Kreibohms Welt!. Stefan Kreibohm

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Название Kreibohms Welt!
Автор произведения Stefan Kreibohm
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783356023350



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Stunde in ein Beobachtungstagebuch einzutragen, im Falle des Beginns oder Endes eines Schauers minutengenau auch zwischendurch. Hierbei handelte es sich aber nicht um ein in Leder eingeschlagenes oder mit Einhörnern bedrucktes Tagebuch, wie Teenager es benutzen. Es war ein schnödes A3-Blatt mit Tabelle, jede Stunde (fachlich korrekt: jeder Termin) hatte eine Zeile, jeder meteorologische Parameter eine Spalte. Hinzu kam noch Raum für die Beobachtung zwischen den Terminen.

      So füllte sich nun, beginnend um 0 Uhr, dieses Blatt Kästchen für Kästchen und Zeile für Zeile, das Wetter eines ganzen Tages wurde auf einem Blatt festgehalten. Der Sinn des Ganzen hatte weniger damit zu tun, das tägliche Wetter zu registrieren und zu archivieren. Viel wichtiger war es, die Wetterbeobachtung an die Zentrale Wetterdienststelle weiterzuleiten – in der DDR befand sich diese in Potsdam, in der Bundesrepublik damals wie heute in Offenbach. Und das nicht per Telefonplausch – den konnte es schon allein deshalb nicht geben, weil alle Wetterstationen gleichzeitig ihre Meldung absetzen mussten, und zwar jeweils zehn Minuten vor der vollen Stunde.

      Eine solche Wettermeldung sah beispielsweise folgendermaßen aus:

      SMDL DWBD 131800

      AAXX 13181

      10381 01983 41905 10195 20159 30016 40109 57010 69902

      76162 84070333 10242 20121 31010 55300 69907 81360

      84365=

      NNNN

      Ein Geheimcode? Nein, die Wetterdaten wurden nach dem international einheitlichen Wetterschlüssel mit dem klangvollen Namen FM12 verklausuliert. Wenn man so will, ist dies das Esperanto der Meteorologie. Jeder, der diese „Sprache“, diesen Code kennt, weiß, wie das Wetter an der Station ist, von der die Meldung stammt.

      Es würde zu weit führen, an dieser Stelle den gesamten Code zu erklären, im Internet findet man unter dem Suchbegriff „FM12“ die komplette Erläuterung. Als kleines Entschlüsselungsbeispiel sei hier die wohl wichtigste Zahlengruppe genannt, beginnend mit 10381, der Stationskennung. Die 10 steht für Deutschland, die 381 für Berlin-Dahlem. Jede Wetterstation kann so über eine Nummer identifiziert werden. Die folgenden Kombinationen stehen für Parameter wie Sichtweite, Bedeckungsgrad, Windgeschwindigkeit. Auch die Lufttemperatur verbirgt sich natürlich darunter, in der vierten Gruppe bedeutet die 10195 beispielsweise 19,5 Grad Celsius. In der ersten Zeile weist die Gruppe 131800 darauf hin, dass die Beobachtung vom 13. eines Monats um 18:00 Uhr Weltzeit stammt.

      Jedes Rechenzentrum der verschiedenen nationalen Wetterdienste kann so eine verschlüsselte Wettermeldung verarbeiten, und, es sei noch einmal betont, jeder gut ausgebildete Wetterbeobachter kann sie „von Hand“ lesen.

      Diese Methode wurde und wird exakt so auf der ganzen Welt angewandt und macht bis heute einen Datenaustausch überhaupt erst möglich. Durch die international standardisierte Messtechnik und Messmethode sind die erhobenen Daten miteinander vergleichbar. Mittlerweile liegen jahrzehntelange Messreihen vor oder sogar die kontinuierlich erfassten Daten von mehr als einem Jahrhundert, oft vom gleichen Standort. Wetterstationen leisten so ihren Beitrag für die Erfassung des aktuellen Wetters und durch die Speicherung der Daten spielen sie die Hauptrolle bei der Einordnung der aktuellen globalen Erderwärmung. Man kann die Entwicklung des Weltklimas bis mindestens 1880 aufgrund von Messdaten zurückverfolgen, an einigen Orten sogar bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts.

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      Wo stehen Wetterstationen?

      Wetterstationen sollen mit ihren Messungen das Wetter des Standortes repräsentieren. Die Topografie spielt hier eine gewaltige Rolle, schließlich ist die Landmasse unseres Planeten nicht platt wie ein Teller. Selbst Gebiete, die als Ebene gelten, weisen sanfte Hügel und Senken auf – das kennen wir nicht zuletzt von der Norddeutschen Tiefebene. In Gebirgen gibt es – wenig überraschend und ganz offensichtlich – große Höhenunterschiede, an Küsten treffen Wasser und Land unmittelbar aufeinander.

      All dies führt zu regionalen Wetterunterschieden, und sei es auch nur zu einer divergierenden Temperatur, beispielsweise zwischen zwei verschieden hoch liegenden Orten. Hierbei muss die Höhendifferenz nicht hunderte Meter betragen, es reichen weniger als 10 Meter. So haben Messungen auf Rügen ergeben, dass es in Putbus 0 Grad Celsius sein können, zur gleichen Zeit in Samtens -10 Grad und am Kap Arkona +5 Grad. Solche regionalen Unterschiede lassen sich nur entdecken, wenn man ein Messnetz immer weiter verdichtet. Genau diese Strategie verfolgt seit Mitte der 1990er-Jahre der Meteorologe Jörg Kachelmann. „So wie wir heute messen, werden wir morgen vorhersagen“, hat er einst gesagt. Wenn Ihnen dieser Satz irgendwie bekannt vorkommt, haben Sie in der DDR gut aufgepasst. Er klingt nach der Weberin Frida Hockauf. Ihr wird die in den 50er-Jahren propagierte These zugeschrieben: „So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben.“

      Die Kachelmannsche Einschätzung teile ich, denn wer wissen will, wie es wird, der muss wissen, wie es ist. Wer nicht weiß, dass es in Morgenröthe-Rautenkranz im Vogtlandkreis im Winter -30 Grad Celsius kalt werden kann, der wird dies auch nicht vorhersagen. Also wurde dieser Ort von Kachelmann in sein Messnetz aufgenommen, fortan hatten er und seine Mitarbeiter die Messwerte auf dem Tisch und lernten so die örtlichen Besonderheiten kennen. Man konnte vor regionalem Frost warnen – andere, denen die Messwerte verborgen blieben, konnten das nicht, Unkenntnis führt dann zu ungenauen Vorhersagen.

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       Jörg Kachelmann bei einer Veranstaltung auf Hiddensee (1998)

      Wenn ich in Mecklenburg-Vorpommern unterwegs bin, zum Beispiel für Vorträge oder Lesungen, höre ich häufig, dass der Ort, an dem ich mich gerade befinde, sein ganz eigenes Wetter habe. Schauer verfehlten diesen magischen Ort in schöner Regelmäßigkeit – und überhaupt sei es hier oft kälter oder wärmer als vorhergesagt. Man hat auch stets die Ursache für dieses exklusive Wetter parat. Jeder Ort hat in der Umgebung Neuposemuckeler Berge oder das Kleinkennstenicher Moor, für die den halben Atlantik überquerenden Wetterfronten sei hier einfach Schluss. Der sich über tausende Kilometer um die Nordhalbkugel schlängelnde Jetstream, das Starkwindband, welches die Wolkenströme in fünf bis zehn Kilometern Höhe lenkt, nimmt vieles in Kauf: die Rockies in Kanada, Grönland, den großen Ozean, die Britischen Inseln, Rhein, Weser und Elbe. Doch irgendwann ist Schluss, er gibt sich den steilen, himmelhoch aufragenden Wänden des Mecklenburger Höhenrückens und den hunderten Seen geschlagen. Spätestens die Peene gibt ihm den Rest. Kein Gewitter hat es je über den vorpommerschen Amazonas geschafft, die Menschen an der Mündung wissen gar nicht mehr, was Blitz und Donner überhaupt sind, geschweige denn, was ein ordentlicher Schauer sein soll, von dem im Wetterbericht zuweilen die Rede ist. „Immer zieht hier alles vorbei, nie kommt was an!“, heißt es. Auf Nachfrage wird aus dem „immer“ dann meistens ein „kommt schon mal vor“ oder ein „naja, vielleicht nicht immer“, was mich nicht nur sehr beruhigt, sondern meine Erfahrungen auch bestätigt.

      Natürlich findet sich in unseren Breiten kein Ort, dem Schauer „nie“ Regen spendieren, genauso wie wenige Kilometer davon entfernt keine Stelle vorhanden sein dürfte, die ständig von Regengüssen heimgesucht wird. Wäre es so, ergäbe sich ein Landschaftsbild, in dem sich in Wanderdünen eingebettete Dorfoasen mit auf Pfählen errichteten Moorsiedlungen abwechselten. Da dem nicht so ist, muss es über die Monate oder Jahre dann doch so etwas wie einen Ausgleich zwischen nassen und trockenen Phasen geben.

      Bei der Temperatur sieht dies schon anders aus, ich hatte es bereits beschrieben. Hier hängt vieles davon ab, ob ein Ort eher auf einem Hügel oder in einer Senke liegt. In der Niederung ist es nach klaren, windarmen Nächten kälter als auf der Anhöhe. Der Einfluss größerer Gewässer auf die unmittelbare Umgebung ist nachvollziehbar. Neubrandenburg wird an einem heißen Sommertag bei Südwind vom langgezogenen Tollensesee gekühlt, Grimmen, ganz ohne See, nicht. In Klink am Westufer der Müritz wird es im Winter bei Ostwind und offenem Wasser nicht so kalt wie in Kargow-Schwarzenhof auf der anderen Seite des Sees, das eingebettet in einem vor dem Wind schützenden tiefen Wald liegt.

      Es