Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Ricarda Huch |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 4064066388829 |
Vieles kommt zusammen, um die Zeit nach dem Sturze der Hohenstaufen von der vorhergegangenen zu unterscheiden. Ein anderer Geist durchweht sie, eine andere Weltanschauung bereitet sich vor. Das Weltreich, das Kaiser und Papst als Stellvertreter Gottes regierten, bricht langsam auseinander. Es gibt noch einen Papst und einen Kaiser und eine Geistlichkeit, die den ersten Stand bildet, aber man glaubt nicht mehr unbedingt an sie. Das Volk selbst, und das ist vielleicht das Entscheidende, ist, in seiner Zusammensetzung anders geworden; der Uradel beginnt auszusterben.
Immer gab es noch alte Geschlechter, führten doch zum Beispiel die Habsburger ihren Ursprung auf das 10. Jahrhundert zurück; aber die Zahl der erloschenen war ungleich größer, und groß war die Zahl derer, die aus unfreien Schichten aufsteigend sich mit den Freien und mit dem Adel vermischten. Einmal war es der Herrendienst, der den Unterschied von frei und unfrei durch das von höfisch und bäuerisch ersetzte, sodann die beginnende Geldwirtschaft, die den von arm und reich verschärfte. Dadurch, daß der Grundbesitz beweglich wurde, gelang es vermögenden Handwerkern, eigene Häuser und damit die Grundlage der Freiheit zu erwerben. Die Stimme und der Wille des niederen Volkes wurde vernehmlicher, was nicht bedeutete, daß das Volk gleichartiger geworden sei. Die Scheidung in herrschende Klasse und arme Leute, in Adel und Volk, Reiche und Arme dauerte fort, nur daß sich die Oberen durch die Unteren ergänzten. Schroffer als je standen sich die Glieder der Nation gegenüber, wenn auch die stolze adlige Schicht, deren Schwanengesang in der reichen Literatur um 1200 sich ausgeströmt hatte, verschwand, schroffer, seit die Beherrschten selbstbewußter und anspruchsvoller wurden.
Man sollte meinen, da der erweiterte Gebrauch der Volkssprache gewiß ein wachsendes Bewußtwerden des Gesamtvolkes anzeigt, es müsse gleichzeitig ein Zunehmen des nationalen Bewußtseins zu bemerken sein. Im allgemeinen herrschte es mehr bei den niederen Klassen, was schon mit der mangelnden Sprachenkenntnis und mit der Verbundenheit mit dem heimischen Grund und Boden, dem heimischen Gewerbe zusammenhing. Doch kann man mehr von Anhänglichkeit an die Scholle und an die Stadt, der man angehörte, als von Nationalgefühl sprechen. Der hohe und niedere Adel, dessen Beruf der Krieg war, sah in den Gegnern zugleich Angehörige derselben Gesellschaft mit denselben Begriffen von Ehre, die dem Standesgenossen rücksichtsvolle Behandlung sicherten, wenn sie ihn nicht umgebracht hatten. Selbst die sarazenischen Feinde gewöhnte man sich mehr nach ritterlichem als nach christlichem Maßstabe zu messen. Ebenso wünschte der reisegewohnte Kaufmann, der die Städte beherrschte, auf friedlichem Fuße mit den fremden Nationen zu verkehren, die ihm wegen der Handelsbeziehungen oft lieber waren als ein landmännischer Nachbar, der ihn vielleicht mit Fehde belästigte. Wie einst bayrische Herzöge, um ihre Unabhängigkeit zu retten, die Avaren ins Land riefen, so scheute sich zur Zeit Ludwigs des Bayern Herzog Leopold von Österreich, der Bruder Friedrichs des Schönen, nicht, die deutsche Königskrone dem König von Frankreich anzubieten. Einige Herren trafen sich auf einem Boot im Rheine, wo sie sicher vor Lauschern waren, um die verräterische Wahl zu bereden; der Komthur Berthold von Buchegg war es, der durch seinen Widerstand die Schmach verhinderte. Nach Ludwigs Tode boten Karls Gegner die Krone dem König von England an. Auf der anderen Seite konnte es geschehen, daß Karl IV. im Jahre 1364 die Reichssteuer, die Lübeck ihm zu bieten hatte, an den König von Dänemark übertrug, mit dem die Hanse, also auch Lübeck, sich im Kriege befand. Der Lübecker Rat stellte dem Kaiser vor, daß er ihnen nicht zumuten könne, ihren Feind zu stärken. Indessen wäre es falsch, aus solchen Verwicklungen zu schließen, die Deutschen hätten sich nicht als Deutsche gefühlt; namentlich ließ das seit dem 14. Jahrhundert stark sich aufdrängende Nationalbewußtsein Frankreichs zuweilen das ihrige aufflammen, oder die Anmaßungen der Päpste reizten den Stolz. Ein junger Herzog von Geldern, dessen Tapferkeit die deutsche Grenze vor einem französischen Einfall schützte, hielt eine Ansprache an den König von Frankreich in deutscher Sprache, um öffentlich darzutun, wohin er gehöre. Auch von Friedrich Barbarossa wurde gesagt, er könne wohl Lateinisch, spreche aber deutsch, um die deutsche Sprache zu ehren. Wenn bemerkt wurde, daß die Deutschen sich den Tod Konradins nicht zu Herzen nähmen, so spricht dagegen, daß man im Volk glaubte, die Königin Anna sei aus Gram darüber gestorben, daß sie ihre Tochter dem Enkel Karls von Anjou zur Frau geben mußte. Gemeinsames kriegerisches Eintreten für die nationale Ehre war allerdings schwer zu erreichen, teils weil die Menge der Einzelteile, in die das Reich zerfiel, und die Schwäche der Zentralgewalt überhaupt gemeinsames Handeln erschwerten, teils weil das Reichsgefühl, das der Gang der Geschichte in Deutschland entwickelt hatte, weniger empfindlich war als das Nationalbewußtsein anderer Staaten, besonders Frankreichs. Die Franzosen betrachteten sich als Nachfolger Karls des Großen, erhoben deshalb Anspruch auf das Kaisertum und standen neben Deutschland mit wachsamer Eifersucht und Angriffslust, mit scharfer Betonung ihrer Nationalität; die Deutschen waren es gewöhnt, daß sie fließende Grenzen hatten, daß fremdsprachige Gebiete zu ihnen gehörten, daß es Länder gab, die bald Reichsglieder, bald Reichsfeinde waren. Die Tatsache allein, daß der König von Böhmen als Kurfürst des Reiches das Recht hatte, den deutschen König zu wählen, setzt eine eigentümliche Entwicklung des nationalen Bewußtseins voraus. Das Reichsgefühl, das auf Grund dieser Verhältnisse entstand, ist wesentlich vom Weltbürgertum verschieden; denn das Reich, wenn auch fließend in seinen Grenzen und der Idee nach die Welt umfassend, hatte doch einen festen Kern, in dem eine bestimmte Sprache, bestimmte Sitten, ein bestimmter Glaube vorherrschten. Von diesem Kern aus allerdings war ein beständiges Ausströmen ins Fremde und Einströmen des Fremden zu ihm. Er hätte nicht das Herz des Abendlandes sein können, wenn er geschlossener gewesen wäre. Etwas Monströses war unzweifelhaft in dieser Verfassung, in diesem Gebilde, dem Fabelgebäude gleich, das nicht Kitt und Meißel, sondern der Gesang des Orpheus aufeinandertürmte; allein seine Lockerheit und Verschiebbarkeit machten es geeignet, die Staaten des Abendlandes zu einem Ganzen zu verbinden, ohne an ihre Beherrschung denken zu können. Die Gefahr für die fließenden Maße des Reiches war, daß es den Punkt überschritt, wo es selbst noch ein Ganzes, ein Reich, nicht nur eine Anzahl lose zusammenhängender Glieder sein konnte.
Die Mystiker
Als eine Unterhaltung während der Meerfahrt ließ sich König Eduard III. von Sir John Chandos die fröhlichen Schlachtengesänge und leidenschaftlichen Liebeslieder vorsingen, die er aus Deutschland mitgebracht hatte. Waren es Lieder, wie sie die deutschen Fürsten und Ritter zur Laute zu singen pflegten? Oder waren es Lieder, die das Volk sang, freier bewegt, süßklingend in das Gebrause der Brandung, zärtlich verwehend mit den fliegenden Wolken? Von jeher sang der Bauer am Pfluge, der Pilger auf dem Wege nach den heiligen Stätten, der Auswanderer, der zur Besiedelung des fernen Ostens auszog; aber nur wenig davon wurde aufgezeichnet. Erst von der Mitte des 13. Jahrhunderts an hören wir das deutsche Volk sprechen und damit seinen Geist offenbaren. Während in den Treibhäusern am Spalier das Lateinische gezüchtet wurde, erwuchs auf der Straße, im Felde, im Sumpf, im Staube, mit Tränen und Blut betaut, die deutsche Sprache zu einem starken aromatischen Kraut, mit bald zarten, bald brennend farbigen Blüten, in reizender Mannigfaltigkeit über die deutschen Lande verbreitet. Der mächtige Ton Roms verstummt nicht, aber das deutsche Ohr vernimmt ihn nicht mehr, es wird erfüllt von den innigen, wilden, markigen Lauten, die vom Herzen des deutschen Volkes ausgehen. Die Gedanken, die sie tragen, sind nicht mehr die fugischen Gedanken der Scholastiker, sondern melodische Gedanken, die aus persönlichem Erleben quillen, die frei spielend durch verwandte Vorstellungen gleiten, Gedanken der Mystiker. Man könnte das Thema des vielstimmigen deutschen Konzertes, das sich das 13. und 14. Jahrhundert hindurch entfaltete, Gespräch zwischen Gott, Mensch und Natur nennen. Über die tiefsten Rätselfragen, die den Geist bewegen, wurde darin phantasiert, sie sollten nicht endgültig gelöst werden,