Der Mensch und seine Grammatik. Simon Kasper

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Название Der Mensch und seine Grammatik
Автор произведения Simon Kasper
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783823300441



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Art und Weise vorgestellt werden, wie beispielsweise das zu-sich-Nehmen der Mutter Jesu durch den Jünger aus der – durchaus wörtlich zu verstehenden – Perspektive des Jüngers oder aus der Perspektive der Mutter vorgestellt werden kann (b). Dabei ändert sich der Inhalt der komplexen Vorstellung nicht. Wenn mit Ausdrucksmitteln zum HandelnHandlung instruiert wird, betrifft dieses nun nicht mehr den Vorstellungsinhalt oder die Vorstellungsart und -weise. Dabei geht es einerseits um das Ko(n)textualisieren der Vorstellungen durch ihre Erdung und die Herstellung von Kohärenz. Indem die komplexe Vorstellung in verschiedenen Spannungsfeldern verortet wird, erfährt sie eine Erdung (c). Diese Spannungsfelder betreffen beispielsweise solche zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Abgeschlossenheit und Unabgeschlossenheit, zwischen Wirklichkeit, Möglichkeit, Unmöglichkeit, zwischen Wunsch und Notwendigkeit oder zwischen zuverlässiger und unzuverlässiger Evidenz. Dadurch, dass einzelne oder komplexe Vorstellungen zu anderen Vorstellungen in Bezug gesetzt werden, seien sie im Kotext, im Kontext oder im gemeinsamen (Welt-)Wissen präsent, werden sie ko(n)textualisiert, wodurch Kohärenz entsteht (d). Andererseits betreffen Instruktionen zum Handeln die praktische Verwertung von (geerdeten und ko(n)textualisierten) Vorstellungen, wie wir bereits gesehen haben (e).

      Eine konkrete sprachliche Äußerung instruiertinstruktive Leistungen zu diesen Tätigkeiten auf spezifische Weise, aber diese Tätigkeiten sind im Allgemeinen nicht auf die Interpretation sprachlicher Äußerungen beschränkt. Wenn der Schreiber Zeuge der Ereignisse des Evangeliums geworden ist, hat er etwas wahrgenommen, genauso wie die Interpretin der Äußerung sich etwas vorstellt (a); er hat es auf eine bestimmte Weise wahrgenommen, wie die Interpretin sich etwas auf eine bestimmte Weise vorstellt (b); ebenso musste er es deutend in Bezug zu bereits WahrgenommenemWahrnehmung setzen, dabei Beziehungen zwischen diesen erkennen, wie dies die Interpretin mit ihren Vorstellungen ebenfalls tun muss (d); und er nahm die WahrnehmungenWahrnehmung zum Anlass für eigenes Handeln, ebenso wie die Interpretin dies mit der Deutung ihrer Äußerung tun muss (e). Sogar die Aktivität des Erdens übernehmen sowohl der Deutende eines wirklichen Ereignisses als auch die Interpretin eines sprachlich ausgedrückten Ereignisses (c): Während ein wahrgenommenes Ereignis durch seine bloße Gegebenheit für den Wahrnehmenden bereits geerdet ist, gilt dies für eine Vorstellung von einem Ereignis noch nicht, oder nicht mehr. Denn dahingehend, ob die Vorstellung eines Jordanienurlaubs beispielsweise eine Erinnerung an Geschehenes, eine bloße Fiktion oder eine Wunschvorstellung über die Zukunft ist, ist die Vorstellung selbst unbestimmt. Je nachdem, um was es sich handelt, veranlasst sie aber zu unterschiedlichem HandelnHandlung. Dann muss – ähnlich wie bei der Konfrontation mit einer Äußerung – zwischen der Bestimmung des WasWas steht womit in welcher Beziehung? steht womit in welcher Beziehung? und des WasWas kann ich tun? kann ich (jetzt) tun? die Vorstellung erst einmal geerdet werden.

      Ich möchte am Beispiel der Äußerung in (4), Da nahm der Jünger die Mutter Jesu zu sich …, nun einen ersten Versuch unternehmen, die Bestandteile der Äußerung in den Verästelungen von Abbildung 2 zu verorten oder, anders gesprochen, ich lasse unsere Interpretin die sprachliche Instruktioninstruktive Leistungen mit ihren funktional gegliederten Bestandteilen erfolgreich befolgen und verstehen. Wir werden im Anschluss daran sehen, dass und wie dieser Erfolg an die spezifische Kenntnis der einzelsprachlichen Eigenstruktur gebunden ist. Ich verleihe unserer Interpretin also das Know-howKnow-how für eine erfolgreiche Interpretation, indem ich sie bei allen Ausdrücken der Äußerung die richtigen Unterscheidungen und Entscheidungen treffen lasse. Ich werde sie ihr aber dann wieder entziehen, um aufzuzeigen, dass es so einfach dann doch nicht ist, dass sie die Unterscheidungen und Entscheidungen vielmehr nur unter Berücksichtigung eines ganzen Komplexes von sprachlicher Eigenstrukturiertheit richtig treffen kann. Dieses Vorgehen soll dazu dienen, diese Eigenstrukturiertheit besser herauszupräparieren.

      Wir müssen dazu den engen Dunstkreis unserer isolierten Äußerung in (4) verlassen und sie in die gesamte kommunikative Interaktion einbetten. Die Äußerung ist mit dem vorangegangenen und dem folgenden Text vielfach verwoben und dieses Gewebe betrifft viele Aspekte des Vorstellens und Handelns. Die Äußerung in (4) erscheint erst im drittletzten Kapitel des Johannesevangeliums. Dort heißt es folgendermaßen:

      Abbildung 2 oben enthält die fünf instruktiven Leistungeninstruktive Leistungen Vorstellen von etwas (a), Vorstellen auf eine bestimmte Art und Weise (b), Erden (c), Kohärenz herstellen (d) und Verwerten (e).

      Da verbindet im Sinne von ‚infolge des Vorangegangenen‘ die in (4) ausgedrückte Eventualität mit den im Text vorangehenden Eventualitäten. Es zeigt also eine bestimmte Beziehung zwischen dem, was links von ihm steht beziehungsweise vorgängig geäußert wurde, und dem, was rechts von ihm steht beziehungsweise nachgängig geäußert wird.2 Insofern dient es zur Herstellung von Kohärenz (d).

      Nahmsymbolische Auslagerung instruiert zum Vorstellen einer Nehmen-Beziehung. Wir haben allerdings gesehen, dass es sich bei nahm um eine symbolischesymbolische Auslagerung Auslagerung einer Aktivität aus Gegenständen handelt und dass eine Vorstellung des Nehmens nicht ohne die Vorstellungen der Gegenstände möglich ist, an denen es sich manifestiert. Daher ist nahm offen, oder ergänzungsbedürftig, denn es erfordert die Ausdrücke der Gegenstände, die eine (bestimmte) Vorstellung des Nehmens erst ermöglichen und die Nehmen-Beziehung schließen (a). Durch seine 3. Person Singular Aktivform instruiert es außerdem dazu, sich das Nehmen auf eine bestimmte Weise vorzustellen: Der Ausdruck des Nehmens mittels der Aktivdiathese führt dazu, dass es aus einer neutralen Perspektive oder aus der Perspektive des Nehmers vorgestellt wird. In dieser Hinsicht ist nahm bestimmend: Durch seine Diathesespezifikation bestimmt der Ausdruck, dass der Gegenstand, der die gleichen Person- und Numerusspezifikationen aufweist und im Nominativ steht, der Nehmer ist. Für den anderen Gegenstandsausdruck bestimmt es den Akkusativ und damit die Genommenenrolle (b). Die Form der 3. Person Singular Indikativ Präsens ist es auch, die die Eventualität des Nehmens erdet. Die Erdung in Zeit, Wirklichkeit und so weiter betrifft natürlich nicht nur den Ausdruck nahm, an dem diese Kategorien angezeigt werden, sondern weil nahm eine symbolischesymbolische Auslagerung Auslagerung ist, erfasst die Erdung auch alles mit, woraus das Nehmen symbolisch ausgelagert wurde. Insofern schließt es nach links und rechts (c). Damit sind die Leistungen des Ausdrucks nahm aber noch nicht erschöpft. Durch seine Tempusspezifikation und dadurch, dass vorangegangene Äußerungen das gleiche Tempus aufweisen, kann eine kohärente Vorstellung des ganzen Geschehens konstruiert werden. Hier schließt es nach links (d). Zuletzt instruiert nahm kraft seiner Finitheitsspezifikationen dazu, die gesamte Äußerung als Behauptung zu behandeln und unter den einer Behauptung angemessenen Re-Aktionen eine zu wählen. Voraussetzung dafür ist allerdings die Abwesenheit eines Fragesignals wie einer FrageprosodieProsodie oder eines Fragezeichens (e).

      In Bezug auf das Vorstellen von etwas (a) möchte ich noch etwas präzisieren. Wenn wir genau hinsehen, finden wir, dass sich die instruktiven Leistungen des Ausdrucks nahm auf zwei verschiedene Teile von ihm verteilen: einen lexikalischen Teil, der zur Vorstellung des Nehmens im engeren Sinne instruiert, und einen morphologischen Teil, der die konkrete morphologische Form ausmacht. Um nun zu präzisierenMorphologie: Die Vorstellungen der Gegenstände schließen nur den lexikalischen Teil (a) von nahm. Bei den anderen Leistungen (b) bis (e) ist gerade der morphologische Teil von nahm wichtig. Wir können dem Rechnung tragen, indem wir auf der Ebene „Vorstellen von etwas“ (a) den lexikalischen und den flexivischen Teil von nahm gesondert behandeln. Dann können wir sagen, dass der flexivische Teil dazu instruiert, sich – ja, was denn eigentlich? – vorzustellen. Die Antwort ist: nicht viel, vielleicht sogar gar nichts. Aber dieser Teil ist nicht nur salientSalienz in der Sprachwahrnehmung, er ist auch pertinentPertinenz, indem er Leistungen für die Interpretation erbringt. Auch wenn er nicht zur Vorstellung von etwas beiträgt, so ist er doch, um seine Leistungen zu erbringen, auf diverse andere Vorstellungen angewiesen, das heißt er ist offen. In seinen Person-, Numerus-, Modus-, Tempus- und Diathesespezifikationen muss der flexivische Teil von nahm durch seinen lexikalischen Teil geschlossen werden. Was den Person- und Numerusaspekt betrifft, sind diese Spezifikationen zusätzlich auf diejenige eines Gegenstandsausdrucks angewiesen, der die gleichen Spezifikationen aufweist (a).