Название | Kreativ sein als Naturfotograf*in |
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Автор произведения | Bart Siebelink |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783969100769 |
Der zweite Fotografentyp ist der Techniker, dessen Name Programm ist. Von Natur aus hat der Techniker wenig oder gar keine biologischen Feldkenntnisse, aber eine ausgeprägte Faszination für die Digitalkamera. Er schreckt auch vor den versteckten Funktionen nicht zurück.
Ein dritter Fotografentyp ist der Künstler, für den das Bild und die Komposition wichtiger sind als das Motiv oder die Technik. Künstler haben keine Probleme, Motive zu finden. Ein morscher Baumstamm ist für sie mindestens so verführerisch wie eine seltene Tierart. Der Künstler staunt über die Natur um ihn herum; draußen zu sein ist an sich schon ein Erlebnis.
Schließlich gibt es den Philosophen, der sich im Voraus fragt, was Fotos eigentlich aussagen (wollen). Der Philosoph wird von einer persönlichen Suche nach dem tieferen Sinn getrieben und ist in der Lage, originelle Zusammenhänge herzustellen.
Der ideale Naturfotograf vereint all diese Typen in sich. Aber die Realität ist widerspenstig. Auf meiner niederländischen Website www.centrum-voornatuurfotografie.nl/test können alle, die der niederländischen Sprache mächtig sind, den Test »Welche Art Naturfotograf sind Sie?« machen, wenn sie wissen wollen, zu welcher Kategorie sie gehören.
Mittlerweile haben über 3500 Naturfotografen diesen Test absolviert. Und was stellt sich heraus? Die meisten von ihnen sind primär biologisch getrieben. Nicht weniger als 35 Prozent der Befragten hatten den Biologen als höchste Punktzahl, gefolgt von den Kategorien Techniker (30 Prozent) und Künstler (28 Prozent). Der Philosoph erzielte nur 7 Prozent. Fazit: Für erfahrene Fotografen, die technisch, biologisch und künstlerisch fortgeschritten sind, ist die Pflege des Philosophen die größte Herausforderung für ihre weitere Entwicklung.
Klingt das nicht aufregend? Wenn Sie unbedingt weiterlesen möchten, ist jetzt der Moment für eine letzte Warnung gekommen. Wenn der Philosoph die Oberhand gewinnt, kann man als Fotograf ziemlich demotiviert werden: Man wird sich nämlich fragen, wofür man das alles tut und welchen tieferen Sinn es hat. Ist es überhaupt sinnvoll? Solche Gedanken können lähmend sein und den Spaß in freier Natur bremsen. Eine gewisse Lockerheit im Umgang mit dem Inhalt dieses Buchs ist daher sinnvoll. Fordern Sie sich selbst heraus, gehen Sie neue Wege, aber immer nach dem Motto: alles kann, nichts muss!
Muster sehen, Zusammenhänge herstellen, die richtigen Fragen stellen … aber auch vor sich hin träumen und sich darin verlieren. Foto: Annemiek Sips
Warum ich?
Wer bin ich, dass ich denke, die Weisheit gepachtet zu haben? Natürlich ist das nicht so. Aber ich bin seit mehr als dreißig Jahren beruflich in den Bereichen Kunst, Design, Biologie, Journalismus, Fotografie, Kommunikation und Bildung tätig. Ich habe gelernt, Muster zu sehen, Zusammenhänge herzustellen und die richtigen Fragen zu stellen.
Für mich begann alles mit der Natur. Schon als Kind war ich verrückt danach. Viele Naturliebhaber teilen ihre Leidenschaft mit einem Familienmitglied, aber bei uns zu Hause war ich der einzige. Anscheinend habe ich den Naturvirus von meinem Urgroßvater mitbekommen, aber für eine Begegnung reichte die Zeit leider nicht. Die Tatsache, dass ich zu Hause mit meiner Leidenschaft alleine dastand, hatte weitreichende Konsequenzen, von denen Sie als Leser nun profitieren.
Es verhielt sich nämlich so: Wenn wir beispielsweise spazieren gingen, blieb ich immer am Wegesrand hängen und machte dort alle möglichen Entdeckungen. Ein Frosch, eine Wanze – ich fand das alles unglaublich aufregend. Die anderen mussten ziemlich oft auf mich warten, und aus Gründen, die mir damals unverständlich waren, gab es dafür auch ein Zeitlimit. Auch die Urlaubsziele wurden leider nicht nach dem Naturgehalt ausgewählt, und ich musste mich mit sehr wenig zufriedengeben. Dazu gehörte beispielsweise der brachliegende Grünstreifen zwischen Ferienhaus und Strand. Aber kein Problem: Es war ja in Italien, und da wuselten Ruineneidechsen umher, also hatte ich meinen Spaß dort. Am Ende des Urlaubs hatte ich die tiefste Sonnenbräune von meinem stundenlangen, gebückten Laufen in der Sonne. Warum erzähle ich Ihnen das alles? Um Ihnen zu zeigen, dass ich schon früh lernen musste, mit Kompromissen zu leben.
Jahrelang habe ich mich dagegen gesträubt. Ich meinte sogar lange Zeit, im falschen Land geboren zu sein. Erst viel später wurde mir allmählich klar, dass hinter all diesen Kompromissen etwas Größeres steckte: die Kraft der Beschränkung! Während meines Biologiestudiums habe ich ein Praktikum in der Abteilung für Bodenökologie absolviert. In einem der Aufenthaltsräume der Fakultät hing ein Spruch an der Wand: »The soil is the poor man’s rain forest.« Damals fand ich das trist, jetzt finde ich es treffend!
Beschränkung führt zwangsläufig dazu, dass man der Sache einen eigenen Dreh geben muss. So wurde mein wichtigster Trumpf nicht das aufregendste Motiv, die spektakulärste Landschaft oder das bezauberndste Morgenlicht, sondern sehen zu lernen und visuell außergewöhnliche Bilder zu erzeugen, anywhere and anytime. Ich lernte, vor Ort immer schneller den Unterschied zu erkennen zwischen Situationen, die höchstens passable Fotos hervorbringen, und Situationen mit Potenzial für etwas Besonderes. Kurz gesagt: Beschränkung führt zu Kreativität. Der Begriff creative constraint unterstreicht dies. Oder das deutsche Sprichwort: In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister. Und ist die so hoch geschätzte italienische Küche nicht aus Armut und Beschränkung entstanden?
Fazit: Beschränkung macht kreativ. Aber das ist nicht der einzige Faktor, der zählt. Schließlich kann man über massenhaft Zeit verfügen und in interessanten Motiven ertrinken und trotzdem in der Durchschnittsfotografie stecken bleiben. Man muss nicht viel Zeit im Internet verbringen, um zu sehen, was ich meine. Die Beschränkung ist also funktional. Aber wie setzt man dies in Kreativität um, und wie kann man das für sich selbst nutzen? Darum geht es in diesem Buch.
BEZUGSRAHMEN
Was ist das richtige Mindset?
Dieses Buch enthält keine Techniken, Rezepte oder Standardmethoden. Sie würden den Prozess nur vorhersehbar machen. Kreativität ist jedoch Einstellungssache. Dahinter verbergen sich bestimmte Schlüsselerkenntnisse, die Ihnen helfen, mit der Fotografie lockerer und eigenwilliger umzugehen. Das ist das Thema in diesem Einleitungskapitel.
Kennen Sie diese alte japanische Erzählung? Der Kaiser beauftragt einen Künstler, einen Hahn für ihn zu zeichnen. Der Künstler geht zurück in sein Atelier und lässt wochenlang nichts mehr von sich hören. Der Kaiser schickt einige Diener zu ihm. Als auch diese unverrichteter Dinge zurückkehren, beschließt er letztendlich nach einem Jahr, selbst hinzugehen. Er tritt ein und fragt in einem herrischen Ton: »Wo bleibt mein Hahn?« Der Künstler bückt sich, rollt ein großes Blatt Papier auf, taucht seinen Pinsel in die Tinte, und ratzfatz entsteht der schönste Hahn, den der Kaiser je gesehen hat. Der Kaiser ist hingerissen. Doch dann wird er wütend und fragt: »Warum ging das nicht schon früher?« Daraufhin bedeutet ihm der Künstler, weiter ins Haus zu gehen. Dort zeigt er dem Kaiser ein großes Atelier voller Skizzen von Hähnen. »All diese musste ich erst machen, damit ich den einen Hahn für den Kaiser zeichnen konnte.« Der Kaiser versteht – er ist ein weiser Mann.
Abläufe sind wichtiger als Ergebnisse: Spitzenfotos sind Beifang
»Übung macht den Meister«, lautet ein altes Sprichwort. Dies gilt nicht nur für künstlerisches Können wie das Zeichnen eines Hahns. Das gilt für alle Aktivitäten, die letztendlich zu außergewöhnlichen Ergebnissen führen.
Zurück zum japanischen Künstler: Alle früheren Skizzen, die er anfertigte,