Название | Das Zeichen der Vier |
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Автор произведения | Sir Arthur Conan Doyle |
Жанр | Языкознание |
Серия | Sherlock Holmes |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788726372144 |
„Und wie folgerten Sie das Telegramm?“
„Je nun, ich wusste natürlich, dass Sie keinen Brief geschrieben hatten, da ich den ganzen Morgen Ihnen gegenüber gesessen habe. In Ihrem offenen Pult dort liegt auch noch ein Vorrat von Briefmarken und Postkarten. Wozu könnten Sie also auf die Post gegangen sein, ausser um eine Depesche abzugeben? — Räumt man alle andern Faktoren fort, so muss der, welcher übrig bleibt, den wahren Sachverhalt zeigen.“
„In diesem Fall trifft das zu,“ erwiderte ich nach einigem Bedenken. „Die Lösung war allerdings höchst einfach. Ich möchte jedoch Ihre Theorie einmal einer strengeren Probe unterwerfen, wenn Sie das nicht unbescheiden finden?“
„Im Gegenteil,“ versetzte er, „es wäre mir sehr lieb; wenn Sie mir irgend ein Problem zu erforschen geben, brauche ich heute keine zweite Dosis Kokain zu nehmen.“
„Ich habe Sie einmal behaupten hören, dass der Mensch den Gegenständen, welche er im täglichen Gebrauch hält, fast ausnahmslos den Stempel seiner Persönlichkeit aufdrückt, so dass ein geübter Beobachter an den Sachen den Charakter ihres Eigentümers zu erkennen vermag. Nun habe ich hier eine Uhr, die mir noch nicht lange gehört. Würden Sie wohl die Güte haben, mir Ihre Meinung über die Eigenschaften und Gewohnheiten des früheren Besitzers zu sagen?
Ich reichte ihm die Uhr, nicht ohne ein Gefühl innerer Belustigung. Die Aufgabe war nach meinem Bedünken unlösbar; ich wollte ihm damit nur eine kleine Lehre geben wegen des allzu anmassenden Tones, den er zuweilen annahm. Er wog die Uhr in der Hand, blickte scharf auf das Zifferblatt, öffnete das Gehäuse und untersuchte das Werk, erst mit blossen Augen, dann durch ein starkes Vergrösserungsglas. Als er endlich mit entmutigtem Gesicht die Uhr wieder zuschnappte und mir zurückgab, konnte ich mich kaum eines Lächelns enthalten.
„Da gibt’s nur wenige Anhaltspunkte,“ bemerkte er. „Die Uhr ist neuerdings gereinigt, was mich um die besten Merkmale bringt.“
„Ganz recht,“ erwiderte ich. „Sie wurde gereinigt, ehe ich sie erhielt.“
Holmes brauchte diesen schwachen Vorwand offenbar nur, um seine Niederlage zu verdecken. Was für Anhaltspunkte hätte er denn bei einer nicht gereinigten Uhr finden können?
„Die Untersuchung ist zwar unbefriedigend, jedoch nicht ganz erfolglos,“ fuhr er fort, während er mit glanzlosen, Augen träumerisch nach der Stubendecke starrte. „Irre ich mich, wenn ich sage, dass die Uhr Ihrem älteren Bruder gehört hat, der sie von Ihrem Vater erbte?“
„Sie schliessen das ohne Zweifel aus dem H. W. auf dem Deckel?“
„Ganz recht. Das W. deutet Ihren eigenen Namen an. Das Datum reicht beinahe fünfzig Jahre zurück, und das Monogramm ist so alt wie die Uhr. Sie ist also für die vorige Generation gemacht worden. Wertsachen pflegen auf den ältesten Sohn überzugehen, der auch meistens den Namen seines Vaters trägt. Da Ihr Vater, soviel ich weiss, seit vielen Jahren tot ist, hat Ihr ältester Bruder die Uhr seitdem in Händen gehabt.“
„Soweit richtig,“ sagte ich. „Und was wissen Sie sonst noch?“
„Er war sehr lieberlich in seinen Gewohnheiten — liederlich und nachlässig. Er kam in den Besitz eines schönen Vermögens, brachte jedoch alles durch und lebte in Dürftigkeit. Zuweilen besserte sich seine Lage aus kurze Zeit, bis er endlich dem Trunke verfiel. Das ist alles, was ich ersehen kann.“
Ich sprang heftig erregt vom Stuhl auf und ging im Zimmer auf und ab.
„Das ist Ihrer unwürdig, Holmes!“ rief ich, um meiner Erbitterung Luft zu machen. „So etwas hätte ich Ihnen nicht zugetraut. Sie haben Erkundigungen eingezogen über die Geschichte meines unglücklichen Bruders und geben jetzt vor, Ihre Kenntnis auf irgend eine abenteuerliche Weise erlangt zu haben. Sie können mir unmöglich zumuten, dass ich glauben soll, Sie hätten dies alles aus der alten Uhr gelesen! Ihr Benehmen ist nicht sehr rücksichtsvoll und streift, gerade herausgesagt, an Jahrmarktszauberei.“
„Entschuldigen Sie mich, bitte, lieber Doktor,“ erwiderte er freundlich. „Ich habe die Sache nur als ein abstraktes Problem angesehen und darüber vergessen, dass dieselbe Sie persönlich angeht und Ihnen peinlich sein könnte. Ich versichere Sie, ehe Sie mir die Uhr reichten, wusste ich nicht einmal, dass Sie einen Bruder hätten.“
„Aber wie in aller Welt sind Sie denn zu diesen Tatsachen gekommen, die durchaus richtig sind — in allen Einzelheiten?“
„Wirklich! Nun, das ist zum Teil nichts als Glück. Ich hielt mich an die Wahrscheinlichkeit und erwartete durchaus nicht, es so genau zu treffen.“
„Aber Sie haben doch nicht bloss auf gut Glück geraten?“
„Nein, nein: ich rate nie. Das ist eine widerwärtige Gewohnheit, die jede logische Fähigkeit zerstört. Die Sache erscheint Ihnen nur sonderbar, weil Sie weder meinem Gedankengang folgen, noch die kleinen Anzeichen beobachten, die zu grossen Schlussfolgerungen führen können. Wie bin ich zum Beispiel zu der Ansicht gelangt, dass Ihr Bruder nachlässig war? — Betrachten Sie einmal den Deckel der Uhr genau. Sie werden bemerken, dass er nicht allein unten an zwei Stellen eingedrückt, sondern auch bös verkratzt ist — eine Folge der Gewohnheit, andere harte Gegenstände, wie Münzen oder Schlüssel, in derselben Tasche zu tragen. Wer aber eine so kostbare Uhr auf solche Weise behandelt, muss ein nachlässiger Mensch sein. Um das zu erkennen, bedarf es keines grossen Scharfsinns. Ebensowenig ist der Schluss an den Haaren herbeigezogen, dass der Erbe eines so wertvollen Gegenstandes auch im übrigen in ziemlich guten Verhältnissen lebt.“
Ich nickte, um zu zeigen, dass ich seiner Auseinandersetzung folge.
„Die Pfandverleiher in England pflegen bekanntlich bei versetzten Uhren die Nummer des Pfandzettels auf der Innenseite des Gehäuses einzukratzen,“ fuhr Holmes fort. „Nun sind nicht weniger als vier solcher Nummern durch mein Glas erkennbar, ein Beweis, dass Ihr Bruder oft in Verlegenheit war, doch muss er hernach in seinen Verhältnissen emporgekommen sein, sonst hätte er das Pfand nicht wieder einlösen können. — Betrachten Sie nun noch den inneren Deckel der Uhr. Sehen Sie die tausend Schrammen rund um das Schlüsselloch — Spuren, wo der Schlüssel ausgeglitten ist? Bei der Uhr eines nüchternen Mannes kommen solche Krätzer nicht vor; auf der Uhr eines Trinkers findet man sie regelmässig. Er zieht sie nachts auf und hinterlässt diesen Beweis von der Unsicherheit seiner Hand. Wo ist in alledem ein Geheimnis?
Jetzt allerdings erscheint mir die Geschichte so klar wie der Tag, antwortete ich. Verzeihen Sie, dass ich Ihnen unrecht tat. Ich hätte mehr Vertrauen in Ihre wunderbare Begabung setzen sollen. Darf ich fragen, ob Sie gegenwärtig irgend einen Fall zu enträtseln haben?
„Keinen! — daher das Kokain. Ich kann nicht leben ohne Kopfarbeit. Was soll man auch sonst tun? Hier am Fenster stehen? Die Welt sieht gar zu grässlich, trübselig und abstossend aus! Sehen Sie nur, wie der gelbe Nebel herabsinkt, und sich auf die schwärzlichen Häuser lagert! Wie hoffnungslos, elend und prosaisch erscheint alles! Was nützen dem Menschen seine Gaben, Doktor, wenn er keine Gelegenheit hat, sie in Anwendung zu bringen? Das Verbrechen ist alltäglich, das Dasein ist alltäglich, und nur für alltägliche Fähigkeiten gibt es etwas zu tun auf der Welt.“
Ich wollte eben den Mund zu einer Entgegnung öffnen, als es an die Tür klopfte, und unsere Hauswirtin eintrat.
„Eine junge Dame wünscht Sie zu sprechen, Herr Holmes,“ sagte sie, meinem Gefährten eine Karte reichend.
„Miss Mary Morstan,“las er. „Hm — der Name ist mir nicht bekannt. Bitten Sie das Fräulein, sich heraufzubemühen, Frau Hudson. Gehen Sie nicht fort, Doktor. Es wäre mir wirklich lieber, Sie blieben hier. —
2. Kapitel.
Ein rätselhafter Fall.
Fräulein Morstan, eine blonde