Название | Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band) |
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Автор произведения | Joachim Ringelnatz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027203697 |
»Gesteht ihr ein?«
»Nein, wir waren es nicht.«
Neugebauer schraubte die Kopiermaschine auf. »Legt eure Hände hier zwischen!« Neugebauer schraubte so weit zu, daß die Bubenfinger leicht angeklemmt wurden. »Gesteht ihr ein?«
»Nein, wir waren es nicht.«
Neugebauer schraubte fester an.
»Ja, wir gestehen ein, wir waren es.«
»So, wollt ihr nun ins Gefängnis, oder soll ich euch fünfundzwanzig hinten drauf hauen?«
»Fünfundzwanzig hinten drauf«, schrien die Buben wie aus einem Munde. Die Exekution begann sofort.
Es gehörte zu meinen Aufgaben, die Kataloge durchzulesen, die von Antiquariaten laufend eingesandt wurden. Ich strich dann das an, was ich dem Grafen zum Ankauf empfehlen konnte und was der Bibliothek fehlte. Eine Bibliothek »Ressource« in der Nachbarschaft wurde aufgelöst. Man bot dem Grafen das gesamte Büchermaterial in Bausch und Bogen an. Er lehnte entrüstet ab, er sei kein Händler, sondern ein Sammler. Aber er wählte sich die wertvollsten Stücke aus. Darüber saßen wir bis tief in die Nacht. Es war sehr aufregend. Denn die Bücherei barg unübersehbare bibliophile Schätze. Nachdem der Graf gewählt hatte, kaufte sich Neugebauer vieles, und aus dem Rest erwarb ich mir noch an tausend Bücher, die ich in Kisten nach München sandte. Nur die französische Literatur schickte und schenkte ich meinem Vater. Dem ging es pekuniär nicht gut. Die Schriftstellerei brachte ihm nicht viel ein. Er hatte ein immenses Wissen und verbrachte jeden Tag noch viele Stunden lesend auf dem Diwan. Nun suchte und fand er an wandernden Bücherständen unter Schund wertvollere Bücher heraus, seltene Doktordissertationen und anderes. Was er so billig erwarb, säuberte er und restaurierte es sachverständig, klebte Vorsatzpapiere ein usw. Dann bot er die Bücher Museumsdirektoren oder Spezialsammlern an, und da er alles hochanständig und bescheiden tat, fehlte es ihm nicht an Käufern. Nun war er allerdings über diesen Strom altfranzösischer Literatur, der sich ihm so überraschend ins Haus ergoß, geradezu erschrocken und schrieb beinahe vorwurfsvoll, er wüßte nicht, wo er den Platz hernehmen sollte, um soviel Bücher aufzustellen. Aber sehr bald freute er sich doch über die herrlichen Erstausgaben und Raritäten und dankte mir begeistert.
Ich machte mir den Scherz, im Gewölbe einige besonders wertvolle Bücher des Grafen zu verstecken und dafür unvollständige oder sonstwie wertlose Bücher aus meinem Besitz hinzustellen. Als ich dann mit dem Grafen und mit Rommel Billard spielte, sagte ich plötzlich zu Rommel: »Was ist das nun für ein alter Museumskram. Man sollte all diese Inkunabeln zerreißen.« Damit zerrte ich zwei von meinen Büchern heraus und riß sie in Stücke. Der Graf und Rommel machten entsetzte Augen, aber ich ließ sie nicht lange auf Erklärung warten.
Der Graf nahm mich mit auf eine landwirtschaftliche Inspektionsreise. Ein Jagdwagen fuhr uns nach den verschiedenen gräflichen Gütern und durch deren Felder. Die betreffenden Inspektoren ritten neben dem Wagen her und standen dabei dem Grafen Rede und Antwort.
»Guten Tag, mein Sohn.« »Guten Tag, meine Tochter.« »Der Klee steht dünn.« »Haben Sie hier nicht nachgesät?« »Das sind Mäuseflecken.« »Das muß 'raus, nur keine halben Ernten.« »Wieviel Polacken haben Sie?«
Hasen und Fasanen liefen uns über den Weg. Plötzlich griff der Graf nach dem Gewehr und schoß einen Hund tot. »Sie sollen nicht auf die Felder gehen.«
Der Graf war abergläubisch.
Ich liebte Yorck, und ich achtete sein großes Wissen und seinen Fleiß. Hätte er nur mehr Herz gezeigt, so hätte ich ihm gewiß ein junger Freund sein können.
Graf Hasso, ein Vetter des Grafen Yorck, kam zu Besuch.
Ich ging mit Förster-Rudi zur Karnickeljagd. Wir hatten ein Frettchen und den Jagdhund Treff bei uns. Ich schoß eine Eule aus weiter Entfernung.
Große Diners fanden statt. Für den Hauslehrer Rommel, die Hauslehrerin Timm und mich, also für das Unterhaus, war die Situation dann etwas bedrückend.
Krocketspiele im Garten. Fahrten mit dem Ponywagen. Gemütliche Stunden mit Rentmeisters im Garten zwischen weißem Schlehdorn und dunklem Tannengrün. Es ging wie immer. Bald fand ich, das nicht alles Gold war, was glänzte. Es ging wie oft. Zwischen der Hauslehrerin Timm und mir war aus einer sehr schroff gezeigten Antipathie eine Sympathie geworden.
Der Graf nahm mich zu einer Pirschfahrt mit. Er war gut aufgelegt und teilte mir mit, daß er mir künftig ein monatliches Fixum von 50 Mark zahlen würde. Plötzlich schoß er zwischen meinen Beinen durch auf ein Wild.
Ich spielte Mandoline im Grünen Korridor, wo die Akustik mich begünstigte. Aber zwei Schwalben klecksten mir auf das Instrument. Vor diesem Protest zog ich mich zurück.
Frau Dannenberg sorgte für mich, wo sie nur konnte.
Zum Geburtstag der Gräfin führten die Kinder ein Theaterstück auf. »Künstlers Erdenwallen« und »Künstlers Apotheose«. Ich war Regisseur. Mit der Einstudierung gab es viel Ärger, weil die Kinder keine Lust an der Sache hatten, die eine Idee vom Grafen war. Es interessierte sie viel mehr, daß der Graf sich ein Auto angeschafft hatte.
»Und willst du diesen jungen Mann,
Wie er's verdient, dereinst erheben,
So bitt' ich, ihm bei seinem Leben,
Solang er selbst noch kau'n und küssen kann,
Das Nötige zur rechten Zeit zu geben!
Er fühle froh, daß ihn die Muse liebt,
Wenn leicht und still die frohen Tage fließen.
Die Ehre, die mich nun im Himmel selbst betrübt,
Laß ihn dereinst, wie mich, doch freudiger genießen.«
Das Haus war voller Gäste. Die Komtessen Kalckreuth mit ihrem musikalischen Bruder, der im Schloß Hannekitsch genannt wurde. Sie und ihre Mutter, die Frau des Malers Kalckreuth, waren für mich eine wahre Wohltat.
Jasmin blühte, und Rosen und Heckenrosen. Es gab im Wald und im Garten überall herrliche Wandelgänge, lauschige Plätze, malerische Winkel und verschwiegene Wege. Es gab Baumriesen und andachtsstille Grabstätten mit bedeutungsvollen Inschriften. Vor dem Strohhäuschen in der verwilderten Ecke zwischen einem feinen blauen Gras und wildem Mohn stand der Esel Faserkinn. Abends ging ich in die Dorfkneipe zu Kirzel. Um zwölf Uhr sagte der Schlachter zu den anderen Mehlköpfen am Stammtisch: »Wollt ihr in einer Stunde Wellfleisch essen? Das Wasser ist noch warm, und die Sau wartet.« Die dicke Gertrud hielt mich für verrückt, seit ich ihr erzählt hatte, daß der englische Parlamentsredner Hunt Stiefelwichse fabriziert hatte.
Der Graf pflegte bei Tisch nicht nur an die Kinder, sondern auch an Fräulein Timm und an Rommel und an mich Fragen zu richten, die einem Verhör auf Wissen gleichkamen und die uns mit der Zeit mehr und mehr verstimmten. Als nun auch Graf Hasso seinen Vetter imitierte und uns auf Unwissenheiten festzulegen versuchte, gaben wir unserem Ärger so weit Ausdruck, daß wir uns nach den Mahlzeiten nach dem üblichen Handkuß zurückzogen. Im Salon mit den abscheulichen, orangefarbenen Plüschmöbeln und dem greulichen »S«-Stuhl sammelte man sich zu den Mahlzeiten. Auch dort und bei Gesellschaften hielten wir drei vom Unterhaus uns fortan möglichst beiseite.
Zwischen Fräulein Timm und mir bahnte sich eine schöne Freundschaft an. Wir besuchten uns Nacht für Nacht. Entweder sie mich oder ich sie. Ihr Zimmer lag sehr weit ab neben vielen Gästezimmern, und ich mußte jedesmal die weite Korridorstrecke ganz schnell und lautlos auf allen vieren zurücklegen, um ungesehen ihre Tür zu erreichen. Die öffnete sich auf ein gewisses Kratzen hin schnell. Dann saßen wir lange beieinander und sprachen Gutes und Schönes. Timmi hatte das Zimmer geschmückt und mir Früchte hingestellt. Wenn sie zu mir kam, fand sie auch immer irgendwelche Überraschungen, so zum Beispiel ein Eichhörnchenschwänzchen. Nach diesem nannte ich sie nun Eichhörnchen. Sie kam zur verabredeten