Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Heinrich Mann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783869923963 |
Um diesen obersten Grundsatz zur Geltung zu bringen, wurden alle Räume der Fabrik bedeckt mit Inschriften, die ihn verkündeten. Durchgang verboten! Wasserholen mit den Eimern der Feuerlöschapparate verboten! Flaschenbierholen erst recht verboten, denn Diederich hatte nicht versäumt, mit einer Brauerei einen Vertrag zu schließen, der ihm Vorteile sicherte vom Konsum seiner Leute ... Essen, Schlafen, Rauchen, Kinder mitbringen, „Poussieren, Schäkern, Knutschen, überhaupt jede Unzucht“ strengstens verboten! In den Arbeiterhäusern waren, noch bevor sie wirklich dastanden, Pflegekinder verboten. Ein in freier Liebe dahinlebendes Paar, das unter Klüsing zehn Jahre lang sich der Entdeckung zu entziehen gewußt hatte, wurde feierlich entlassen. Dieser Vorfall war für Diederich sogar der Anlaß, ein neues Mittel zur sittlichen Hebung des Volkes zu verwenden. An den geeigneten Orten ließ er ein in Gausenfeld selbst erzeugtes Papier aufhängen, bei dessen Benutzung niemand umhin konnte, die moralischen oder staatserhaltenden Maximen zu beachten, mit denen es bedruckt war. Zuweilen hörte er die Arbeiter einen von hoher Stelle stammenden Ausspruch einander zurufen, von dem sie auf diesem Wege überzeugt worden waren, oder sie sangen ein patriotisches Lied, das sich ihnen bei derselben Gelegenheit eingeprägt hatte. Ermutigt durch diese Erfolge, brachte Diederich seine Er[pg 466]findung in den Handel. Sie trat unter dem Zeichen „Weltmacht“ auf, und wirklich trug sie, wie eine großzügige Reklame es verkündete, deutschen Geist, gestützt auf deutsche Technik, siegreich durch die Welt.
Alle Konfliktsstoffe zwischen Herrn und Arbeitern konnten auch diese erzieherischen Papiere nicht entfernen. Eines Tages sah Diederich sich veranlaßt, bekanntzugeben, daß er vom Versicherungsgeld nur Zahnbehandlung, nicht aber auch Zahnersatz bezahlen werde. Ein Mann hatte sich ein ganzes Gebiß verfertigen lassen! Da Diederich sich auf seine, freilich erst nachträglich erlassene Bekanntmachung berief, prozessierte der Mann und bekam abenteuerlicherweise sogar recht. Hierdurch in seinem Glauben an die herrschende Ordnung erschüttert, ward er zum Aufwiegler, verkam sittlich und wäre unter anderen Umständen unbedingt entlassen worden. So aber konnte Diederich sich nicht entschließen, das Gebiß, das ihn teuer zu stehen kam, dahinzugeben, und behielt daher auch den Mann.... Die ganze Angelegenheit, er verhehlte es sich nicht, war dem Geiste der Arbeiterschaft nicht zuträglich. Hinzu kam die Einwirkung gefährlicher politischer Ereignisse. Als im neu eröffneten Reichstagsgebäude mehrere sozialdemokratische Abgeordnete beim Kaiserhoch sitzengeblieben waren, da konnte man nicht mehr zweifeln, die Notwendigkeit einer Umsturzvorlage war bewiesen. Diederich machte in der Öffentlichkeit dafür Stimmung; seine Leute bereitete er darauf in einer Ansprache vor, die sie mit düsterem Schweigen aufnahmen. Die Mehrheit des Reichstages war gewissenlos genug, die Vorlage abzulehnen, und der Erfolg ließ nicht warten, ein Industrieller ward ermordet. Ermordet! Ein Industrieller! Der Mörder behauptete kein Sozialdemokrat zu sein, aber [pg 467]das kannte Diederich von seinen eigenen Leuten her; und der Ermordete sollte arbeiterfreundlich gewesen sein, aber das kannte Diederich an sich selbst. Tage- und wochenlang öffnete er keine Tür ohne Bangen vor einem dahinter schon gezückten Messer. Sein Bureau erhielt Selbstschüsse, und gemeinsam mit Guste kroch er jeden Abend durch das Schlafzimmer und suchte. Seine Telegramme an den Kaiser, mochten sie von der Stadtverordnetenversammlung ausgehen, vom Vorstand der „Partei des Kaisers“, vom Unternehmerverband oder vom Kriegerverein: die Telegramme, mit denen Diederich den Allerhöchsten Herrn überschüttete, schrien nach Hilfe gegen die von den Sozialisten angefachte Revolutionsbewegung, der wieder ein Opfer mehr erlegen war; nach Befreiung von dieser Pest, nach schleunigen gesetzlichen Maßnahmen, militärischem Schutz der Autorität und des Eigentums, nach Zuchthausstrafen für Streikende, die jemand abhielten zu arbeiten.... Die „Netziger Zeitung“, die alles dies pünktlich wiedergab, vergaß aber keinesfalls hinzuzufügen, wie sehr gerade Herr Generaldirektor Doktor Heßling sich verdient mache um den sozialen Frieden und die Arbeiterfürsorge. Jedes von Diederich neuerbaute Arbeiterhaus führte Nothgroschen stark geschmeichelt im Bilde vor und schrieb dazu einen hochgestimmten Artikel. Mochten gewisse andere Arbeitgeber, deren Einfluß in Netzig glücklicherweise nicht mehr in Frage kam, unter ihren Angestellten subversive Tendenzen schüren, indem sie sie am Gewinn beteiligten. Die von Herrn Generaldirektor Doktor Heßling vertretenen Grundsätze zeitigten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer das denkbar beste Verhältnis, wie Seine Majestät der Kaiser es überall in der deutschen Industrie zu sehen wünschten. Ein kräf[pg 468]tiger Widerstand gegen die unberechtigten Forderungen der Arbeiter sowie eine Koalition der Arbeitgeber gehörten bekanntlich gleichfalls zum sozialen Programm des Kaisers, das mit zu verwirklichen ein Ruhmestitel des Herrn Generaldirektor Doktor Heßling war. – Und daneben stand Diederichs Bild.
Solche Anerkennung spornte zu immer eifrigerer Betätigung an – trotz der unerlösten Sünde, die ihre verheerende Wirkung übrigens nicht nur geschäftlich, sondern auch in der Familie äußerte. Hier war es leider Kienast, der Neid und Zwietracht säte. Er behauptete, daß ohne ihn und seine unauffällige Vermittlung beim Ankauf der Aktien Diederich seine glänzende Stellung gar nicht erlangt haben würde. Worauf Diederich erwiderte, daß Kienast durch einen seinen Mitteln entsprechenden Aktienbesitz entschädigt sei. Dies erkannte der Schwager nicht an, vielmehr vermaß er sich, für seine pietätlosen Ansprüche eine rechtliche Grundlage gefunden zu haben. War er nicht als Gatte Magdas der Mitbesitzer, zu einem Achtel ihres Wertes, der alten Heßlingschen Fabrik gewesen? Die Fabrik war verkauft, Diederich hatte bares Geld und Gausenfelder Vorzugsaktien dafür bekommen. Kienast verlangte ein Achtel der Kapitalrente und der jährlichen Dividende der Vorzugsaktien. Auf dieses unerhörte Ansinnen erwiderte Diederich mit aller Energie, daß er weder seinem Schwager noch seiner Schwester irgend etwas mehr schuldig sei. „Ich war nur verpflichtet, euch euren Anteil vom jährlichen Gewinn meiner Fabrik zu zahlen. Meine Fabrik ist verkauft. Gausenfeld gehört nicht mir, sondern einer Aktiengesellschaft. Was das Kapital betrifft, das ist mein Privatvermögen. Ihr habt nichts zu fordern.“ – Kienast nannte dies einen offenen Raub, Die[pg 469]derich, durch die eigenen Argumente vollkommen überzeugt, sprach von Erpressung, und dann folgte ein Prozeß.
Der Prozeß dauerte drei Jahre. Er ward mit immer wachsender Erbitterung geführt, besonders von seiten Kienasts, der, um sich ihm ganz zu widmen, seine Stellung in Eschweiler aufgab und mit Magda nach Netzig zog. Als Hauptzeugen gegen Diederich hatte er den alten Sötbier aufgestellt, der in seiner Rachsucht nun wirklich beweisen wollte, daß Diederich schon früher an seine Verwandten nicht die ihnen zustehenden Summen abgeführt habe. Auch verfiel Kienast darauf, gewisse Punkte in Diederichs Vergangenheit mit Hilfe des jetzigen Abgeordneten Napoleon Fischer aufhellen zu wollen: was ihm freilich niemals recht gelang. Immerhin aber ward Diederich durch dieses Vorgehen genötigt, zu verschiedenen Malen größere Beträge für die sozialdemokratische Parteikasse zu erlegen. Und er durfte es sich sagen, sein persönlicher Verlust schmerzte ihn weniger als der Abbruch, den dergestalt die nationale Sache erlitt ... Guste, deren Blick so weit nicht reichte, schürte den Streit der Männer mehr aus weiblichen Motiven. Ihr Erstes war ein Mädchen, und sie verzieh Magda ihren Jungen nicht. Magda, die den Geldsachen anfangs nur ein laues Interesse entgegengebracht hatte, leitete den Beginn der Feindseligkeiten von dem Tage her, als Emmi mit einem aus Berlin bezogenen unerhörten Hut erschien. Magda stellte fest, daß Emmi jetzt von Diederich in der empörendsten Weise bevorzugt wurde. Emmi bewohnte in Gausenfeld ein eigenes Appartement, wo sie Tees gab. Die Höhe ihres Toilettegeldes stellte eine Unverschämtheit gegen die verheiratete Schwester dar. Magda mußte sehen, daß der Vorrang, den ihre Verheiratung ihr eingetragen hatte, [pg 470]sich in das Gegenteil verkehrte; und sie beschuldigte Diederich, er habe sich ihrer, vor dem Anbruch seiner Glanzzeit, heimtückisch entledigt. Wenn Emmi auch jetzt noch keinen Mann fand, schien dies besondere Gründe zu haben – die man sich in Netzig denn auch ins Ohr sagte. Magda sah kein Hindernis, sie laut auszusprechen. Durch Inge Tietz erfuhr man