Leise Wut. Cornelia Härtl

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Название Leise Wut
Автор произведения Cornelia Härtl
Жанр Языкознание
Серия Lena Borowski
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947612932



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in Richtung der nächstliegenden Bucht.

      Sonnenlicht sprenkelte seine Augen, ein leichter Wind hob sein gepflegtes, blondes Haar. Ein netter Mann, höflich. Zuvorkommend, weil er ihr und seinen Bekannten Ärger ersparen wollte. So hätte sie ihn sehen können. Stünde er nicht so dicht vor ihr, dass sie nicht auf den Strand hätte treten können, ohne ihn beiseite zu schieben.

      »Okay«, murmelte sie, ging einen Schritt rückwärts. »Ist das vielleicht der Strand des Hotels?«

      Wachsamkeit trat in seine Augen, sein Körper straffte sich unmerklich. »Welches Hotel meinen Sie?«

      »Etwas mit Azul.« Ihr war nicht entgangen, dass die Frau mit dem Baby näher gekommen war und mit leichtem Stirnrunzeln das Gespräch verfolgte.

      Der Mann schien zu zögern, dann schüttelte er den Kopf. »Ist mir nicht bekannt. Vielleicht auf der anderen Seite der Insel. Dort gibt es mehr Touristen.«

      Das Baby bewegte sich auf dem Arm der Mutter und quengelte leise vor sich hin. Die Zwillinge hatten angefangen, Federball zu spielen.

      »Einen schönen Tag noch«, sagte Lena, bevor sie sich umdrehte, um auf dem Pfad wieder nach oben zu gehen. Sich dabei ertappte, plötzlich loslaufen zu wollen, weil sie glaubte, seine Blicke wie Nadelstiche in ihrem Rücken zu spüren. Erst, als sie oben angelangt war, hatte sie das Gefühl wieder frei atmen zu können. Sie warf einen Blick zurück. Der Mann beobachtete sie noch immer. Die Frau war mit dem Baby auf ihr Tuch zurückgekehrt. Der Rest der Leute schien mit anderen Dingen beschäftigt.

      Lena atmete tief aus. Sie wandte sich in die Richtung, die der Mann ihr bedeutet hatte. Gerade so, als wolle sie seinem Rat folgen. Doch schon nach wenigen Metern, als sie um eine Biegung war und er sie nicht mehr sehen konnte, blieb sie stehen. Die drei Familien waren mit dem Kleinbus hergekommen. Sie würden mit diesem Wagen wegfahren. Sie musste ihnen einfach nur folgen, dann würden sie sie zum Hotel führen. Allerdings machte niemand dort unten den Eindruck, gleich wieder aufbrechen zu wollen. Wenn sie Pech hatte, würde sie den restlichen Tag über warten müssen.

      17

      Der Junge war ein Klotz am Bein. Dennoch brachte sie es nicht übers Herz, ihn einfach zurückzulassen. Sie waren nicht weit gekommen seit ihrer Flucht aus der Wohnung. Nicht nur, weil er keine Schuhe an den Füßen trug und ständig jammerte. Auch, weil sie keine Ahnung hatte, wo genau sie sich befanden. Wo sie überhaupt hinwollte. Die Siedlung, aus der sie kamen, erschien ihr unendlich groß. Ständig in Angst, doch noch entdeckt zu werden, hatte sie sich und den Kleinen zu einer schnellen Gangart angetrieben. Jetzt standen sie an einer Haltestelle. Als ein Bus kam, stiegen sie einfach hinten ein. Zunächst achtete niemand auf sie. Bis eine ältere Frau bemerkte, dass der Junge keine Schuhe trug. Sie fing an, herumzulärmen und sie mussten aussteigen. Jetzt befanden sie sich in einer Art Industriegebiet.

      »Sind wir bald da?«, wollte der Junge wissen.

      »Sei still«, raunzte sie ihn an. Er schwieg, verstört und folgsam zugleich. Niemand hatte sich in den vergangenen Monaten die Mühe gemacht, freundlich mit ihnen zu reden. Sie hatten zu parieren und den Mund zu halten. Auch wenn er diese Art von Fügsamkeit noch nicht so verinnerlicht hatte wie andere, reagierte er doch auf einen strengen Ton.

      Angestrengt blickte sie sich um. Wenig Leute unterwegs. Große Gebäude. Büros, eine Gärtnerei, ein Baustoffhandel, ein Lagergebäude. Ihre Blicke wanderten die Straße hoch und runter. Es dämmerte. Bald würde hier Ruhe einkehren.

      »Komm«, sie streckte ihm versöhnlich die Hand hin. Er ließ sich mitziehen, presste mit der anderen Hand seine Giraffe an sich. Sie traten durch ein offenes Tor, huschten zwischen hohen, metallenen Gitterboxen durch auf das Gelände des Baustoffhandels. Dort versteckten sie sich in einem Schuppen, in dem Arbeitsgeräte aufbewahrt wurden.

      »Pst«, sie bedeutete ihm mit einem Finger an den Lippen, ruhig zu sein. »Sobald hier alle weg sind, gehen wir woanders hin.« Er sagte nichts, blickte nur ängstlich auf. Einen Moment lang fragte sie sich, ob er je wieder etwas anderes würde empfinden können. Dann schob sie den Gedanken weg, denn er kam ihren eigenen Gefühlen viel zu nah.

      18

      Hitze, Durst, Hunger und das Gefühl dringend pinkeln zu müssen, hatten sich einige Stunden lang abgewechselt. Tatsächlich waren keine weiteren Badegäste angekommen. Lena war sich sicher, dass der freundliche Familienvater sie angelogen hatte. Sie hatte den Standort gewechselt und ihren Wagen oberhalb des Kleinbusses an der Straße geparkt. Als die drei Familien am Nachmittag vom Strand nach oben kamen, schien keiner von ihnen mehr an die Frau zu denken, mit der sie fast ihre kleine Bucht hätten teilen müssen. Fröhlich wirkten sie, ausgelassen. Die Zwillinge knufften einander, die Frau mit dem Baby wirkte beseelt. Lediglich das Paar mit dem Kleinkind schien nicht ganz so guter Laune. Der Mann und die Frau würdigten sich keines Blickes und er räumte die Badesachen mit verkniffener Miene und eckigen Bewegungen in den Wagen.

      Lena folgte ihnen in einigem Abstand. Es herrschte kaum Verkehr auf der Straße, sodass sie nicht gezwungen war, dicht aufzufahren. Andererseits musste sie genau deswegen aufpassen, nicht gesehen zu werden.

      Nach zehn Minuten Fahrt bog der Kleinbus auf einen schmalen, asphaltierten Seitenweg ein. Lena fuhr zunächst an der Abzweigung vorbei, wendete und folgte dem Bus. Ihrer Berechnung nach konnte die Straße, der sie folgte, nicht sehr lang sein. Sie führte direkt aufs Meer zu und sie waren nicht weit entfernt davon. Tatsächlich tauchte schon nach kaum hundert Metern ein dreistöckiger Gebäudekomplex auf, der von einer halbhohen, sandfarbenen Mauer umgeben war. Dahinter hatte man locker stehende Büsche gepflanzt, die in ein paar Jahren einen dichten grünen Sichtschutz bilden würden. Der Kleinbus war hinter einer hohen, gemauerten Durchfahrt verschwunden, dessen schmiedeeisernes Tor weit offen stand. Lena wartete eine Weile ab, bevor sie ihm folgte. Zunächst passierte sie ein halb fertig gestelltes Gebäude. Achteckig und mit einer halbrunden Kuppel versehen wirkte es, als sei hier ein Wellnesstempel geplant gewesen. Der wirkte, genau wie ein Tennisplatz und etwas, das aussah wie ein Amphitheater, traurig und verlassen. Dem Zustand nach hatte man die Bauarbeiten bereits seit längerer Zeit eingestellt. Vermutlich war den Investoren das Geld ausgegangen. Sie fuhr im Schritttempo weiter, umrundete einen schmalen Seitenteil des rechteckigen Gebäudes. Der Eingang lag in einem einstöckigen Gebäudeteil auf der landabgewandten Seite, vor ihm öffnete sich der Weg zu einer breiten Zufahrt. Im Bereich hinter der gegenüberliegenden Schmalseite war ein Parkplatz angelegt, auf dem rund ein Dutzend Wagen geparkt waren. Dort stand inzwischen auch der Kleinbus, aus dem der Fahrer kletterte. Lena erkannte den schlecht gelaunten Vater des Kleinkindes. Da er alleine war, hatte er den Rest der Gesellschaft wohl schon direkt am Eingang abgesetzt. Lena fuhr im Schritttempo am Eingangsbereich vorbei ebenfalls auf den Parkplatz. Sie stieg aus und blickte sich um. Die landabgewandte Seite des Hotels zeigte direkt zum Meer. Die Stelle, an der sie stand, bot über die Mauer hinweg einen atemberaubenden Ausblick aufs Wasser. Genau gegenüber vom Hoteleingang führte an den Klippen eine grob in den Stein gehauene Treppe zwischen Handläufen aus dickem Seil auf eine winzige Bucht mit hellem Sandstrand hinunter. Sie drehte sich um. Drei Stockwerke hoch war der Gästetrakt, auf jedem Stockwerk schätzungsweise fünfzig Zimmer oder Appartements. Kein Wunder musste sich ein Teil der Gäste andere Badeplätze suchen. Sie rief das Foto von Shaenna mit den Fahrrädern auf ihrem Smartphone auf und dachte: »Bingo!«. Es war genau vor diesem Haus aufgenommen worden. Heller Sandstein, alles Naturtöne. Nur der Hotelname, den man auf dem Foto noch halb erkennen konnte, fehlte. Nirgendwo stand jetzt Naranja Azul angeschrieben. Die Fassade am Zugang war zudem frisch verputzt worden, sodass jeder Hinweis auf eine frühere Beschriftung fehlte.

      Das konnte natürlich daran liegen, dass das Haus verkauft worden war. Neue Besitzer, neuer Name. Darum hatte sie es nicht mehr im Internet gefunden. Aber woher kannte Angelika Kiewitz den alten Namen? War sie schon einmal hier gewesen?

      Lena steckte das Smartphone weg, warf die Baseballkappe in den Wagen und nahm ihre Sonnenbrille ab. Zwar rechnete sie nicht damit, dem Familienvater vom Strand zu begegnen, und falls doch, hoffte sie, nicht erkannt zu werden. Sie ging zum Eingang zurück