank sie zu Boden und robbte zurück unter das Fenster. Ein Lichtstrahl huschte darüber hinweg, streifte die hellbraunen Dachbalken. Sie presste die Augen kurz zusammen. Riss sie wieder auf. Wenn der Mann herkam und mit der Taschenlampe durchs Fenster leuchtete, würde er den Jungen sehen.
Die Anspannung in ihr war auf einmal so groß, dass sich ihre Finger wie von selbst zu Fäusten schlossen. So fest, dass ihre Fingernägel ins Fleisch ihrer Ballen schnitten. Was sollte sie tun? Den Jungen wecken, um ihn auf ihre Seite zu holen? Was, wenn er aufschreckte, weinte oder schrie?
Sie hörte vorsichtige Schritte draußen auf dem Kies. Eine Männerstimme, die leise etwas sagte. Sie wusste nicht,