Der Heidekönig. Max Geißler

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Название Der Heidekönig
Автор произведения Max Geißler
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711467657



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zu übertreffen, die vor ihm der Tagedieberei obgelegen ... Und nun wollte er — der verlorene Sohn — heimkehren und bei Pieter Bosboom um einen kärglichen Taglohn frönen — auf der gleichen Scholle, auf der er als Herr hätte walten können, wenn er nicht zu ordentlicher Hantierung unbrauchbar gewesen wäre.

      Seine Gedanken liefen um ihn herum wie der flimmerige Doppelring eines Karussells. Und weil er selber der Mast in der Mitte des dudelnden Drehspieles war, raste dieses um ihn herum. Die Ähnlichkeit mit dem Ding aus geschnitzten Pferden, steifen Kutschen und kunstlosen Tieren aller Art war peinigend in der hölzernen Erstarrung, quälend in der Wiederholung der Bilder. — So zermahlte er sich das Hirn über dem Ziele der neuen Kunst, »den Sinn des Lebens gestaltend zu erfassen.«

      Binnen einer Woche war seine Haut wie Leder geworden, sein Gesicht verfallen. Und nun wippte sein langer Leib über die Ebene dahin. Ohne Rast wollte er laufen, laufen bis ins Paradies, dem er leichtsinnig den Rücken gekehrt hatte. Weil er nicht zureichte für die Welt, in die er sich gewagt hatte, lief er ihr davon. Weil Weisheit, Wille, Können, Trieb, Kraft und Grösse in dieser Welt waren in Ausmassen, die er nicht hatte ahnen können. Weil er ein Stümper war und beinebst ein Träumer aus einem kleinen selbstgezimmerten Heidehimmelreich. Oh! Alles das Seine trug er auf dieser Wanderung mit sich: ein zertrümmertes Herz und ein verkümmertes Hirn.

      Drei Kilometer hinter Mittag gelangte er — da stand das Karussell still. Er kroch unter eine Kussel Heideföhren, legte sich auf den weichen warmen Sand und sank in einen Schlaf, tief wie sein Jammer.

      Um Mitternacht erwachte er. Er wusste aber nicht, dass es das Herz der Nacht sei, an das er sich hinangeschlafen hatte. Die Lider seiner Augen fühlte er offen und sah doch nicht. Die Föhrenzweigs hingen so dicht über ihm, dass sie ihn berührten. Da dachte er, er sei gestorben und die Menschen hätten Blumen und Zweige über ihn gebreitet, der ein Fremdling unter ihnen gewesen war.

      Eine Weile tasteten sich seine Gedanken dahin in der Finsternis um ihn und in ihm. Endlich drehte er sich in seinem Grabe herum und versuchte zu kriechen und gelangte auf Knien und Händen in die dunkelblaue Stille. Nun hingen die Sterne über ihm, und rings um ihn standen die Schattenrisse der Heidekräuter und waren noch dunkler als die dunkelblaue Nacht. „Matheis Maris,“ sagte er, „ja, so steht das um dich, und dies Geschehnis ist das Sinnbild deines Lebens: du vermagst nicht zu deuten, wohin du geraten bist, und was du erkennst, ist Finsternis.“

      Aber der Wunderlichkeiten dieser Nacht war kein Ende; denn auf einmal — auf einmal kroch dem verlorenen Jungmann etwas am Rücken empor und kroch ihm ins Herz. Nun — weder eine Spinne noch eine Schlange kann solch ein Kunststück vollbringen. Zugleich spannte sich ihm etwas über die Haut — Maris musste dabei an ein Moorwasser denken, über dessen Spiegel der Frost die Spiesse des Eises schiesst ...

      Es würde solcher Bilder und Vergleiche gar nicht bedürfen, wenn dem Matheis Maris sogleich der einfach nüchterne Gedanke gekommen wäre, dass er sich fürchtete und dass diese Furcht ihren Grund hatte in der Auflehnung seiner Nerven gegen die sechsmonatige Misshandlung in der neuen Welt. Nur waren Nerven für ihn Dinge, die ihm bis zur Stunde überhaupt nicht eingefallen waren! Er dachte auch jetzt nicht daran, sondern er führte eines jener halblauten Selbstgespräche, wie sie bei Menschen der Einsamkeit im Schwünge sind. Er setzte sich darin zur Rede über die Einfältigkeit, sich zu fürchten an einer Stelle der Erde, auf der wohl nie die Arglist der Menschen gebrütet hatte. An einer Stelle der Erde, die so heimatlich, ruhevoll und schuldlos war wie jene, auf der er damals seine Hütte gebaut. In allen Stunden der Nacht und in allen Tiefen der Finsternis war er vertraut geworden mit der schlummernden Stille, die um ihn hing — und dennoch: Matheis Maris fürchtete sich! Er dachte, wenn er jetzt eine Schiesswaffe in der Hand hielte und mit gespannten Sinnen hinaushorchen könnte in die Nacht, so würde ihm wesentlich behaglicher zumute sein. Und er sehnte das Grauen des Morgens herbei. Da wollte er den Weg zurückstapfen und sich eine Schnelladepistole kaufen, Ha!

      Endlich kam der Tag. Er liess ahnen, dass er schön und des Gottes voll werden würde, wie es die Nacht gewesen war. Aber Matheis Maris schritt ihm entgegen in einer stumpfen Einerleiheit des Geistes und des Gemütes. Seine Augen hatten sich zu anderer Zeit nicht müde sehen können an der jungen Herrlichkeit der Erde. Nun liefen sie über die Scholle zu seinen Füssen und waren gleichgültig geworden gegen allen Glanz. Und so zerschliffen waren Kraft, Mut und Freude in dem verlorenen Heidegänger, dass es ihm nicht einmal einfiel, welch eine jämmerliche Rolle er spielen musste vor den Menschen, wenn er nun heimkam und bei Pieter Bosboom die Krume wühlen wollte in den Kulturen, die er in unseligem Wahne verhandelt hatte.

      In weissen Nebeln lag Amsterdam. Türme funkelten aus der dampfenden Tiefe herauf ... Dereinst hatte Matheis Maris vor solcher Allgewalt hinsinken und anbeten können. Aus jedem Busch auf der Heide hatte er den Ruf Gottes gehört. Es rief auch heute. Aber die Ohren des Matheis Maris waren verschlossen.

      So schleppte er seine fröstelnde Übernächtigkeit und sein verstörtes Herz weiter gegen die Stadt und dachte an dem verblödeten Gedanken herum, sich eine Pistole zu kaufen.

      Da kamen zwei Männer des Wegs. Und da dieser Weg ein Steig in der Heide war, der sich braun und schmal zwischen Erikabüscheln hindurchschlängelte, dachte Matheis Maris daran, quer durch das taunasse Ried in gemessener Entfernung an jenen vorüberzuschneiden, wobei es ihm wiederum nicht einfiel, in welch ärmlicher Verfassung sich seine Seele befände, da es ihn wie ein Tier der Wildnis trieb, zwei fremden Menschen auszuweichen in Feindseligkeit und Scheu.

      Nun blieben die beiden stehen. Einer legte die Hände um den Mund und rief den Namen Matheis Maris über die Heide herüber, Da stellte es sich heraus, dass der Rufer Lukas ter Meulen war.

      Seit vielen Wochen hatten sie einander nicht gesehen. Der Dichter war noch länger und dünner geworden. Seine Augen standen in dem klaren Gesicht als die Spiegel von Erkenntnissen, denen nichts erlassen wurde, sofern sie die Person und das Dasein des Lukas ter Meulen betrafen.

      Der andere. Er war eine Burg ohne Tor und Eingang. Ein Mensch von unerhört seltsamer Art. Schon in seiner Kleidung zeigte sich das. Er trug zu dieser sehr frühen Heidewanderung einen Zylinderhut, den er vielleicht bei einem Althändler erstanden hatte. Des weiteren war sein langer steckensteifer Leib, den er gravitätisch daherstelzte, angetan mit einem abgeschabten schwarzen Gehrock und einem nankinggelben sehr engen Beinkleids, das durch Stege daran gehindert wurde, im Schreiten ziehharmonika mässig sich emporzufalten. Ein rabenschwarzer, sehr schmaler Knebelbart — der Schnurrbart fehlte — erhöhte den Eindruck der Strichhaftigkeit und der Verfallenheit seines Gesichts, das so eindimensional aussah, als müssten sich die Innenseiten seiner Wangen berühren. Aus diesem unvergesslich einzigartigen Antlitz sprang die Nase kühn und wachsbleich hervor.

      Da sich Matheis Maris ersichtlich an ihm wunderte, sagte ter Meulen: „Dieser Herr ist keineswegs der edle Ritter Don Quichotte, wie Sie anzunehmen scheinen, lieber Freund. Seine Waffen sind nicht Schwert und Tartsche, sondern Meissel und Modellierholz. Es ist der Bildhauer Gerbrand van Aken.“

      Matheis Maris benahm sich hölzern wie in jener Nacht im Kaffeehaus, in der er vor ter Meulens Weisheit so kümmerlich und bange geworden war.

      Und dennoch war es heute ganz anders mit ihm. Damals zog er aus, eine Welt zu entdecken. Und als er ihre Säume sah vom Rande seines Moorschiffleins aus, rief ter Meulen durch den »Telegraaf« über das Land: „Matheis Maris, Gebenedeieter unter den Menschen, sei gegrüsst!“

      Der Bildhauer Gerbrand van Aken und Lukas ter Meulen kamen auch an diesem Morgen aus dem Kaffeehause, wo sie die Nacht in bedeutenden Gesprächen verbracht hatten. Von der Stunde der morgendlichen Reinigung waren sie ausgetrieben worden und gedachten nun in lichtbekränzter Frühlingsebene das Werk fortzusetzen. Bei dem Bildhauer van Aken hiess das nichts anderes als: die Burg ohne Tor und Eingang womöglich noch dichter zu machen.

      In jüngeren Jahren hatte dieser Bildhauer Figuren von rühmlichem Kunstwerte geschaffen, ein Romstipendium erhalten, in Athen gelebt. Dort war er das Opfer der Idee geworden, aus den bei der Zerstörung des Parthenon erhalten gebliebenen Figuren und Bruchstücken die ursprüngliche Anordnung der Gruppen wieder zu entdecken und das Verlorene im Geist und Glanze der Schöpferwelt hinzuzubilden.

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