Название | Die dunkle Seite des Balles |
---|---|
Автор произведения | Konstantin Josuttis |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783964230010 |
Als er in den Kabinengang trat, kam ihm der sportliche Leiter entgegen. Sie nickten sich zu und grüßten sich. „Morgen.“ „Morgen.“ Gänswein nahm ihm freundschaftlich am Arm. „Sie müssen entspannen, Herr Helmgaard. Für die Inspektion sorgt schon der Schneiz.“ Helmgaard winkte ab. Für solche Situationen hatte er genug Ausreden parat. „Wollte mir noch einmal die Platzverhältnisse ansehen. Wegen der Stollen.“
„Schon recht, Helmgaard. Habe übrigens noch nichts vom Berater von Vadale gehört. Aber der wird sich schon melden. Ich denke nur, dass wir hinten noch was machen müssen.“ Sie gingen durch den Innenbereich des Stadiongebäudes, Gänswein würde sicher in sein Büro wollen. Helmgaard blieb stehen. „Ach, hab’ noch was vergessen.“ Herablassend lächelnd und kopfschüttelnd ging Gänswein weiter. Helmgaard kannte die Blicke und die Gesten und er hatte gelernt, sie zu übersehen. Wo wärst du ohne mich, dachte er nur leicht verbittert.
Er stieg die Stufen hinab zu den Kabinen und klopfte dreimal an die Tür der Gästekabine und fünfmal an die Tür seiner Mannschaft. Dann lief er durch die Gänge, bis er an der vorderen Pforte hinauskam, wo er einmal hustete, sich beide Füße an der Matte abwischte (zweimal links, einmal rechts) und zu seinem Auto stiefelte. Er hatte es, wie immer, rückwärts eingeparkt und als er herausfuhr, umkreiste er einmal den ganzen Platz, bevor er durch die Schranke nach draußen fuhr. Zuhause würde es, wie immer, Erbseneintopf geben.
Der Tag war wunderbar verlaufen. Die Sonne schien, kein Wölkchen zierte den Himmel, die Spieler waren alle pünktlich gewesen und die gegnerische Mannschaft war wegen einer Panne eine halbe Stunde zu spät erschienen. Alles so wie es sein sollte. Er saß auf der Bank in seinem dunkelblauen Anzug und beobachtete vergnügt, wie der Schiedsrichter das Spiel anpfiff. Die Anfangsbuchstaben der vier Offiziellen hatten als Quersumme 7 ergeben, er hatte den Schiri siebenmal mit der Hand irgendwo berührt, als sie sich vorgestellt hatten. Alles war perfekt. Er setze sich und blickte sich zufrieden um.
Doch dann tat sich vor ihm unendliche Dunkelheit auf. Er sah die Frau. Sie stand an der Seitenauslinie links von ihm, hinter der Kamera. Eine Kamerafrau. Er schnappte nach Luft. Stand auf. Setzte sich wieder. Sein Co schaute ihn verwundert an. Er schaukelte mit dem Oberkörper hin und her. Eine Frau. Er hätte …
Das Spiel war verloren.
5. Spieltag – Nemesis
Der Ball lief durch die gegnerischen Reihen wie ein heißes Messer durch Butter. Diese Passgenauigkeit war atemberaubend und vollkommen atypisch für die Mannschaft. Es war schon fast Tiki-Taka, was die Ruhrpottjungs da spielten. Heller auf Duzman, Duzman auf Berg, Berg auf Sahaler und Tor. 3:0 nach 24 Minuten. Er schaute auf die Stadionanzeige und las dreimal denselben Torschützen hinter den Toren: Sahaler. Er sprang auf, noch gerade rechtzeitig, jubelnd und die Fäuste nach oben reckend. Ein kurzes aber heftiges „Ja“ entfuhr seinen Lippen. Alle sahen, dass er sich mitfreute. Dann setzte er sich wieder und versank in eine trübe Schockstarre, die er in all den Jahren mit einem steifen Lächeln zu garnieren gelernt hatte. Toll, wieder Anschluss nach oben, sagte das eingefrorene Grinsen. Ich freue mich für die anderen, sagte das Grinsen. Wir sind alle ein Team. Die Mannschaft ist alles, was zählt. Auch die Ersatzspieler sind wichtig. Er spuckte aus.
Sahaler war sein Fluch, seine Nemesis. Er verfolgte ihn, hatte seine Krallen tief in die Karriere von Holtzer geschlagen. Es war geradezu absurd, wie die Handlung eines antiken Dramas. Seitdem Holtzer Bundesliga spielte, war er dem Wahnsinn einer Verfolgung durch Sahaler ausgesetzt gewesen. In Bochum, in Frankfurt und nun hier. Immer wieder hatten die Trainer und die sportliche Leitung ihm das Gleiche erzählt: dass sie fest mit ihm planten und er als erster Stürmer gesetzt wäre. Irgendwann hatten sie aber jedes Mal noch einen „Backup“ geholt, falls Holtzer sich mal verletzen sollte, man konnte ja nie wissen. Dass er in 7 Jahren Bundesliga noch nicht die kleinste Verletzung hatte und noch nicht einmal aufgrund einer Grippe ausgefallen war, interessierte wohl niemanden. In Bochum war er noch relativ gelassen gewesen. Er war gesetzt. Er spielte. Irgendwann im Frühjahr wurde er einmal in der 80. ausgewechselt. Sahaler machte ein Tor. Machte nichts, er hatte ja vorher selber eins gemacht. Dann wurde er in der 75. ausgewechselt. Sahaler machte ein Tor, diesmal hatte Holtzer vorher keins gemacht.
Sahaler hatte ihn damals Stück für Stück verdrängt. Erst hatte er nur gebrochen Deutsch gesprochen, hatte sein Spind direkt an der Tür der Kabine. Dann fing er an besser und besser zu werden, machte Scherze und Witzchen mit den anderen. Doofe Scherze. Schlechte Witze. Er kam mit auf die Touren durch die Promidiskos. Lachte, bandelte mit Frauen an. Sein schwarzer Dreitagebart, seine blitzenden Zähne, die schwarzen Augen, das zog bei den Frauen. Er gab die Drinks aus, kam mit Getränken und Frauen an den Tisch und die anderen jubelten ihm zu. Ein Teamplayer hieß es unisono.
Holtzer war genervt gegangen, hatte seinen Berater kontaktiert. Es hatte viele Interessenten gegeben, schließlich war er auf dem Weg in die Nationalmannschaft gewesen.
Frankfurt war sein großer Durchbruch, 12 Tore in der Hinrunde. Die anderen Stürmer waren Flaschen. Er war der Held. Jogi hatte ihn eingeladen zu einem Testspiel. Dann verletzten sich gleich drei Sturmpartner. Sahaler kam. Holtzer sah, wie sich die eigene Geschichte wiederholte. Er beobachtete den anderen genau. Konnte es sein, dass der Franzose wieder so tat, als könne er kein Deutsch? Er sprach gebrochen am Anfang und belegte wieder den Platz hinten am Ende der Bank. Wenn die anderen ihn unwillig fragten, ob er mit auf die Tour kommen wollte, lehnte er höflich ab. Dafür trainierte er, drehte Extrarunden und machte zusätzliches Elfmetertraining. Er lächelte den Trainer an, mit seinem Dreitagebart und seinen weißen Zähnen. Wurde eingewechselt, früher und früher. Holtzer wurde unsicherer. Dann traf er die einfachen Dinger nicht mehr, versemmelte drei Elfer hintereinander, sein letzter ging so hoch in die Wolken, dass kein Mitspieler kam, um ihn zu trösten. Keine Nationalmannschaft mehr, man munkelte von einem Formtief, aber er war immer noch in der Bundesliga untergekommen, wenn auch weniger ambitioniert.
Hier nun schien sich das Blatt zu wenden. Er hatte seine Ernährung umgestellt und einen Psychologen konsultiert. „Sahaler ist nicht dein Problem“, hatte dieser gesagt. „Die Frage ist: Glaubst du an dich selbst?“ Daran hatten sie gearbeitet. Er hatte Sonderschichten eingelegt, noch bevor der andere transferiert worden war. Hatte Elfmetersondertraining absolviert. Er hatte noch nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als tatsächlich das Unmögliche passierte und der Franzose zum ersten Mal im Mannschaftstraining auftauchte. Holtzer hatte ihn freundlich angesehen und ihn wie einen alten Kameraden empfangen. In der Kabine wies er ihn ein und zeigte ihm, wie man die Duschen einstellen musste, damit man sich nicht verbrühte und nicht im Eiswasser stand. Er hatte ihn auf die Touren mitgenommen und hatte allen anderen Getränke ausgegeben. Hatte gelacht. War gesetzt. Dann kam der eine Dienstag. Die Mannschaft hatte verloren und der Trainer war zum Alltag übergegangen nach den Sonderschichten am Sonntag und Montag. Das Training war um 16.00 Uhr beendet worden. Sahaler blieb, hielt den Ball mit seinem rechten Fuß in der Luft und schoss ihn dann mit zur Schau gestellter Leichtigkeit ins leere Tor. Holtzer blickte zum Kabinengang, der mit erbarmungsloser Verführungskraft lockte. Doch dann nahm er sich ebenfalls einen Ball, warf ihn in die Luft, köpfte ihn nach vorne und zimmerte ihn aus dreißig Metern in dasselbe Tor, knapp an Sahalers Kopf vorbei. Der Kampf war eröffnet. Sahaler drehte sich erschrocken um und für einen Moment glaubte Holtzer, einen Funken Angst in dessen Augen zu erkennen, dann war der Moment vorbei und Sahaler grinste diabolisch. Sie sprachen kein Wort. Holtzer hätte ihm gerne viele Dinge an den Kopf geworfen, aber er wollte sich nicht die Blöße geben, wollte nicht der Erste sein, der über diesen unausgesprochenen Kampf redete. Den Kampf zuzugeben, hätte schon geheißen, ihn zu verlieren. Es war eine lächerliche Szene. Wortlos, den anderen nicht beachtend, ballerten sie Bälle auf das Tor. Still beobachtete Holtzer seinen Konkurrenten, zählte dessen Treffer mit und zählte die eigenen. Sie fingen an