Mein Bruder, Muhammad Ali. Rahaman Ali

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Название Mein Bruder, Muhammad Ali
Автор произведения Rahaman Ali
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783903183827



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war größer als der Sport selbst. Das Leben Muhammad Alis ist ein wichtiger Teil unserer Geschichte, und ich kann aus voller Überzeugung sagen, dass sein Vermächtnis für lange Zeit weiterleben wird … hoffentlich auf ewig.

       VORWORT

      von

      Rahaman ALI

      Für mich war mein Bruder nie nur ein Boxer.

      Muhammad Ali war zweifellos der beliebteste Sportler auf der Welt und

      vielleicht auch einer der am meisten bewunderten Menschen. Am Höhepunkt seiner Popularität war mein Bruder die wohl bekannteste Person auf der Welt, anerkannt auf jedem Kontinent. Als Athlet überschritt er die Grenzen seines Sports, und als Mensch verkörperte er einige unserer besten Seiten. Wenn die Leute ein Bild von meinem Bruder zeichnen, dann stellen sie sich ein geschmeidiges Schwergewicht vor, das Sonny Listons hammerharten Schlägen geschickt ausweicht, oder einen älteren, erfahrenen Boxer, der George Foreman dazu bringt, sich mit Körperschlägen zu verausgaben. Doch gleich von Anfang an erkannte ich schnell, dass der Boxsport nur eine Plattform für Muhammad war. Er war der „Auserwählte“, der helfen sollte, Menschen rund um den Erdball einander näherzubringen – durch Liebe, Frieden und Respekt.

      Es gibt keinen anderen Menschen, den ein engeres Band mit Muhammad verband, als mich, abgesehen von unseren Eltern natürlich. Man könnte sagen, ich war eine fast permanente Konstante in der Gesellschaft meines einzigen Bruders. Ich kannte Muhammad zu seinen besten Zeiten und zu seinen schlechtesten: den unverbesserlichen Witzbold und den eifersüchtigen älteren Bruder, den lautstarken Fürsprecher und den ruhigen Familienmenschen hinter verschlossener Tür. Wir wuchsen zusammen auf, lebten zusammen, trainierten zusammen, reisten zusammen, verbrachten unsere Zeit unter Prominenten, trafen Präsidenten, und unsere Namen standen sogar gemeinsam auf den Fight Cards.

      Doch hinter der Geschichte meines Bruders steckt noch viel mehr als die sogenannte „süße Wissenschaft“ und seine Zeit im Boxring. Trotz seiner Parkinson-Diagnose verlor mein Bruder auch im Herbst seines Lebens nie seine Lebensfreude. Sein ganzes Leben lang trat er lautstark für seine Religion und die Menschheit ein, widmete sich der Wohltätigkeit und half anderen. Sein Tod im Juni 2016 führte zu einer nie dagewesenen Flut an Lob und Emotionen. Es wurde mehr über Muhammad geschrieben als über irgendjemanden anderen: Das meiste gut, manches kontroversiell, und einigen lag wohl daran, sein Vermächtnis zu trüben. Doch bis jetzt schwieg die Stimme jenes Mannes, der ihn am besten von allen kannte – ich.

      Die Geschichte meines Bruders ist schon so oft in Büchern, Magazinen und Dokumentationen erzählt worden, doch die meisten dieser Geschichten und Berichte beschäftigen sich mit der Legende und nicht mit dem Menschen dahinter. Darum ist es mir ein Anliegen, eine neue Perspektive zu zeigen und ein Bild von dem Menschen zu zeichnen, den nur ich kannte, und nicht nur von der Persönlichkeit, die den meisten bereits bekannt ist. Das Bild eines Mannes, der wie jeder andere auch mit seinem Ärger, seinen Ängsten und seinen Versuchungen haderte, aber immer sein Bestes gab, um die Welt jeden Tag ein klein wenig besser zu machen.

      Wie so viele andere Menschen hatte auch Muhammad seine Fehler. Einmal sagte er zu mir: „Wenn du einen 50-Jährigen fragst, ob er Dinge anders machen würde, wenn er noch einmal 20 wäre, dann würde er das sicher tun. Und wenn nicht, dann hat er 30 Jahre seines Lebens verschwendet.“

      Muhammad hat natürlich keine Minute seines Lebens verschwendet – selbst jene Jahre, in denen ihm die Regierung seine Boxkarriere nahm, investierte er, um dieser fesselnde Rhetoriker zu werden, der eines Tages eine neue Generation inspirieren würde.

      Als wir noch Kinder waren, sagte mein Bruder zu mir: „Ich werde einmal der berühmteste Mensch auf der ganzen Welt sein.“

      Wir wussten beide immer, dass er es auch schaffen würde. Ich erinnere mich noch daran, wie er am Höhepunkt seiner Karriere zu mir sagte: „Bruder, ist es nicht wunderbar, wie sich unsere Träume erfüllt haben – wie wir die Ziele, die wir uns als Kinder gesteckt haben, auch erreicht haben?“

      Es gibt so viel, was ich der Welt über Muhammad Ali erzählen will, und dieses Buch ist mein Versuch, dies zu tun.

       BRÜDER

      Mein Bruder hätte unsere Mutter bei seiner Geburt beinahe umgebracht.

      Er hatte einen riesigen Kopf, viel zu

      groß, um auf natürliche Weise auf die Welt zu kommen. Die Ärzte im General Hospital in Louisville, Kentucky, versuchten alles in ihrer Macht Stehende, um meinen Bruder gesund auf die Welt zu bringen, und trotzdem wäre es beinahe schiefgegangen. Schließlich nahmen sie eine Geburtszange zu Hilfe, was dazu führte, dass Muhammad mit einem leicht schiefen Kopf auf die Welt kam. Glücklicherweise war auch unsere Großmutter mütterlicherseits da, um zu helfen. Sie versicherte unserer Mom, dass sie auf das Baby aufpassen würde, saß mit meinem neugeborenen Bruder im Arm da und streichelte seinen Kopf sanft von einer Seite zur anderen. Ob dies dazu beitrug, dass er schließlich diesen wohlgeformten Kopf bekam, kann ich nicht sagen, doch die Geburtszange hinterließ jedenfalls ihr Mal auf der rechten Wange meines Bruders, das er sein ganzes Leben mit sich herumtragen würde. Wie aber unsere Mutter uns immer erzählte, konnte man schon vom Tag seiner Geburt an sehen, dass mein Bruder ein richtig attraktiver Junge werden würde – mit diesen feinen Gesichtszügen, von denen die Schläge nur so abzugleiten schienen, und dem Gesicht, das so viele Tausende Male im Fernsehen zu sehen war – das Gesicht, das fast alle auf der Welt kannten. Er war von Anfang an ein gut aussehender Junge, und Mutter liebte ihn von dem Moment an, an dem sie ihn zum ersten Mal sah.

      Trotzdem, nicht alle erkannten meinen Bruder gleich. Kurz nach der Geburt legten die Krankenschwestern das falsche Baby zu Mutter ins Bett, die vor Erschöpfung noch ganz benommen war. Als sie das Namensschild erblickte, merkte sie sofort, dass dies nicht ihr Baby war. Obwohl sie dabei sicherlich in Panik geraten sein musste, hat unsere immer ruhige Mutter ihre Stimme wahrscheinlich nur ganz leicht erhoben und gesagt: „Hey, das ist nicht mein Kind.“

      Sie hatte ihre eigene Art, diese Demütigungen mit Gelassenheit hinzunehmen – eine der vielen Eigenschaften, in denen sie das genaue Gegenteil unseres Vaters war. Schlussendlich brachten die Schwestern ihr meinen Bruder. Jahre später erzählte sie uns, dass die Babys auf der Station alle so ruhig gewesen seien und man kaum eines weinen gehört habe – mit Ausnahme meines Bruders natürlich, der nicht aufhörte zu weinen. Er startete wie eine Rakete, noch nicht einmal 24 Stunden auf der Welt, und war schon der Lauteste von allen, und natürlich steckte sein Geschrei die anderen Neugeborenen an. Nur mein Bruder konnte die Station so auf Trab halten. Vom Tag seiner Geburt an war Muhammad laut.

      In den letzten fünfeinhalb Jahrzehnten war mein älterer Bruder „Muhammad“ für mich, doch als er das Licht der Welt erblickte, nannten ihn unsere Eltern nach meinem Vater – Cassius Clay Marcellus Senior. Er wurde am 17. Jänner 1942 geboren, 18 Monate vor mir. Unser Vater war recht angetan von Rudolph Valentino, dem Hollywoodstar, und beschloss, mich nach ihm zu benennen, Rudolph Arnett Clay. Für meinen Bruder war ich immer Rudy, und er war für mich und den Rest der Familie Gee, wegen seiner ersten Worte, die er sprach: „Gee-gee.“ Er sagte „Gee-gee“, wenn er hungrig war, seine Windeln gewechselt werden mussten oder er nur nach etwas Aufmerksamkeit und Zuwendung verlangte. Als er sich 1964 auf Muhammad umbenannte, nahm ich den Namen Rahaman an, doch unter Familienangehörigen hieß er immer noch Gee, und selbst heute nennen wir ihn noch so. Unseren Vater nannten wir Cash, und Mom war Bird, da sie immer in so ein wunderschönes Lachen ausbrach, wenn Vater für sie sang, sie neckte oder ihr Witze erzählte.

      Unsere Mutter war am 12. Februar 1917 als Odessa Lee Grady geboren worden. Ihr Vater, John Grady, war zur Hälfte weiß, da er eine farbige Mutter und einen weißen irischen Vater hatte. Er war 1877 aus einer kleinen irischen Stadt namens Ennis nach Amerika gekommen. Nach einer langen und gefahrvollen Reise über den Atlantik traf und heiratete er eine befreite Sklavin. Mit innerer und äußerer Schönheit gesegnet, hatte unsere Mutter ein sehr sanftes und liebevolles Auftreten. Aufgrund ihres kräftigeren Körperbaus und der hellen Hautfarbe wurde sie oft