Tod eines SA-Mannes. Dieter Heymann

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Название Tod eines SA-Mannes
Автор произведения Dieter Heymann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783864551949



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Beine stellen kannst, du elender Versager! In den Selbstmord hast du sie getrieben, du Lump, weil sie mit der Schande, die du über sie gebracht hast, nicht mehr leben konnte. Wir brauchen in der Sturmabteilung richtige Männer, die Deutschland wieder zu dem machen, was es früher war und nicht solche elenden, schmarotzenden Kakerlaken wie dich! Nur damit du es weißt: Die Johanna wird meinen Neffen Willi heiraten und du wirst sie nicht ins Unglück stürzen, sondern dich von ihr fernhalten! Hast du mich verstanden?«

      Jansen war in sich zusammengesunken. Er wusste nicht, wo er hinschauen sollte, also nahm er einen Schluck Bier.

      »Hast du mich verstanden?«, wiederholte Plagemann donnernd seine Frage.

      Er brachte ein mühsames »Ja« heraus und nuckelte nochmals an seinem Glas.

      Felix und Paul schauten sich derweil peinlich berührt an.

      Johanna hingegen hatte den Disput unter den Männern dazu genutzt, sich zurückzuziehen. »Das wird ja immer besser«, dachte sie sich. »Jetzt soll ich auch noch den Willi heiraten!«

      Auch Jansen verließ nach kurzer Zeit kleinlaut das Wirtshaus, nachdem er sein Bier ausgetrunken hatte.

      Nachdem sich die Situation nach einigen Minuten entspannt hatte, ging der Trubel noch eine ganze Weile weiter. Viele weitere Getränke wurden bestellt, ausgeliefert und getrunken; zu weiteren Auseinandersetzungen kam es an diesem Abend trotz des hohen Alkoholkonsums nicht mehr.

      Irgendwann wurden die meisten der Gäste müde und verabschiedeten sich. Das Wirtshaus leerte sich zusehends.

      Auch der Tisch rechts neben der Tür war inzwischen verwaist. Johanna war so beschäftigt gewesen, dass sie nicht mitbekommen hatte, dass die drei verbliebenen SA-Angehörigen gegangen waren. Sie bedauerte, dass sich Felix nicht von ihr verabschiedet hatte.

      Sie dachte über den Disput der Männer heute Abend nach. Was bildeten sich diese Kerle nur ein! Seit sie im »Emskrug« arbeitete, hatte sie sich so manchen Spruch gefallen lassen müssen. Als Bedienung musste sie stets freundlich bleiben, auch wenn sie manchmal am Verstand der Gäste zweifelte. Heute aber amüsierte sie sich fast über das Gehörte: Der Willi wollte sie also ehelichen! Sie wusste zwar, dass sich der Neffe Heinrich Plagemanns Hoffnungen machte, aber der war ihr nicht mehr als ein guter Freund, sie hatte keinerlei weitergehende Gefühle für Wilhelm Plagemann. »Wenn Felix nur endlich sein Interesse zeigen würde …«

      Kopfschüttelnd räumte sie das Leergut von den Tischen und brachte es zum Spültisch, als Heinrich Plagemann plötzlich vom Innenhof her das Wirtshaus betrat und wie in Trance durch den Gastraum schritt. Er war also noch nicht gegangen, sondern hatte offenbar lediglich die Toilette aufgesucht.

      »Ich fasse es nicht … das wird ein Kameradschaftsabend … da werden die Fetzen fliegen … Unglaublich, skandalös …«, stammelte er vor sich hin.

      Alfons Hergemöller kam hinter der Theke hervor, um seinem Gast die Tür zu öffnen. »Heinrich, ist alles in Ordnung mit dir? Kommst du auch heil nach Hause?«

      Plagemann schaute ihn an, klopfte ihm stumm auf die Schulter und ging weiter. Alle noch Anwesenden blickten verdutzt hinter ihm her, als er hinaus trat. Nachdem sich die Tür hinter ihm wieder geschlossen hatte, blickte der Wirt fragend in die Runde, doch alle zuckten mit den Schultern; niemand hatte eine Erklärung für das seltsame Verhalten des SA-Mannes.

      »War wohl doch ein Bierchen zu viel. Wird älter, unser Heinrich«, kommentierte Hergemöller und wandte sich wieder dem Tresen zu. »Räum noch schnell die letzten Gläser ab«, wies er Johanna an.

      Sie wollte sich gerade an die Arbeit machen, als auf einmal Felix neben ihr stand. Sie wäre fast vor Schreck zusammen gezuckt. Sie fragte sich, wo er jetzt herkam.

      »Felix, ich dachte … wo warst du … ich meine … ich dachte, du seiest schon nach Hause gegangen«, stammelte sie und merkte, wie sie rot anlief. Seine Anwesenheit machte sie immer wieder aufs Neue nervös.

      Er war seltsam blass im Gesicht und seine Frisur war in Unordnung geraten. »Ich war gerade draußen, ich habe wohl etwas zu viel getrunken. Ich vertrage nicht so viel … mir geht es nicht gut.«

      Sie schaute in den Gang zum Innenhof und fragte leise: »Musstest du dich übergeben? Kann ich irgendetwas für dich tun?«

      Paul trat auf einmal hinter ihn und sagte: »Ich kümmere mich um ihn. Ich werde Felix schon heil nach Hause bringen. Ist ja nicht so weit, wir schaffen das, nicht wahr, Felix?«

      Dabei blickte Paul pausenlos zwischen der Eingangstür und Felix hin und her. Auch er wirkte verwirrt.

      Sie fragte: »Felix, möchtest du vielleicht noch ein Glas Wasser?« Paul antwortete schnell für ihn: »Wir gehen jetzt besser. Es ist schon spät und wir müssen morgen früh wieder zur Arbeit. Gute Nacht, Fräulein Hembrock.« Mit diesen Worten zog er Felix zügig mit zur Tür.

      »Gute Nacht«, murmelte sie vor sich hin und blickte den beiden irritiert nach.

      Nachdem Johanna die verbliebenen Aufräumarbeiten erledigt und ihren Lohn erhalten hatte, machte auch sie sich kurze Zeit später auf den Heimweg. Vor dem Wirtshaus spürte sie die winterliche Kälte und dachte mit Grauen an die bevorstehende Radfahrt zum Stadtteil Gellendorf, der auf der anderen Emsseite im Südosten Rheines lag. Dort teilte sie sich mit ihrer jüngeren Schwester ein Schlafzimmer in der elterlichen Wohnung. Sie legte Schal und Mütze an und zog die Handschuhe über, bevor sie auf ihr Fahrrad stieg. Die Fahrt würde sie im Dunkeln bewältigen müssen, weil das Licht an ihrem Gefährt schon seit Wochen defekt war. Ihr Weg führte sie über die Hindenburgbrücke, hinter der sie rechts abbiegen würde.

      Fast wäre sie ausgerutscht, als sie auf die Hindenburgstraße einbog, die über die Ems führte. Auf der Brücke merkte sie schnell, dass es durch die von der Ems heraufziehende Nässe spiegelglatt war. Vorsichtig bremste sie und stieg ab, um die Brücke, das Fahrrad mit der Hand schiebend, zu überqueren. Hoffentlich waren die Straßenverhältnisse auf der Mackensenstraße, vormals Hemelter Straße, und der darauf folgenden Elter Straße in Richtung Gellendorf besser.

      Sie wollte angesichts der ungemütlichen Kälte nur ganz schnell unter ihrer warmen Bettdecke sein.

      Fast hatte sie die Brücke schon geschafft.

      Da war doch etwas! Sie registrierte auf der anderen Straßenseite umher huschende Schatten, konnte aber aufgrund der schlechten Straßenbeleuchtung nichts Genaueres erkennen. Ihr wurde mulmig in der Magengegend, ihr Herzschlag beschleunigte sich und sie ging schneller.

      Sie schaute angstvoll nach links, im dämmrigen Licht einer Laterne konnte sie mit einem Mal sehen, wer ihr diesen Schrecken eingejagt hatte. Schnell stieg sie wieder auf ihr Rad und setzte ihren Weg fort.

      Der Furcht folgten viele Fragezeichen in ihren Kopf …

      Heinrich Plagemann schlenderte nachdenklich die Emsstraße hinunter. Er spürte die Kälte nicht, denn zu viel war heute Abend passiert, über das er auf seinem Weg nach Hause nachdenken musste. In seinem Kopf spielte sich das Geschehen noch einmal ab. Was hatte das alles zu bedeuten und wie sollte er reagieren? Völlig in seine Gedanken versunken wandelte er über die Nepomukbrücke. Er blieb stehen, um kurz zu verweilen. An dieser Stelle hatten sie dem Juden Silberstein heute am frühen Abend klargemacht, wer in Rheine inzwischen das Sagen hatte. Mit unnachgiebiger Härte würden sie die Juden schon aus Deutschland vertreiben! Da war die Welt noch in Ordnung gewesen.

      Aber nach dem später Passierten dachte er über verschiedene Dinge anders als noch vor wenigen Stunden …

      Langsam stieg er hinter der Brücke die Treppe zum Timmermanufer hinunter, einem engen Weg, der ihn an der Ems entlang und unter der Hindenburgbrücke hindurch zu seiner Wohnung in der Nähe der Mühle am Hemelter Bach führen würde.

      Das Ufer war nach dem früheren Unternehmer und Reichstagsabgeordneten Carl Timmerman benannt, der sich im vorigen Jahrhundert bei der Industrialisierung Rheines einen Namen gemacht hatte.

      Der SA-Mann legte sich einen Plan zurecht, der seine Stellung innerhalb der Truppe erheblich steigern würde. Er würde alles offenlegen und kein Blatt vor