Название | Vom Tellerwäscher zum Visionär |
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Автор произведения | Wolfgang Gran |
Жанр | Изобразительное искусство, фотография |
Серия | |
Издательство | Изобразительное искусство, фотография |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783711053077 |
Eine aus heutiger Sicht für Josef Dygruber typische, aber damals bemerkenswerte Reaktion, denn verstanden hatte es der Bub damals noch nicht, warum andere Mütter bei ihren Kindern waren, seine Mama aber immer wieder wegmusste. Aber Josef war ein Kind, das, wie es Johanna Dygruber ausdrückt, stets »gut zu haben« war. Freundlich, fröhlich, ohne Eklats. Woran sein Vater aber auch einen großen Anteil hatte, denn der übernahm eine für einen Mann in der damaligen Zeit noch nicht so selbstverständliche Rolle – die des Papas, der viel Zeit für das Kind hat. Er nahm mit dem Buben Gedichte auf Kassettenrekorder auf, die der für die Schule lernen musste, und übte sie mit ihm, er lernte und spielte mit seinem Sohn, genoss aber auch etwas, für das es diesen Begriff damals noch nicht gab: das gemeinsame Chillen. Dabei verschwanden eines Tages im Advent sämtliche für Weihnachten gedachten Kekse, weil während des gemeinsamen Couch-Kuschelns einmal der große und einmal der kleine Josef in die nicht gut genug versteckten Dosen nachfassen ging.
Josef Dygruber erlebte eine Kindheit, die trotz deren beruflicher Absenzen von viel Zuwendung beider Elternteile geprägt war, was gewiss auch damit zu tun hatte, dass er ein Einzelkind blieb: »Ein zweites wäre unter diesen Umständen nicht gegangen, da wäre es aus gewesen«, bringt der Vater die finanzielle und organisatorische Gratwanderung dieser Jahre drastisch auf den Punkt. Eine Kindheit, die aber auch davon bestimmt war, dass jeder Schilling vor dem Ausgeben zwei- bis dreimal umgedreht wurde, auch wenn speziell die Mutter im Rahmen der Möglichkeiten großzügig war: »Die Mama hat immer gesagt, lieber einmal etwas G’scheites kaufen, als dreimal einen billigen Blödsinn«, erinnert sich Dygruber. Und da war es gut, dass diesen Part die Mutter überhatte, denn mit dem Vater wäre es wahrscheinlich genau umgekehrt gelaufen.
Die Dygrubers waren nicht arm, aber der Gürtel war eng geschnallt. Sie waren nicht geizig, aber notgedrungen sparsam. Und dem Buben fehlte es an nichts, aber das verhinderte nicht das damals wehmütige Schielen auf andere, die im Vergleich zu ihm mit Geschenken regelrecht überschüttet wurden. Er sagt heute aus voller Überzeugung, dass die Art, wie er aufgewachsen war, die bessere Lebensschule gewesen sei, dass er von seinen Eltern viel Wichtigeres mitbekommen hätte als materielle Güter, nämlich moralische Unterstützung in allen Lebensbereichen und einen stabilen Wertekatalog. Dem Kind konnte sich das in der Form noch nicht erschließen, und deshalb sah es sich doch in manchen Situationen im Vergleich zu anderen ein wenig leid.
Aber eben nur ein wenig, denn im engen Rahmen der bescheidenen Möglichkeiten taten die Eltern alles, um ihrem Sohn nicht nur Werte für später, sondern auch Wertigkeiten für das gerade aktuelle Jetzt bereitzustellen. So hatte Josef schon mit zwölf Jahren eine Skitouren-Ausrüstung und erklomm mit den Eltern den Schlenken, den Hausberg in Adnet. Und mit 14 konnte er mit eigenem Surfbrett auf dem Wiestalstausee bei günstigen Winden die Mädchen beeindrucken. Solche Dinge bescherten ihm damals, oberflächlich betrachtet, nicht zu verachtende Punktesiege bei Gleichaltrigen. In den tieferen Schichten aber sorgte das auch für eine starke Verwurzelung mit seiner Heimat, weil all das in der prächtigen Natur rund um Adnet stattfand. Und heute als über 50-Jähriger weiß Josef Dygruber, dass es auch diese Erlebnisse waren, die ihn dazu brachten, sein Heimatdorf nie zu verlassen.
Denn schon in seiner Kindheit war dieser Bub auch mit Dingen nachhaltig zu beeindrucken, die rein gar nichts mit Materiellem zu tun hatten, und da kommt wieder der eingangs erwähnte Großvater Kaspar Seywald ins Spiel. Der hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, den kleinen Sepp nach dem Kindergarten und später der Volksschule auf seinem Puch-VS-50-D-Moped zur Wandschützenhütte mitzunehmen. Er war Obmann dieses traditionsreichen Böllerschützenvereins und kümmerte sich um die Hütte, die als Heimstätte diente.
Ist das Böllerschießen heute nur noch Brauchtum an den sogenannten Prangertagen wie etwa Fronleichnam, war es früher ab Mitte des 18. Jahrhunderts ein Wetterschießen, um Hagelwolken zu vertreiben. Und das passierte auf dieser Felswand hoch über Adnet, woher sich auch der Vereinsname ableitet. Mit dem Großvater in diese Hütte mitzufahren, war für den jungen Sepp ein Kindheitshighlight. Dort oben tat sich nicht nur ein Blick auf, der das Dorf unten im Tal wie ein kleines Lego-Bauwerk erscheinen ließ, sondern da war alles voller Geschichten und Geheimnisse. Stundenlang konnte der Bub die an die Hüttenwand gehefteten Partezettel verstorbener Mitglieder studieren und dem Opa Löcher in den Bauch fragen, wer diese Männer gewesen waren und was sie in ihren Leben getan hatten.
Und wenn der Großvater die Falltür im Boden öffnete, um aus dem Erdkeller Apfelsaft für den Enkel zu holen, war das für den Buben ein ums andere Mal ein besonderes Erlebnis: »Du trinkst nichts anderes als Saft, aber in diesem Moment ist das für ein Kind der weltbeste Apfelsaft«, gerät Dygruber auch noch als gestandener Mann und Firmenchef ins Schwärmen. Es waren für ihn damals wohl die Momente, in denen seine Fantasie unbegrenzten Auslauf hatte, und als der Opa eines Tages sagte: »Komm mit, jetzt wirst du verewigt«, und in einen Marmor-Findling ritzte: »JD 1973«, hatte der damals knapp Sechsjährige das Gefühl, eine kleine Berühmtheit zu sein, der gerade ein Denkmal gesetzt worden war.
Für eine Berühmtheit hielt er übrigens auch den Großvater, denn oben in der Wandschützenhütte verkehrte das eine oder andere Mal auch Alt-Landeshauptmann Wilfried Haslauer, und eines Tages kam sogar jemand von Radio Salzburg, um anlässlich eines Jubiläums den Opa zu interviewen. Und dabei zeigte sich, wie sehr der kleine Mann alles rund um diese Hütte und die spannenden Geschichten der Schützen in sich aufgesogen hatte. Als der Journalist fragte, wann der Wandschützenverein gegründet worden war und der Großvater kurz zögerte, schoss es aus dem Kind heraus: »1745«.
Die Bergtouren, das Schwimmen und Surfen im Wiestalstausee, die Erlebnisse mit dem Großvater auf der Hütte, die mit ausgedehnten Streifzügen durch den Wald verbunden waren – all diese prächtigen Kulissen der Natur bescherten dem heranwachsenden Josef Dygruber Kindheits- und Jugenderlebnisse, über die er noch heute gerne spricht: »Kindheit, das war für mich eine Herkunft, das war für mich auch die Natur, die mich umgibt, und da war es schon ganz gut, dass ich materiell nicht überhäuft worden bin, weil ich meine Bezugspunkte so in den Erinnerungen daran habe, was ich als Kind erlebt habe.«
Aber ein Dorfleben hat ja beileibe nicht nur Idylle zu bieten. Hier ist nicht nur Nähe zu spüren, sondern auch Enge. Hier wird nicht nur angeregt geplaudert, sondern auch missgünstig getratscht. Und hier kann man vertraute Abläufe auch als eintönige Routine empfinden. Es können ganz schön die Funken spritzen, wenn die Macht des Beharrens auf die Macht der Bewegung trifft in so einem überschaubaren Miteinander.
Und wenn dann einer ausschert aus dem gewohnten Trott wie Josef Dygruber, hält sich die Zahl jener in engen Grenzen, die nach dem überraschenden Ausstieg aus einem programmierten Lebensweg als biederer Angestellter zum mutigen Schritt in eine neue Richtung als risikobereiter Unternehmer gratulieren: »Als er mit claro angefangen hat, haben die Leute schon überwiegend gesagt: Das wird er nicht schaffen«, erzählt sein Vater: »Sogar die von der Bank, in der er am Anfang gearbeitet hat.«
Zumal das ja einer tat, den man bis dahin nicht einmal ansatzweise als revolutionären Charakter, als wilden, unkonventionellen Hasardeur wahrgenommen hatte. Josef Dygruber bezeichnet Handlungen als Kindheits- und Jugendstreiche, die bei jedem etwas aufmüpfigeren Heranwachsenden als Bewerbungen für ein Extra-Sternderl in Betragen durchgehen würden. Eine nicht gegessene Jause im Schnee vergraben, ein scheues Busserl im Kindergarten für den Schwarm Gertraud, später einmal ohne Führerschein mit dem Moped fahren und dann beim Gendarmen auch noch sofort zugeben, dass man keinen hat: Mit so einem »Sündenregister« hätte er bei der Raiffeisenbank große Karriere gemacht, wenn er denn dabeigeblieben wäre und nicht diese