wollte. An den Gegensätzen entbrennt das Feuer der Geschichte. Sicherlich nicht alle, die sich der Kirche widersetzten, wurden dazu von einem schöpferisch gläubigen, fruchtbar zweifelnden Drang bewogen. Viele nahmen Anstoß an der weltlichen Herrschaft, dem weltlichen Wesen der Kirche. Es war leicht, der Armut des Herrn, der nicht hatte, wohin er sein Haupt legen konnte, den weltlichen Pomp der Kirchenfürsten mit dem Papst an der Spitze entgegenzusetzen und damit den ganzen Charakter der Kirche zu verwerfen. Sicherlich war das keine Nachfolge Christi; aber es war ein über dem Grabe Christi aufgerichtetes Reich, das wachsen und einst die Welt beherrschen sollte, alle Stufen und Sphären des Lebens der Völker umfassend. Wäre ohne ein solches machtvolles Reich das Wort Christi erhalten worden? Wie berechtigt auch derartige Angriffe einzelner waren, wie etwa eines Arnold von Brescia, sie konnten zunächst die herrschende Kirche nicht erschüttern. Andere scheinen von dem weitverbreiteten Hang beseelt gewesen zu sein, sich durch irgendwelche Absonderlichkeiten hervorzutun, wie jene Ketzer, die Heinrich III. unter allgemeiner Zustimmung aufhängen ließ, die den Fleischgenuß verwarfen. Überhaupt war das niedere Volk mehr für gewaltsames Verfahren gegen Ketzer als der Klerus, obwohl die Ketzer meist aus den unteren Volksschichten stammten. Der Klerus ging ohne Untersuchung und genaue Feststellung häretischer Irrtümer nicht vor, während der Pöbel bereitwillig umbrachte oder Hinrichtung forderte. Hundert Jahre später traten in Köln Ketzer auf, die im Gegensatz zur katholischen Priesterschaft, deren bequeme Weltlichkeit sie als unchristlich verurteilten, arm lebten. Der hohe Klerus war ihnen gegenüber zur Milde geneigt, erlaubte ihrem Bischof sogar, mit einem Geistlichen zu disputieren; dagegen verlangte das aufgebrachte Volk, daß die übliche Strafe des Feuertodes gegen sie angewendet werde. Der Mut, mit dem sie, ihrer Überzeugung getreu, in den Tod gingen, erregte Bewunderung. Ein Bürger bat ein schönes Mädchen frei; aber als sie den Führer der Ketzer in den Flammen zusammenbrechen sah, verhüllte sie das Gesicht und warf sich über ihn, um mit ihm zu sterben. Eine neue Welle von Ketzerei erhob sich am Ende des 12. Jahrhunderts im Gefolge des Petrus Waldus, eines Bürgers von Lyon, der besonders in der Lombardei, aber auch in Deutschland viel Anhänger hatte. Die Waldenser waren die ersten Ketzer, die dem Dogmenlehrgebäude der Kirche mit Bewußtsein die Bibel entgegenstellten. Deutsche Übersetzungen einzelner Teile der Bibel gab es damals schon; sie waren aber, wie alle Bücher, nur den Geistlichen bekannt. Es gab kein Verbot der Bibel von Seiten der Kirche; aber es machte sich fühlbar, daß die Bibel zwar als Heiliges Buch der Christen galt, aber nur deshalb, weil die Kirche sie als solches anerkannte. Die Kirche betrachtete sich als unmittelbar von Gott gestiftet, als Inhaberin der Wahrheit und der Macht von Gott berufen, die Völker zu lehren. Die Meinung, daß es eine Quelle göttlicher Offenbarung gebe, die einem jeden mit Umgehung der Kirche zugänglich sei, war neu und unerhört. Aus der Heiligen Schrift hauchte das Wort Gottes den Hörer unmittelbar an. Der Deutsche vernahm es wie das Rauschen seiner Wälder und seiner Meere, einen wunderbaren Gesang voll geahnter Bedeutung. Hier handelte es sich nicht um Gebetsformeln, Fasten, Zehnten, sondern um sittliche Gebote, die im Herzen widerklangen, um Einsichten, die als goldene Frucht vom Baum des Lebens fielen. Man fühlte den Unterschied zwischen Menschenwort und Gotteswort und fühlte sich mit dem Gotteswort frei und unbesiegbar. Das Menschenwort, ob man es verstand oder nicht verstand, reizte zum Widerspruch, das Gotteswort in seinem unergründlichen Dunkel riß hin, erschütterte, überzeugte. Diejenigen Waldenser, die nicht lesen konnten, wußten große Stücke aus der deutschen Bibel auswendig; die Schönheit der Lieder, die sie sangen, fiel auch den Gegnern auf. Die Musik verband sich mit dem religiösen Aufschwung und drang auch in die Kirche ein; meistens wurde der Gottesdienst mit einem gemeinsam gesungenen deutschen Liede beendigt. Das niedere Volk, von dem man so wenig vernimmt, tritt in dieser ersten großen Ketzerbewegung aus seinen mühsalvollen Hütten hervor: hingebungsvoll, redlichen Sinnes, bereit den göttlichen Geboten zu folgen und dafür zu sterben, vielleicht zuweilen gehoben in der stolzen Zuversicht, daß Gott die Armen und Verachteten zu Jüngern der Vollkommenheit erwählt habe. Von dem Propst Heinrich Minneke von Goslar, dem viele Nonnen anhingen, und der auf einer Synode als Häretiker verurteilt und dann verbrannt wurde, weiß man nichts Näheres. Sicherlich gab es neben aufrichtiger Frömmigkeit mancherlei unordentliche, abgeschmackte und auch unsaubere Schwärmerei. Es gab Ketzer, die Materie für sündhaft erklärten und deshalb für jedermann übertriebene Askese verlangten, andere, die, weil sie glaubten, ohne priesterliche Vermittlung mit Gott eins und heilig werden zu können, sich alles, auch jede Ausschweifung erlaubten. Gute und Böse, Gescheite und Dumme schlossen sich der Bewegung an, und es wäre nicht zu verwundern, wenn die Fanatiker und die Toren in der Überzahl gewesen wären.
Die Päpste sahen mit Entrüstung Feinde den festgefügten Bau der Kirche unterwühlen. Es war der Bau, der die europäische Welt überwölbte, in ihren Augen eins mit dem Kosmos. Durch die Sakramente band sie den sterblichen Menschen an die unsterbliche Gottheit, hielt sie ihn eingeschaltet im Umschwung der Sphären. Riß das Band, so stürzte er wie ein erlöschendes Licht in das Nichts. Daß ein unmittelbares Band göttlicher Strömungen erwählte Geister zu einer unsichtbaren Kirche zusammenfassen könne, kam für die kirchliche Auffassung nicht in Betracht. Neben dem selbstsüchtigen Gefühl einer Macht, die sich im Genuß ihrer Herrschaft bedroht sieht, mögen solche Betrachtungen Papst Lucius III. bewegt haben, als er den Beschluß faßte, die Ketzer auszurotten, und Friedrich I. aufforderte, sich mit seinen Machtmitteln der Kirche zur Verfügung zu stellen. Der Kaiser war dazu durchaus bereit. Es wird ihn kaum ein Zweifel angewandelt haben, ob das, was die Ketzer lehrten, verdammenswert sei: weil sie sich gegen die Kirche auflehnten, waren sie Rebellen und mußte er, als Schutzherr der Kirche, sie strafen. Schon vor hundert Jahren hatte Gerhoh von Reichersperg gesagt: haereticum esse constat qui a Romana ecclesia discordat – Ketzer ist, wer von der Römischen Kirche abweicht. Auch Friedrich II., obwohl er selbst der Ketzerei verdächtigt wurde, erklärte sich mit seinem großen Gegner Gregor IX. einverstanden, als dieser im Jahre 1231 ein neues Gesetz zur Ausrottung der Ketzer erließ. Das Neue und Bedenkliche dieses Gesetzes war, daß künftig nicht nur der offenbare, gewissermaßen angreifende Ketzer zu verurteilen war, sondern daß der Ketzerei nachgespürt werden sollte, wodurch die gemeinen Instinkte der Menschen, insbesondere die Angeberei, aufgeregt wurden. Mit dieser peinlichen Aufgabe betraute der Papst den neugegründeten Orden der Dominikaner, der sich wegen seiner gelehrten Bildung dazu zu eignen schien. Die Zahl der häretischen Irrtümer, die sie austüftelten, überstieg sicherlich oft die Zahl der Heilswahrheiten, die den Beschuldigten selbst bekannt waren. Das Jahr des neuen Gesetzerlasses war das Jahr, in welchem die heilige Elisabeth starb. Ob der Tod der jungen Fürstin das düstere Gemüt ihres Beichtvaters trübte? Konrad von Marburg übernahm die seinem Orden zugewiesene Aufgabe mit einem Eifer, als bereite es ihm eine schreckliche Genugtuung, Menschen dem Feuertode zu überliefern. Wie eine Krankheit fraß der Verdacht der Ketzerei um sich; selbst Geistlichen kam Konrads Vorgehen wie ein blindes Wüten vor. Ein bisher unbekanntes Grauen beschlich die Menschen. Vielleicht hätte die Verfolgung sich ungehemmt ausbreiten können, wenn sie sich auf die unteren Volksklassen beschränkt hätte; aber gemäß einer ausdrücklichen Bestimmung des Papstes griff sie gerade die Hochgestellten an. Das reizbare Ehrgefühl des hohen Adels empörte sich gegen die Vergewaltigung durch ein geistliches Gericht. Graf Heinrich von Sayn wurde wegen Ketzerei angeklagt und erschien auf einer großen Kirchenversammlung in Mainz, bei der König Heinrich, Friedrichs II. Sohn, anwesend war. Sowohl er wie der Erzbischof von Mainz mißbilligten das Verhalten Konrads; der Erzbischof hatte ihn sogar ermahnt, sich zu mäßigen, aber ohne etwas auszurichten. Soviel bewirkte der Erzbischof, daß dem Grafen von Sayn eine Frist gegeben wurde, um sich zu rechtfertigen; die Gefahr blieb trotzdem groß, denn das Inquisitionsverfahren war so eingerichtet, daß es sehr schwer war, die einmal angezweifelte Rechtgläubigkeit zu erweisen. Am 30. Juli 1233 wurde Konrad von Marburg ermordet; man schrieb die Tat allgemein dem Grafen von Sayn zu. Er lebte noch 14 Jahre, ohne deswegen angegriffen zu werden; seine Witwe machte später große Schenkungen zum Heil für seine und ihre sündigen Seelen. Beinah gleichzeitig wurde in Straßburg der Dominikanermönch Droso, der durch sein Aufspüren von Ketzern die Stadt beunruhigte, von Heinrich von Mülnstein, einem, der sich bedroht fühlte, ermordet. Johannes Guldein, einer der angesehensten Straßburger Bürger, war im Jahre 1230 verbrannt worden. Nicht nur der Papst, sondern auch der Kaiser war entrüstet über die Mordtaten; es war einer der Vorwürfe, die Friedrich gegen seinen Sohn erhob, daß er die Ketzerverfolgung nicht unterstützt habe. Trotzdem ist anzunehmen, daß die Kaiser diese Pflicht ihres Amtes nur wie eine herkömmliche Formel zuweilen zu betonen