Название | Die Romantik |
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Автор произведения | Ricarda Huch |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 4064066388836 |
So thaten die Romantiker die ersten Schläge an die Pforte der Geisterwelt, aus welcher bald das unheimliche Nachtvolk in Schaaren hervorströmen sollte. Die Führer waren nicht schuld an den Verirrungen und Mißverständnissen ihrer Jünger; sie sonderten zwar Natur und Geist, aber so extrem sie auch ihre Abstraktionen verfolgten, behielten sie doch ihre Einheit im Sinne und wollten nie das Eine ohne das Andre.
Man kann sich die Stadien des Bewußtseins an einem mathematischen Bilde klarmachen. Der Kreis muß uns die vollständige Unbewußtheit vorstellen, wo die beiden Hälften des Ich noch unzertrennt sind: der Kreis ist eine Ellipse, in der die beiden Brennpunkte zusammenfallen. Die Ellipse wäre dann die Form des vollendeten Selbstbewußtseins, wo jeder Strahl, der von dem einen Seelenbrennpunkt ausgeht, nach dem andern reflektirt wird. Aus der Ellipse aber wird, wenn man die Durchschnittsebene des Kreises so dreht, daß sie seiner Seitenwand parallel wird, die Parabel, das heißt, der eine Brennpunkt rückt in's Unendliche, die unbewußte Seele vereinigt sich mit der Natur. Das könnte man das Allbewußtsein nennen. Jeder Punkt der Unendlichkeit ist Brennpunkt für das Ich geworden; kein Strahl geht vom Unendlichen aus, keiner vom Ich, der nicht nach hier und dort reflektirt würde. Drehen wir die Ebene nun noch weiter, bis wir wieder beim Kreise angelangt wären, so hätten wir ein Bild des romantisirten Universums, des bewußten Chaos.
Der romantische Charakter.
Wer etwas Unendliches will, der weiß nicht, was er will; aber umkehren läßt sich dieser Satz nicht.
Friedr. Schlegel.
O wie wechselnd ist
Doch mein Gemüth, so wandelbar veränderlich
Ist nichts mehr in der weiten Welt: denn bald
Bin ich so glücklich, so von Herzen froh,
So in mir selber groß, daß ich mit Frechheit
Die Sterne pflücken möchte und wie Blumen
Zum Kranze für mein Haupt zusammenflechten.
Ein Augenblick, so wechselt diese Fluth,
Sie tritt zurück und macht das Ufer nackt,
Und ärmlich dünkt mir dann mein ganzes Inn're.
Dann könnt ich mit dem Bettler tauschen, sterben,
In ferne, nie besuchte Höhlen kriechen,
In ewiger Betrachtung meines Jammers
Ein langes, qualenvolles Leben schmachten.
Dann seh' ich ihren Blick, ein Lächeln grüßt
Den eingekrümmten Geist, und Alles ist
Vergessen, mir gehört die ganze Welt.
Das ist der romantische Charakter, wie er träumerisch, die Augen in den Wolken, durch die Werke Tieck's und seiner Gefährten wandert, ihr eigener Doppelgänger; der bewußtwerdende, der moderne, in dem Geist und Natur, von einander gerissen, sich immer wieder berühren und zu vermischen streben, um heftiger aus einander zu fliehen; der das starke Band nicht hat, das sie trennt sowohl wie vereinigt. Was ihm fehlt, ist Charakter und Harmonie, aber er hat, wenn man den Berührungspunkt des Unbewußten und Bewußten so nennen darf, Seele. Er hat einen Körper, in dem das ausgelassene Herz bald zu geschwinde, bald zu träge klopft, ein Gesicht, aus dem uns suchende, ahnende Augen voll Geheimniß ansehen.
Der Ausspruch Friedrich Schlegel's: »Man nennt viele Künstler, die eigentlich Kunstwerke der Natur sind«, ist auf die meisten Romantiker anzuwenden; weil sie selbst im Strome des Gestaltetwerdens flutheten, konnten sie nicht gestalten und wollten es doch, weil sie besser als ein Fertiger wußten, wie es dabei zugeht. Es ist erstaunlich, bis zu welchem Grade es Tieck mißlang, Menschen zu schaffen. Die unzähligen Personen, die in feinen Büchern austreten, sind nichts als bunte Figuren einer Laterna magica, die, auf eine Wand geworfen, marionettenartig mit zuckenden Bewegungen an dem Beschauer vorübergleiten. Sie springen in erstaunlicher Fülle, mühelos, aus seinem Kopfe; eben weil es nur Kopfgeburten sind, ohne Fleisch und Bein. »Es giebt zwei Arten, Menschen zu schildern«, sagt Novalis, »die poetische und die wissenschaftliche. Jene gibt uns einen durchaus individuellen Zug – ex ungue leonem –, diese deducirt vollständig.« Tieck's Art ist die wissenschaftliche, und insofern haben seine Menschen ein unendliches Interesse. Man muß ihnen die aufgeklebten Etiquetten abreißen und sie allesammt Ludwig Tieck nennen; denn in Wahrheit sind sie nur Brechungen dieses einen Strahles. Auch sind wir ihm für seine Art zu schildern dankbar; denn es wäre schade, einer so künstlichen Spieluhr, wie es der romantische Charakter ist, nur zuzuhören und sie nicht auch einmal aufzumachen und im Innern arbeiten zu sehen – voir ce qu'il y a dedans, sagte ein kleiner Junge, ehe er sein Spielzeug zerbrach.
In dem harmonischen Menschen entwickeln sich die beiden Wesenshälften, Mann und Weib, Thier und Engel, gleichmäßig, sodaß sie in guter Kameradschaft neben einander aushalten können, wie die alten germanischen Heidengötter nie ohne ein edles Thier erschienen, das ihnen gemäß war; der romantische Mensch ist eine personificirte unglückliche Ehe und Mißheirath, gewöhnlich deswegen, weil die Frau sich dem Manne überlegen fühlt, manchmal auch weil sie ihm nicht gewachsen ist, und ringt nicht in ihm unterzugehen, oder denn, daß sie sich nun einmal nicht verstehen können: gegenseitige unüberwindliche Abneigung. Aber die Ehe des Menschen mit sich selbst ist wirklich ein Sakrament, unauflöslich, zum Zwecke gegenseitiger Erziehung, eine oft qualvolle Bildungsschule. Meistens ist der Romantiker der werdende Engel, der die Menschlichkeit haßt, die ihn noch mit der Erde verbindet. Wie das unglückliche Opfer den Leichnam, mit dem sein Peiniger es zusammengebunden hat, um die Todesqual zu verschärfen, möchte der Intellekt den Willen von sich stoßen, der doch der seinige ist: »Ein Engel darf, ein Mensch mag ich nicht sein, nur die Hölle bleibt dem Unbefriedigten übrig«, dieser Verzweiflungsschrei aus Tieck's Abdallah ist das Thema endlos phantasirender Klagen.
»O daß ich mich stürzen könnte in das Meer der unermeßlichen Göttlichkeit! Diese tausendfachen Schätze in meinen Busen saugen! Könnt' ich sie fesseln und ewig wach erhalten in meiner Brust, diese göttlichen Gefühle, die jetzt durch meine Seele zittern! Ach daß der Gesang durch die Laute rauscht und nachher verstummt! Ich höre das Pochen meines ungeduldigen Geistes: was ist diese unnennbare, unausfüllbare Leere, die mich stets im Genusse so kalt und todt ergreift? Ein fremdes Streben ringt mit meiner Begeisterung und wirft sie nieder. Ich schwindle auf der Freude höchstem Gipfel und stürze in den Staub betäubt zurück.«
»O daß der Mensch in seinem Busen einen unversöhnlichen Feind mit sich herumtragen muß, der ihn unablässig quält! Daß das heillose Drängen unsrer Seele, das Streben gegen die Unmöglichkeit uns den Genuß unsres Daseins raubt und uns gegen uns selbst verderbliche Waffen in die Hand giebt!«
»Die Seele steht tief hinab in einem dunkeln Gewölbe in einem dunkeln Hintergrunde und lebt im weiten Gebäude für sich, wie ein eingekerkerter Engel; sie hängt mit dem Körper und seinen vielfachen Theilen ebensowenig zusammen, wie der Verbrecher mit der Stadt, in der er gefangen sitzt. – – Was kann ich also für meine Seele thun, die wie ein unaufgelöstes Räthsel in mir wohnt? Die dem sichtbaren Menschen die größte Willkür läßt, weil sie ihn auf keine Weise beherrschen kann?«
Mit einem andern Bilde, das dasselbe bedeutet, hörte ich Jemand seine Natur mit einem wilden Pferde vergleichen, das sein Geist nicht bändigen und lenken könne.
Schlichter als Tieck, aber kindlich rührender erzählt Wackenroder, wie sein Jakob Berglinger an dieser Mißhelligkeit zu Grunde geht; wie es ihn anwidert, die Leute auf der Straße schwatzen und lachen zu sehen, wenn er in übersinnlichem Enthusiasmus aus dem Concerte kommt, und wie er sich dann vor sich selber schämt, wenn er es sich beim Essen, im Kreise alltäglicher Bekannter, wohlschmecken läßt. Ein unaufhörlicher Kampf, nur unterbrochen durch erzwungene, äußerliche Versöhnungen.