Название | Gesammelte Werke |
---|---|
Автор произведения | Ricarda Huch |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 4064066388829 |
In einem Gewölbe der steinernen Burg Lochstedt befinden sich noch Überreste einstiger Bemalung, darunter in einen Spitzbogen eingegliedert ein Bild des heiligen Michael: mädchenschlank, mädchenzart, mit schmaler asketischer Wange, lächelnd, seines Sieges gewiß, wie eine biegsame Klinge flammt er zwischen den Drachenhäuptern, die ihn umzüngeln, Licht gegen Finsternis. So sahen die Ordensmeister nicht aus, von denen es Abbildungen gibt: das waren feste, gedrungene Gestalten mit langen Bärten, das Gesicht von Sorgen und Mühen gefurcht, und auch die jungen Ritter werden meistens sehr viel derber und plumper ausgesehen haben und gewesen sein. Dennoch mögen sie sich in ihren höchsten Augenblicken, wenn sie sich dem Kampf und dem Tode weihten, so gefühlt haben: mit so viel Feuer wollten sie so viel Reinheit vereinigen.
Geistiges Leben
Im Zeitalter Barbarossas entfaltete sich der ritterliche Stand zur Blüte. Es entstand eine weltliche Baukunst, das Kunstgewerbe verfertigte schöne Gegenstände zum Schmuck von Burgen und Schlössern und Personen, eine weltliche Literatur entstand, die das Leben des Ritters und seine Ziele, Kriegszüge, Eroberungen, Herrendienst und Frauenliebe widerspiegelte. Die Wissenschaft war immer noch im Besitz der Geistlichkeit und hatte theologischen Charakter; aber dem Anspruch gemäß, daß Italien das Sacerdotium, Deutschland das Imperium, Frankreich das Studium zukomme, stand Deutschland in der Wissenschaft hinter den romanischen Nachbarländern zurück. In Italien hatte weltliche Wissenschaft nie ganz aufgehört, im zwölften Jahrhundert wurden die Universitäten Bologna und Padova als Rechtsschulen berühmt. Älter und berühmter war die Universität von Paris, eine Hochburg der orthodoxen Theologie. Daneben regte sich in Paris zuerst ein von der Dogmatik unabhängiges Denken über die Voraussetzungen des Christentums, der auf den freien menschlichen Verstand gestützte Zweifel. Ein Geistlicher war es, Abälard, der es wagte, das erhabene Gebäude der katholischen Lehre auf seine Haltbarkeit zu untersuchen. Nicht wie ein ungläubiger Heide rannte er dagegen an, sondern als ein Kundiger, ein Eingeweihter, beleuchtete er es mit dem Licht des theologisch geschulten Verstandes, ließ seinen Widerspruch in alle Ritzen schlüpfen und kam zu dem Schluß, daß die über dem Fundament der göttlichen Offenbarung in Jahrhunderten ausgebaute Lehre ersetzt werden könne aus der Vernunft und dem Gewissen der Menschen. Lehrte Christus irgend etwas, was nicht die Weisen und Guten unter den Heiden auch gelehrt hatten? fragte er. Lehrte er etwas, was unserer Vernunft widerspricht? Könnte selbst Gott etwas tun oder verkünden, was nicht in Einklang mit der menschlichen Vernunft wäre? Und wenn etwas gelehrt würde, was der Vernunft widerspräche, könnte und dürfte das geglaubt werden? Wozu also, wenn die Religion als natürliche Kraft in der menschlichen Vernunft liegt, bedurfte es dann der Offenbarung? Abälard kam zu dem Schlusse, daß die durch das Erscheinen Christi geoffenbarte Religion den Zweck erfüllt habe, die Unvernünftigen und Ungebildeten zu belehren, die bereits erkannte Wahrheit über die ganze Erde zu verbreiten. Das Aufwerfen solcher Probleme in einer Zeit, wo alle gewöhnt waren, sich der Autorität zu unterwerfen, wirkte berauschend. Der dem Menschen angeborene Trieb zu erkennen, sich selbst Wege des Erkennens zu bahnen, der durch die Kirche gebunden war, spannte die Flügel und spielte in den Lüften. Sogar der Papst und die Kardinäle fühlten sich durch Abälards neue Wissenschaft angezogen, der sich hütete, die geoffenbarte Religion anzutasten, außer daß er sie etwa für überflüssig erklärte, oder gar sich an der Kirche zu vergreifen. Sowohl die Klarheit des gallischen Geistes wie der Formalismus des römischen waren für die Wissenschaft Abälards empfänglich. Den Kampf gegen ihn unternahm Bernhard von Clairvaux, der wußte, daß Glauben nicht auf dem Denken, sondern auf dem Willen beruht, und der vielleicht fühlte, daß Abälard, indem er an dem historischen Christus vorüberging, das lebendige und lebenschaffende Element des Christentums ausschaltete. Die Gefahr, die es für die Kirche bedeutete, wenn dem menschlichen Verstande gestattet sein sollte, über religiöse Wahrheit zu entscheiden, wenn neben der Wahrheit des Christentums eine Wahrheit anerkannt werden sollte, die aus anderer Quelle stammte, war zu augenscheinlich, als daß nicht die Kirche diesem Lehrer hätte Schweigen gebieten sollen.
Es gab wohl auch deutsche Studierende, die in Paris von Abälards aufrührerischen Gedanken ergriffen wurden; aber im allgemeinen erregte seine Lehre in Deutschland nur Widerspruch, soweit sie überhaupt beachtet wurde. Die Gelehrten hielten sich an das Dogma, ohne sich dadurch vergewaltigt zu fühlen, oder sie bewegten sich, wie Rupert von Deutz, in Gedankengängen, die weder scholastisch noch dogmatisch tiefer in das Wesen des Menschen oder in das Leben einzudringen suchten. Gott war für diese Denker die selbstverständliche Voraussetzung, der Mensch ein Geschöpf Gottes, in dem sich Gott offenbart, die Schöpfung, in deren Mitte der Mensch steht, mühten sie sich als ein Ganzes, Sinnvolles zu begreifen. Gott zu erleben war ihnen wichtiger als über Gott und göttliche Dinge nachzudenken. Der Ausspruch des Rupert von Deutz, es sei für die menschliche Seele schwer, etwas nicht zu lieben, zeigt sein warmes Herz und seinen für alles offenen Geist, beleuchtet aber auch das Wesen des damaligen Deutschen, seine Gläubigkeit, seine Phantasie, seine Begabung für das Übersinnliche. Denn Liebe ist ja eine überirdische Begegnung, die Fähigkeit, etwas in seiner tiefsten Wurzel, in seiner ewigen Bedeutung zu erfassen. Mit der auf das Übersinnliche gerichteten Phantasie des Deutschen, mit seiner Sehnsucht auszudrücken, was Worte auszusprechen nicht imstande sind, hängt seine stärkste schöpferische Begabung, die für Musik, zusammen. Es läßt sich nicht genau verfolgen, welche Formen sich diese Begabung damals schuf; aber gewiß ist, daß sie den benachbarten Nationen auffiel. Bernhard von Clairvaux vermißte, als er Deutschland verließ, den Gesang seiner deutschen Begleiter, und der heilige Franziskus hatte Freude an den deutschen Brüdern, die singend durch Italien pilgerten. Die Deutschen sangen am Pfluge, sie sangen in der Kirche, sie sangen in der Schlacht. Als der Kaiser Lothar Apulien erobern wollte, zwang ihn der Herzog von Bayern, sein Schwiegersohn, den Plan aufzugeben dadurch, daß er im Heer eine bestimmte Weise anstimmen ließ, die das Zeichen zur Heimkehr bedeutete. Wenn diese Weise durch die Reihen des Heeres ging, wurde das Heimweh, das es immer erfüllte, so übermächtig, daß es unmöglich war, es zurückzuhalten. Dem Tagewerk wie dem Tod gab die Musik den Glanz; sie war das Licht des grauen Landes. Durch die größten Dichtungen des Mittelalters, sowohl durch das Nibelungenlied wie das Gudrunlied, wildheidnische Balladen, perlt Musik als der gewaltigste Zauber: Volker singt mit seiner Geige die todgeweihten Burgunder in Schlummer, und Horand berückt mit seinen Liedern die Herzen, daß sie sich wehrlos in seine Hand geben.
Dichtung und Musik gehörten zur Bildung, besonders zum Schmuck der Höfe. Herzog Leopold V. von Österreich und Landgraf Hermann von Thüringen waren unter den Fürsten die bekanntesten Freunde der Dichter. Aus der Mitte des 13. Jahrhunderts stammt das seltsame Gedicht vom Sängerkrieg auf der Wartburg. Es erzählt von sechs Sängern, die am Hof des Landgrafen Hermann zusammenkamen, Heinrich dem tugendhaften Schreiber, Reimar von Zweter, Wolfram von Eschenbach, Biterolf, Walther von der Vogelweide und Heinrich von Ofterdingen. Während fünf den Landgrafen von Thüringen rühmen, verkündet Heinrich von Ofterdingen das Lob Leopolds von Österreich. Sie kommen überein, einen Wettstreit zu veranstalten, bei dem jeder den von ihm bevorzugten Fürsten rühmen soll; der verlierende soll sterben. In diesem schauerlichen Wettgesange mit dem lauernden Henker im Hintergrunde unterliegt Heinrich von Ofterdingen; aber durch Vermittlung der Landgräfin Sophie wird ihm erlaubt, bei dem berühmten Meister Klingsor aus Ungarland Berufung einzulegen.