Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Ricarda Huch
Жанр Философия
Серия
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 4064066388829



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Der Kaiser wußte, daß er ohne den Papst eine Weile König von Italien sein konnte, daß er ohne den Papst in Deutschland König sein konnte, daß er aber Kaiser, Weltkaiser nur sein konnte, wenn der Papst ihn in Rom krönte. Aber auch der Papst mußte erfahren, daß er in Avignon, als Diener des französischen Königs, nicht Papst im alten Sinne, nicht Herr der Welt sein konnte. Wie ohnmächtig, wie winkelhaft war er in Avignon trotz allen Reichtums und aufgewendeten Pompes geworden! Wohl schleuderte er den Blitz des Bannes wie einst, aber es war ein Theaterzickzack geworden, den niemand mehr für eine tödliche Flamme hielt. In den Städten, die Ludwig besonders anhänglich waren, wurde der Gottesdienst auch unter dem Interdikt gefeiert; hatte sich doch ein Teil des Minoritenordens leidenschaftlich angreifend gegen den Papst erhoben. Der Strom der an Anbetung grenzenden Ehrfurcht, der die Völker, der namentlich das deutsche Volk an den Papst gebunden hatte, war unterbrochen, war stockend, dünn, trübe geworden. Nicht anders verhielt es sich mit dem Kaiser. Männer von bedeutender Willenskraft wie Rudolf von Habsburg und sein Sohn Albrecht errangen sich wohl Ansehen und Einfluß; aber ihrer Abhängigkeit von den Fürsten konnten sie sich doch nicht entziehen. Immer hatten sich die deutschen Könige allgemeine Geltung erkämpfen müssen; jetzt war es nichts Außergewöhnliches, daß die Fürsten mit ausländischen Bewerbern um die Krone liebäugelten. So kann man es denn vielleicht begreiflich finden, wenn Ludwig sich enger mit dem Papst als mit den deutschen Fürsten verbunden fühlte, wie sehr er auch Ursache hatte, beiden zu mißtrauen. Unrühmlich und zugleich reich an Ruhm war seine seltsame Regierung. Seine Schwäche und der Übermut des Papstes entehrten das Reich so augenscheinlich, daß endlich einmal Pflichtgefühl und nationaler Stolz in den Fürsten erregt wurde. Inmitten der beginnenden Verwilderung der mittelalterlichen Verfassung, wo die beiden festen Punkte, die sie regierten, aus ihren Stellungen wichen und wankten, raffte sich das Reich auf, um die Ordnung, soweit es noch möglich war und von ihnen abhing, zu wahren. Noch ragte der bröckelnde Babelturm in den Himmel, noch teilten Posaunen Fluch und Segen aus, noch lehrten Gesetze im metallischen Klang der lateinischen Sprache die Welt, was sie zu glauben habe; aber schon ertönten auf allen Seiten fremde Zungen, die sich untereinander nicht verstanden, und deren Gemisch sich ehrfurchtlos über die feierliche Ruine hinwegschwang.

       Inhaltsverzeichnis

      Eine Heimat in der Heimat hatte das wälderliebende Volk der Sachsen im Harz. Allmählich hebt sich das romantische Gebirge aus der breit schwingenden Ebene, steigt in höheren, dunkleren Wogen, türmt sich immer mächtiger auf und taucht endlich mit seinem wilden Haupte, dem Brocken, ins Gewölk. In diese Schluchten und Waldgründe bargen sich Gnom und Elf, die ganze drollige, holde und böse Ausgeburt von Phantasie und Traum, die die Aufgeräumtheit des flachen Landes verdrängte; ihr heimliches Wesen saust und schnarrt in den biegsamen Fichten, lauscht hinter granitenen Blöcken, glüht zwischen dem rosigen Fingerhut, der die kahlen Hänge hinaufschwillt, und bläst und tollt auf dem Geisterberge, wo die Tanne zu kriechendem Kraut geworden ist und Irrsal den Eindringling umnebelt. Früh umkränzte die Vorliebe der sächsischen Kaiser den Harz mit Ansiedlungen: an seinem westlichen Rande entstand das Kloster Gandersheim, wo Hroswitha dichtete, im Norden wurde zu Otto des Großen Zeit das Silber im Rammelsberge entdeckt, im Süden lag Mathildens Witwensitz Nordhausen, im Osten das Kloster Quedlinburg, dessen Äbtissinnen die Königstöchter wurden, nicht weit davon das Kloster Gernrode und der alte Bischofssitz Halberstadt. Eine von den vielen Burgen, die die östlichen Harzberge krönten, ist der Falkenstein im Selketal, wo Eike von Repgow oder Reppichau den Sachsenspiegel geschrieben haben soll. Wenn es so ist, bewohnte er noch nicht die Burg, die heute noch wohlerhalten steht, sondern eine ältere; aber dasselbe Waldesrauschen und Bachgeriesel, dieselbe Fülle der Einsamkeit umgab ihn und erfrischte sein Herz und seinen Geist. Hat der Sachsenspiegel, in dem die Rechtsgedanken und Rechtsgebräuche der Sachsen aufgezeichnet wurden, auch nicht die unermeßliche Wirkung auf das deutsche Volk ausgeübt wie die Bibel, so mag man sich doch insofern an den Sprachgewaltigen auf der Wartburg erinnert fühlen, als der Sachsenspiegel und die wahrscheinlich von Eike verfaßte Sächsische Weltchronik die ersten in deutscher Sprache geschriebenen Prosawerke waren und somit eine wichtige Stelle in der Entwicklung derselben einnehmen. Graf Hoyer von Falkenstein, einer von den sogenannten Harzgrafen, unter denen viele tüchtige und gebildete Männer waren, überredete Eike von Repgow, der den Sachsenspiegel lateinisch geschrieben hatte, ihn ins Deutsche zu übertragen; er zögerte, es zu tun, weil es ihm, wie er selbst sagte, zu schwer vorkam. Da die Gerichtsverhandlungen, die Eike als Schöppe mitmachte, aus denen seine Erfahrung stammte, jedenfalls in deutscher Sprache abgehalten wurden, sollte man meinen, es wäre schwerer gewesen, die Rechtsverhältnisse in lateinischer als in deutscher Sprache wiederzugeben, wie ja auch die alten Rechtsbücher in der Landessprache abgefaßt waren. Wie dem auch sei, der Gedanke, sich mit einer belehrenden Schrift an die deutschsprechenden Laien zu wenden, war ungewöhnlich, weil das Lesen und Schreiben eine in der Regel nur von Geistlichen geübte Kunst war.

      Es ist selbstverständlich, daß die deutsche Sprache mündlich immer in Gebrauch war: es wurde den Laien deutsch gepredigt, deutsch wurde gesungen und gesagt, jedes öffentliche Ereignis spiegelte sich in Liedern, die von Mund zu Mund gingen. In der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts begann Deutschland nicht nur von volkstümlichen Gedichten, sondern auch von einer Kunstpoesie zu erklingen, die in einer gebildeten Gesellschaft entstand und mit lebhafter Teilnahme aufgenommen wurde. Damals wurde auch was sich im Gedächtnis des Volkes an alten Götterkämpfen und an Vorgängen aus der völkerverschlingenden Zeit der Wanderungen erhalten hatte in den beiden großen Heldengedichten von den Nibelungen und von Gudrun zusammengefaßt. Die Fähigkeit der Deutschen, den Samen des Schönen von überallher aufzufangen und in sich auszubreiten, zeitigte erlesene Früchte; aber in so unvergänglicher Gestalt ist das fremde Sagengut nicht geprägt wie der Nachklang des Erlebens verherrlichter Ahnen. Mit dem Schauplatz dieses heroischen Daseins, den nordischen Meeresinseln, dem traubenbekränzten Rhein, der gefährlichen Donau, schlingt die Dichtung um das Reich eine silberne Grenze, nach Osten die Bahn in unendliche Weiten öffnend.

      Schien es ein Wagnis, ein Buch wissenschaftlichen Charakters in deutscher Sprache herauszugeben, so bewies der Erfolg, daß es ein zeitgemäßes war; es erlangte schnell eine verhältnismäßig große Verbreitung. Man nimmt an, daß der Sachsenspiegel um 1255 entstanden ist. Im selben Jahre wurde zum erstenmal ein Reichsgesetz in deutscher Sprache niedergeschrieben: ein allgemeiner, von Friedrich II. verkündeter Landfrieden, der in Mainz beschworen wurde. Im Jahre 1258 oder 1259 wurde die Urkunde über eine Teilung zwischen zwei habsburgischen Brüdern in deutscher Sprache abgefaßt. Eine Chronik aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts berichtet, König Rudolf habe im Jahre 1285 auf Verlangen der Fürsten angeordnet, daß die Urkunden auf deutsch verfaßt werden dürften, weil die deutsche Zunge genug Worte habe, um allerlei Händel darin zu begreifen; wo sie Mangel gehabt hätte, sei sie aus anderen Sprachen erfüllt und gebessert. Ein merkwürdiges Zeugnis der Selbstbesinnung der Deutschen ist es, daß nun auch öffentlich, amtlich in der Sprache gesprochen wurde, die bisher nur im Hause, in der Familie, im Freundeskreise erklang, und daß der Laie deutsche Bücher lesen und schreiben konnte. Unendlich viel lebensvoller spiegeln sich Zeit und Menschen in den deutschen Chroniken des 14. Jahrhunderts als in den lateinischen Annalen früherer Zeit. Es ist als fiele eine glatte Maske von beweglichen Zügen. Bedenkt man, wie wesensverschieden einem etwa Friedrich der Große erscheint, je nachdem man ihm in französischer oder deutscher Sprache sich ausdrückend begegnet, so ermißt man, wieviel vollständiger man alles Geschehen erfassen kann, seit uns deutsche Sprache die Kunde davon vermittelt. Geist, Sprache und Persönlichkeit sind nicht zu trennen.

      Auch das trägt dazu bei, uns den deutschen Menschen seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts näherzubringen, daß hin und wieder porträtähnliche Bildnisse erscheinen. Das Bedürfnis nach Ähnlichkeit bei der Wiedergabe von Personen bestand nicht immer. Noch in der Schedelschen Chronik, die am Ende des 15. Jahrhunderts geschrieben wurde, stellt ein und derselbe Kopf bald Pythagoras, bald Huß, bald Totila, bald Kaiser Lothar vor, ein und dasselbe Stadtbild bald Lübeck, bald Bologna, bald Mazedonien. Es wird uns schwer, zu begreifen, wozu diese Bilder dienten, die in gar keiner Beziehung zum Darzustellenden standen und eigentlich nur Schnörkel waren, die das Blatt ansehnlicher machten. Vielleicht