Kreativ sein als Naturfotograf*in. Bart Siebelink

Читать онлайн.
Название Kreativ sein als Naturfotograf*in
Автор произведения Bart Siebelink
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783969100769



Скачать книгу

ein Motiv. Das Foto bietet daher einen symbolischen Einblick in meine innere Welt. Nikon D810, 105 mm, 2 s, Blende 20, ISO 400, -3 EV, Stativ

      Deshalb lautet mein Rat, solange Sie noch auf der Suche sind: Likes sollten Ihnen schnuppe sein. Lassen Sie sich nicht entmutigen, wenn Ihre experimentellen Fotos wenig Resonanz finden. Im Gegenteil: Ich rate Ihnen sogar davon ab, Fotos, an denen Sie noch Zweifel haben, einer breiten Öffentlichkeit zu zeigen. Sie werfen sich damit den Wölfen zum Fraß vor, und das kann Ihrer Suche sogar schaden. Der ehemalige Chefredakteur der niederländischen Ausgabe von National Geographic, Aart Aarsbergen, kritisierte in seinem Abschiedsinterview die Rolle der Plattformen: »Social Media wie Instagram sind tödlich für die Originalität in der Fotografie. Ein subtiles Bild geht dort völlig unter. Es muss alles grandios und schrill sein, um aufzufallen. Instagram führt zu kreativer Verarmung und fotografischem Konformismus.« Das ist auch meine Meinung.

      Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl sollten nicht von der Bestätigung durch andere abhängen. Einer der wichtigsten Maßstäbe für Professionalität ist Ihre Kritikempfindlichkeit. Mit wachsendem (fotografischem) Selbstvertrauen lernt man, zunehmend konstruktiv damit umzugehen. Wo der Amateur sehr sensibel auf jede Art von Feedback reagieren kann, das kein Schulterklopfen ist, sieht der Profi darin eine Chance zur Weiterentwicklung.

       Der kreative Prozess

      Innovative Fotos ergeben sich aus einem Prozess, den man natürlich auch ergründen kann. Zu jeder Phase gehören bestimmte Aktivitäten und eventuell eine bestimmte Struktur. Es handelt sich ausdrücklich nicht um einen Schritt-für-Schritt-Plan, den man geradlinig abarbeitet. Vielmehr sollten Sie den kreativen Prozes als ein Set mit Bezugspunkten sehen, auf das Sie zurückgreifen können.

      In der Kunstpädagogik ist der Prozess immer öfter ein zentrales Thema – vor allem deshalb, weil die meisten festen Standards, nach denen eine bildliche Äußerung beurteilt wurde, mittlerweile überholt sind. Die Prozessqualität hat ihren Platz eingenommen.

      Der Prozess ist schließlich auch eine verlässliche Größe. Man muss zuerst bis zum Ende der Straße gehen, um sehen zu können, was hinter der nächsten Ecke liegt. Progressive Erkenntnisse sind wichtig. Sie sind die einzige Möglichkeit, abgegriffenen Klischees zu entkommen. Erst wenn einen das Endergebnis überrascht, weiß man, dass man sich selbst übertroffen hat.

       Wie sieht ein kreativer Prozess aus?

      Kunsthochschulen nehmen den kreativen Prozess als Ausgangspunkt. Ein oft gehörter Einwand dagegen ist, dass »die Magie« verschwinden würde. Oder dass man versuchen würde, Kreativität in Diagramme oder Tabellen zu zwängen.

      Meiner Meinung nach ist das alles halb so wild. Es gibt wirklich bestimmte Muster, Methoden und Gesetze, die man als Bereiche eines kreativen Prozesses einstufen kann. Diese sollte man nicht als ein rigides Protokoll betrachten, sondern als ein offenes Spielfeld, auf dem jeder seinen eigenen Weg zurücklegen kann. Deshalb wähle ich eine imaginäre Landkarte als Metapher, eine Roadmap, in der die Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft die verschiedenen Bereiche des Prozesses repräsentieren: Orientierung, Konzeptentwicklung, Gestaltung und Reflexion. Diese Gebiete sind nicht scharf voneinander getrennt, sondern überlappen sich. Die Reflexion nimmt einen besonderen Platz ein, da man sie immer zwischendurch anwendet, bevor man wieder weitermacht. Darüber hinaus können Sie gerade als Fotograf Ihre eigene Route wählen und eigene Akzente setzen.

      Eine kurze Charakterisierung der Bereiche: Bei der Orientierung tauchen Sie sozusagen in ein Thema ein. Sie tun dies, ohne sich mit der Frage aufzuhalten, was genau Sie damit wollen. Es geht darum, dass Sie stimuliert werden. Wichtige Aktivitäten sind Beobachten (Sehen, Hören, Fühlen usw.), Assoziieren, Phantasieren, Nachdenken und (neue) Ideen sammeln. Es ist eine Phase, in der Sie noch breit aufgestellt agieren.

      Während der Ideenentwicklung, auch Konzeptphase genannt, beginnt man zu fokussieren, zu filtern, zu konvergieren, wobei man schließlich seinen eigenen, neuen Einfallswinkel bestimmt. Manchmal ist dieser von Anfang an klar, aber sehr oft nimmt er erst Gestalt an, wenn Sie Ihre Fotos ordnen und auswählen.

      Während der Gestaltung (sprich: des Fotografierens) tauchen alle bekannten Facetten des Fotografierens auf. Welches Objektiv verwende ich? Welche Blende? Welche Belichtung, welche Kameraposition und so weiter. Auch die Nachbearbeitung ist ein wichtiger Teil der Gestaltungsphase.

      Die Reflexion ist der Bereich, in dem Sie jedes Mal einen Schritt zurücktreten, um mit etwas mehr Abstand zu sehen, wo Sie stehen und welche Muster oder Gedankengänge in Ihrer Arbeit zu erkennen sind. Hier geht es darum, zu analysieren und Schlussfolgerungen zu ziehen: Was ist gut gelaufen? Was könnte besser sein? Welche Bedeutungen lassen sich aus den entstandenen Arbeiten ablesen?

image

      Wenn Sie Ihren kreativen Prozess im Posterformat selber zeichnerisch darstellen, erhalten Sie eine Fülle von Erkenntnissen. Die Art der Gestaltung ist für jeden anders. Aukje Bakker arbeitete ein Jahr lang an einem Fotoprojekt mit dem Titel »Gegen den Strom«. Dieses Bild zeigt ihren kreativen Prozess. Links in den blauen Blasen stehen die Monate. Auch ihre Momente des Zweifels sind klar erkennbar.

image

      Der Prozess des Fotografen Rob Blanken bei der Entstehung des Albums/Buchs »Vulnerabilty«. Die verschiedenen Phasen lassen sich deutlich ablesen, aber auch die Parallelen zu persönlichen Entwicklungen.

      Es ist möglich, dass Sie den gleichen Bereich während Ihres kreativen Prozesses öfter aufsuchen. Manchmal geschieht das unbewusst, weil es einfach Spaß macht. Aber sobald man das Gefühl hat, nicht mehr weiterzukommen, steckt man fest. Dann ist es Zeit, erneut zu reflektieren, um voranzukommen.

      Außerdem ist es hilfreich, sich darüber bewusst zu werden, dass sich kreative Prozesse sehr unterschiedlich gestalten können. Sie können sehr strukturiert sein. Zum Beispiel gehen viele Tier- und Landschaftsfotografen recht systematisch vor, weil ihr Motiv oft schon feststeht. Fotografen, die sich eher vortasten oder experimentierfreudig sind, geben dem Zufall oft viel mehr Raum, was ihren Prozess chaotischer und weniger greifbar erscheinen lässt. Doch auch sie durchlaufen die gleichen kreativen Phasen.

      Kreative Prozesse können auch auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig ablaufen. Ein großer Prozess umfasst ein komplettes Projekt, ist komplex und nimmt viel Zeit in Anspruch. Aber hinter jedem einzelnen einfallsreichen Foto desselben Projekts kann sich wiederum ein sehr kreativer (kleiner) Prozess verbergen, der in kurzer Zeit abläuft.

       Wie durchlaufen Sie den Prozess? Starten Sie Ihr eigenes Projekt!

      Wie kann man am besten all diese Schritte absolvieren, ohne dass es zu einer schweren Aufgabe wird, die einen belastet? Der beste Weg ist, einfach mit dem Projekt zu starten. Wollen Sie Ihren eigenen Stil finden? Wollen Sie Ihre Fotografie vertiefen? Soll sie mehr als nur ein netter Zeitvertreib werden? In all diesen Fällen ist ein Projekt hilfreich.

      Beispiele für Projekte sind eine eigene Portfolio-Site, ein Blog, eine Ausstellung oder ein Fotoalbum. Es kann aber auch ein eigenes Buch sein oder eine kontinuierliche Erforschung einer bestimmten Fragestellung, die zu einer Fotoserie führt. Sie brauchen also eine gewisse Form: einen Plan, der bewirkt, dass Sie weiter schauen, als einzelne Fotos reichen, und auch weiter denken.

      Jetzt, da Sie das gesamte Spielfeld auf der Roadmap überblicken können, wird auf einen Blick klar, dass der kreative Prozess weit mehr beinhaltet als nur die Fotografie selbst. Sie können nun überprüfen, welche Phasen des kreativen Prozesses Sie am besten kennen und mit welchen Bereichen des kreativen Prozesses Sie (noch) weniger vertraut sind.

      Die Reihenfolge, in der Sie alles durchgehen, ist von Person zu Person unterschiedlich. Das ist