Название | Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band) |
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Автор произведения | Joachim Ringelnatz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027203697 |
Wir waren am Ziel unserer Reise angekommen, aber die Blicke der Matrosen und die Ferngläser der Achtergäste hafteten nicht lange auf dem Lichtersaum vor uns. Alle waren von den vorangegangenen Strapazen erschöpft und nur von dem einzigen Wunsch nach Ruhe erfüllt. Ich erbot mich freiwillig, bis zum Morgen die Wache zu halten, und war sehr glücklich, als ich die Erlaubnis dazu erhielt.
Nie werde ich das glückliche Gefühl vergessen, das mich beseelte, als ich nun auf Wache auf dem Achterdeck auf und ab schritt. Alle außer mir schliefen den Lohn für die Arbeit der letzten Stunden, und ich war allein mit meinen Gedanken in der köstlichen, kühlen Nachduft, musterte ungestört mit Steuermanns Fernglas die fremde Küste. Es war bei der starken Dunkelheit allerdings kaum mehr als mit bloßem Auge zu sehen, aber meine Phantasie malte in die schwarzen Schatten allerlei seltsame Dinge und abenteuerliche Gestalten. Mit dem anbrechenden Morgen wurde das Bild deutlicher, bis ich schließlich dichte Palmenwälder erkennen und etwa hundert weiße Häuser zählen konnte. Ich war in unglaubliche Spannung versetzt und konnte die Stunde nicht erwarten, wo ich das alles aus der Nähe sehen sollte.
In weitem Umkreis um uns herum lagen verschiedene andere Schiffe. Mit Verwunderung beobachtete ich, wie sich unsere Lage zu den Schiffen und zum Lande fortwährend veränderte, bis ich die Ursache dieser Erscheinung herausfand. Die Ankerkette hielt das Schiff nur vorn am Bug fest, und mit der Änderung der Windrichtung wurde dasselbe um diesen festen Punkt im Kreise getrieben. – Inzwischen hatte sich Joseph, unser Lotse, zu mir gesellt, und ich bestürmte ihn in meinem gebrochenen Englisch mit endlosen Fragen.
Wenn mein Bruder jetzt gehört hätte, daß ich mich zuallererst danach erkundigte, ob es viel Schlangen in Belize gäbe, hätte er sich wohl freuen müssen; denn nur in seinem Interesse stellte ich diese Frage, die mir bejahend beantwortet wurde. Ich sah und hörte so viel Neues, daß ich, obgleich ich die ganze Nacht durchgearbeitet hatte, noch absolut keine Müdigkeit empfand, auch nicht, nachdem ich um acht Uhr die anderen mit dem üblichen Seemannsvers geweckt hatte:
Rise Quartier
Ist Seemannsmanier,
Dem Rudersmann tut verlangen,
Das Ruder zu verfangen.
Zum Frühstück, merkwürdig abgepaßt, stellte sich ein Boot ein, dem ein bleicher, junger Engländer mit sommersprossigem Gesicht entstieg, während etwa zehn Neger im Boot zurückblieben. Ich konnte nicht erfahren, was die Ursache seines Besuches war. Vielleicht nur Neugierde oder Appetit. Jedenfalls wurde der Ausländer mit übergroßer Höflichkeit empfangen und mit dem wenigen Besten bewirtet, was die »Elli« an Eßbarem und Trinkbarem besaß. Neidvoll sah ich zu, wie der Sommersprossige beim Abschied noch zwei Zigarren vom Kapitän erhielt.
Bald darauf ließen wir ein Boot zu Wasser. Gustav und Willy, die Glücklichen, mußten den Alten an Land rudern. Ich folgte dem Boot die ziemlich weite Strecke zum Land mit sehnsüchtigen Blicken.
Als die drei am Nachmittag zurückkamen, brachten sie große Büschel Bananen, Ananas, eine Menge Neuigkeiten und, was die Hauptsache war, Briefe aus der Heimat mit. Ich las wohl zehnmal hintereinander mit größter Aufmerksamkeit und Freude einen Brief von den Eltern, einen anderen von meinem Freund Fischer und eine Karte vom Verein ehemaliger Tolleraner.
Die Bananen schmeckten vorzüglich. Sie erinnerten im Geschmack ein wenig an unsere Kirschen, ich vertilgte eine unheimliche Menge davon, obgleich mich der lächelnd zusehende Lotse vor allzu reichlichem Genuß dringend warnte. Zu Mittag herrschte eine tolle Gluthitze, aber ich fühlte mich mopsvergnügt. Ich war ja so froh und die Natur um mich herum von so bestrickender Schönheit. Ein wolkenloser, kobaltblauer Himmel spannte sich über die klare, durchsichtige Meeresfläche, die sich in jenem leuchtenden Smaragdgrün darbot, das mir früher auf Gemälden so unwahrscheinlich vorgekommen war. Gegen diesen hellen Grund nahmen sich die verschiedenen Schiffe und Boote auf der Reede und die sauberen weißen Häuschen an Land wie Spielsachen aus.
Alle größeren Schiffe hatten gleichzeitig mit uns um acht Uhr morgens die Nationalflagge gehißt, ein schwedischer und ein norwegischer Dampfer, drei mexikanische Transport-Kriegsschiffe mit Schonertakelage und verschiedene kleinere Frachtdampfer.
Es war kein Wunder, daß ich am anderen Morgen die Zeit verschlief.
Als ich erwachte, erblickte ich eine Menge Neger an Deck, die mit dem Öffnen der Luken beschäftigt waren. Längsseits lag ein großer Kahn, in dem ebenfalls Neger hantierten.
Nun gab es wieder viel Arbeit. Der Ballast mußte gelöscht, das heißt in mehrere Kähne verladen werden. Es war nicht leicht, in der ungewohnten Mittagsglut zu arbeiten und die schweren Winden zu drehen. Um den brennenden Durst zu stillen, stellte uns der Koch einen Kessel mit ganz dünnem Teewasser hin. Das bewirkte aber nur, daß wir noch mehr in Schweiß gerieten. Allen war es anzusehen, wie schwer ihnen die Arbeit fiel. Auch Bootsmann und Steuermann mußten mitarbeiten. Einmal trat der Bootsmann von der Winsche beiseite, zog sein Hemd aus und rang es mit den Händen aus. Die Neger, die die Hitze gewohnt waren, arbeiteten sehr eifrig und vollführten dabei einen Mordsspektakel. Es waren meist große, starkgebaute Gestalten.
Es dauerte nicht lange, so kam ein Bumbootsmann an Bord. In seinem Boot erblickten wir Frischbrot und Frischfleisch, Früchte und Tabak. Als Kajütsjunge hatte ich keinen weiten Weg zu des Kapitäns Kognakflasche, und da ich sehr bald merkte, daß die Eingeborenen eine mächtige Vorliebe für Feuerwasser hatten, kam ich sehr billig in den Besitz von Früchten und Tabak.
Am Nachmittag lief ein deutscher Dreimastschoner in die Bucht ein und ging in unserer Nähe vor Anker. Kapitän Pommer und der Steuermann, die das Schiff mit Fernglasern beobachteten, entdeckten zu ihrer Freude, daß es ebenfalls ein Ostfriese, und zwar aus Papenburg war. Der Kapitän des Schoners, ein Verwandter unseres Kapitäns, hatte seine Frau und drei Kinder an Bord.
Ich hatte am selben Tag noch eine lebhafte Unterredung mit dem Koch, den ich mit allen Mitteln überreden wollte, mit mir von der »Elli« zu fliehen. Er hatte sich nämlich schon oft über das schlechte Leben an Bord beklagt, und ich hatte ihn nach Möglichkeit in seiner Unzufriedenheit bestärkt, bis er zuletzt selbst einmal die Fluchtidee anregte. Er schien jedoch zu ängstlich, um zu einem festen Entschluß zu kommen. Bei mir stand es fest, daß ich bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit Reißaus nehmen würde. Ich traf bereits die ersten Vorbereitungen, indem ich mir bei einem der Schwarzen ein Messer bestellte.
Schließlich gelang es mir doch, den Koch für meinen Plan zu gewinnen. Wir verabredeten eines Tages, daß wir in der Nacht um zwölf, wenn Jahn die Wache hatte, in einem Boot entfliehen wollten, das wir von einem Eingeborenen zu bekommen hofften. Obgleich wir Jahn nicht trauten, rechneten wir doch mit seiner Gewohnheit, seine Wachzeiten schlafend zu verbringen. Ich verständigte einen der Neger von unserem Plan und versprach ihm eine Taschenuhr und eine Geldbelohnung, wenn er uns in der Nacht mit einem Boot abholen würde. Er sagte zu. Ich glühte in froher Erwartung und packte sogleich meine Sachen zusammen. Schlafen ging ich nicht, sondern steckte mir einen Priem in den Mund und ging spähend an Deck auf und ab, während der Koch bis zwölf Uhr schlafen wollte.
Aber kein Boot ließ sich blicken. Enttäuscht teilte ich das dem Koch mit, als ich ihn um zwölf Uhr weckte. Er meinte, das Boot könnte noch immer kommen und versprach, mich dann schnell zu wecken.
Ich mochte wohl eben eingeschlafen sein, als mich der Koch mit den Worten: »Es ist da!« aufrüttelte. Wie elektrisiert sprang ich mit einem Satz aus der Koje und lief an Deck. Auf der dunklen Wasserfläche kreuzte tatsächlich ein Segelboot, fuhr aber vorüber, ohne uns zu beachten.
Am anderen Morgen